Deutsche Soldaten der Heeresgruppe Afrika ergeben sich im Mai 1943 in Frendj bei Tunis.
Deutsche Soldaten der Heeresgruppe Afrika kapitulieren im Mai 1943 bei Tunis. Bildrechte: imago/United Archives International

"Tunisgrad" Tunis 1943 – Das Stalingrad von Afrika

15. Mai 2023, 12:00 Uhr

Nach dem Rückzug aus Ägypten und Libyen 1942/43 bezieht Rommels deutsch-italienische Heeresgruppe Afrika in Tunesien ihre letzte Verteidigungsstellung. Hitler verbietet eine Evakuierung und lässt stattdessen immer mehr Truppen in den Brückenkopf verlegen. Ein zweites Stalingrad bahnt sich an. Am 13. Mai 1943 kapitulieren bei Tunis über 250.000 deutsche und italienische Soldaten. "Tunisgrad" öffnet den Allierten den Weg nach Sizilien.

Der November 1942 ist der Monat, in dem das Deutsche Reich und seine Verbündeten endgültig die Initiative im Zweiten Weltkrieg verlieren: Bei Stalingrad wird die 6. Armee eingekesselt. Im Kaukasus erreichen deutsche Truppen in Nordossetien den entferntesten Punkt der Ostfront, nicht aber die ersehnten Ölfelder von Grosny und Baku. Und in Ägypten bricht der noch zwei Monate zuvor erträumte deutsch-italienische Vorstoß zum Nil und in die Ölgebiete des Nahen Ostens zusammen.

Rommels Rückzug aus El Alamein

Generalfeldmarschall Erwin Rommel bei El Alamein 1942
Generalfeldmarschall Erwin Rommel bei El Alamein 1942. Bildrechte: IMAGO / Heritage Images

In der Dritten Schlacht von El Alamein, 150 Kilometer vor Alexandria, wird die Deutsch-Italienische Panzerarmee von Generalfeldmarschall Erwin Rommel durch die britische 8. Armee unter Lieutenant General Bernard Montgomery zum Rückzug gezwungen. Am Abend des 4. November 1942 setzen sich Rommels geschlagene Verbände nach Westen ab. Mit dem Abzug seiner Truppen verweigert Rommel einen Haltebefehl Adolf Hitlers. Er bewahrt damit seine Armee vor der Einkesselung und Vernichtung. Das latente Nachschubproblem seiner Verbände kann Rommel jedoch nicht lösen. Von Malta aus bekämpfen die Briten seit Monaten sehr erfolgreich die deutsch-italienischen Versorgungsrouten nach Libyen. Vieles, was von Süditalien an Waffen, Sprit, Munition und Verpflegung für Rommels Afrika-Armee verschifft wird, landet auf dem Grund des Mittelmeeres.

Briten drückend überlegen

Bernard Montgomery vor Panzer
Lieutenant General Bernard Montgomery am 5. November 1942 vor einem Grant-Panzer aus US-Produktion. Bildrechte: IMAGO / piemags

Im Gegenzug wächst die personelle und materielle Stärke von Montgomerys 8. Armee permanent. Dafür sorgen nicht zuletzt die gewaltigen Waffenhilfen aus den USA. Den hunderten britischen Grant- und Sherman-Panzern aus US-Produktion kann Rommel beim Abzug aus El Alamein gerade noch 40 eigene Panzer entgegenstellen. Doch selbst deren Einsatz scheitert oft genug am Spritmangel. Am schlimmsten sieht es bei den italienischen Infanterieverbänden aus. Weil sie über zu wenige Fahrzeuge für den schnellen Rücktransport verfügen, geraten am 5. November drei italienische Divisionen "fast geschlossen" in britische Gefangenschaft. Insgesamt verliert die Deutsch-Italienische Panzerarmee in den ersten drei Tagen ihres Rückzuges aus El Alamein 30.000 Mann an Gefangenen. Davon sind Dreiviertel Italiener.

Verlust von Tobruk und Bengasi

Die verbliebenen 70.000 Soldaten führt Rommel ohne größere Verluste nach Libyen zurück. Die nichtmotorisierte italienische Infanterie schickt er dabei stets rechtzeitig nach Westen, während er mit den verbliebenen Panzerkräften das Gefecht verzögert. Diese Taktik wiederholt sich in den kommenden drei Monaten immer wieder.

Britische Nationalflagge wird in Tobruk gehisst
Mitte November 1942 weht über Tobruk wieder der Union Jack. Bildrechte: IMAGO / piemags

Ein dauerhaftes Standhalten gegenüber Montgomerys Truppen ist den ausgelaugten deutsch-italienischen Verbänden jedoch nicht möglich. Am 13. November räumt Rommel die Festung Tobruk, für deren Eroberung er keine fünf Monate zuvor den Marschallstab erhalten hatte. Eine Woche später fällt Bengasi und kurz darauf auch die gesamte ostlibysche Provinz Cyrenaika. Erst in der Mersa el Brega-Stellung östlich von El Agheila, wo im März 1941 Rommels Wüstenkrieg begann, kommen seine Truppen am 24. November für zweieinhalb Wochen zur Ruhe.

Alliierte landen in Marokko und Algerien

US-Infanteristen landen während Operation Torch in Nord-Afrika
US-Infanteristen landen am 8. November 1942 während der Operation "Torch" in Nordafrika. Bildrechte: IMAGO / StockTrek Images

Doch von Westen droht Rommels Panzerarmee bereits neue Gefahr. Am 8. November 1942 landen in Marokko (Casablanca) und Algerien (Oran und Algier) 107.000 US-amerikanische und britische Soldaten (Operation Torch). Rommels Armee droht, zwischen Montgomerys 8. Armee im Osten und der im Westen vorrückenden britisch-amerikanischen Streitmacht unter US-General Dwight D. Eisenhower aufgerieben zu werden. Bei einem Besuch im Führerhauptquartier am 28. November fordert Rommel von Hitler eine entscheidende Verbesserung der Nachschubsituation sowie die Räumung Nordafrikas, weil der Feldzug verloren sei. Hitler tobt. Er wirft dem Feldmarschall vor, seine Armee habe die "Waffen weggeworfen". Zudem befiehlt er, die Mersa el Brega-Stellung zu verteidigen. "Aus politischen Gründen müsse einfach ein größerer Brückenkopf in Afrika gehalten werden", gibt er Rommel mit auf den Weg.

Karte vom Vormarsch der Alliierten in Nordafrika, 1943
Karte einer englischsprachigen Publikation mit den alliierten Vormärschen (rote Linien) in Nordafrika 1942/43 und den deutschen Anlandungen und Gegenstößen in Tunesien (schwarze Linien). Bildrechte: imago/United Archives International

Hitler fordert "Eckpfeiler" Tunesien

Tatsächlich fürchtet Hitler, dass bei einem Verlust Afrikas der Sturz seines engsten Verbündeten, des italienischen Diktators Benito Mussolini, und damit ein Kriegsaustritt Italiens droht. Zudem wollen er und der Oberbefehlshaber Süd, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, verhindern, dass die Alliierten von Afrika aus eine Invasion in Süditalien starten können. Insbesondere Tunesien, von wo es nur 150 Kilometer bis Sizilien sind, soll als "Eckpfeiler" gesichert werden.

Deutsche Panzer werden 1943 im Hafen von Tunis entladen.
Deutsche Panzer werden im April 1943 in einem italienischen Hafen für Tunesien eingeschifft. Bildrechte: IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

Bereits am 9. November landen die ersten Transportflugzeuge mit deutschen Fallschirmjägern in Tunis. Weitere Einheiten folgen. Anfang Dezember entsendet Hitler Generaloberst Hans-Jürgen von Arnim nach Tunesien. Der als besonders "krisenfest" geltende Ostfront-General übernimmt die in Tunesien neu aufgestellte 5. Panzerarmee. Dem Großverband werden die im Polen-, Frankreich- und Russlandfeldzug bewährte 10. Panzerdivision mit ihren gefürchteten Tiger-Panzern, eine Infanteriedivision sowie Teile der Division "Hermann Göring" zugeführt. Bis einschließlich Mai 1943 verlegt die Wehrmacht 137.000 Soldaten in den Brückenkopf Tunesien. Hinzu kommen mehr als 40.000 Italiener. Zudem werden 975 Geschütze und 495 Panzer nach Nordafrika verschifft. Verstärkungen übrigens, die für den Entsatz der in Stalingrad eingeschlossenen 6. Armee fehlen.

Verlust von Tripolis und ganz Libyen

Auch die Nachschubsituation der in Libyen kämpfenden Panzerarmee Rommels verbessert sich durch die Aufrüstung des Brückenkopfes Tunesien nicht. Am 13. Dezember müssen seine Truppen die Mersa el Brega-Stellung räumen. Erst hinter Buerat kommen sie noch einmal länger zum Stehen. Doch am 16. Januar werden sie auch aus dieser Stellung geworfen.

Sherman-Panzer 1943 auf einer Küstenstraße nach Tripolis.
Sherman-Panzer der britischen 8. Armee auf dem Vormarsch nach Tripolis, Januar 1943. Bildrechte: IMAGO / piemags

Trotz des vehementen Drängens von Mussolini, Tripolis unbedingt zu halten, fällt am 23. Januar auch die libysche Hauptstadt. Mit ihr geht die gesamte Kolonie der "Libya Italiana" verloren. Mussolinis Macht in Rom wankt. Erst Mitte Februar gelingt es Rommels Panzerarmee, an der Mareth-Stellung in Tunesien, einer alten französischen Bunkerlinie 150 Kilometer hinter der libysch-tunesischen Grenze, Montgomerys 8. Armee aufzuhalten. Bereits im Dezember stoppte von Arnims 5. Panzerarmee im tunesischen Bergland die von Westen vorstoßenden US-Amerikaner und Briten. Damit ist der Brückenkopf Tunesien vorerst stabilisiert.

Gegenoffensive in Tunesien

Allerdings drohen weit nach Osten vorgestoßene alliierte Kräfte, durch einen Stoß zum Meer Rommels Panzerarmee im Süden von der 5. Panzerarmee im Norden zu trennen. Durch eine Gegenoffensive wollen die deutsch-italienischen Verbände diese Gefahr beseitigen.

Deutscher Tiger-Panzer in Tunesien 1943
Ein deutscher Tiger in Tunesien: Mit seiner 8,8-Zentimeter-Kanone ist der 55-Tonnen-Panzer jedem Gegner überlegen. Bildrechte: IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

Gezielt greifen sie ab dem 14. Februar die unerfahrenen US-Amerikaner an. Bei Sidi Bouzid, 200 Kilometer südwestlich von Tunis, vernichten die deutsche 10. und 21. Panzerdivision an drei Tagen mehr als 230 US-Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Am 17. Februar übernimmt Rommel persönlich den Befehl über die Operation, die bis dahin in der Verantwortung von Arnims 5. Panzerarmee lag. Sah der bisherige Plan lediglich das Aufrollen der alliierten Front nach Norden vor, will Rommel nun zur algerischen Mittelmeerküste durchstoßen und die gesamte britische 1. Armee im Nordwesten Tunesiens einschließen.

Schlacht am Kasserin-Pass

In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar durchbrechen die 10. Panzerdivision und das Deutsche Afrikakorps (DAK) nach über 100 Kilometern Vormarsch am Kasserin-Pass die US-Verteidigung. 7.000 US-Soldaten werden in den Gefechten mit den kampferprobten deutschen Soldaten getötet, verwundet oder gefangengenommen. Ein Großteil flieht.

Gefangene US-Soldaten nach der Schlacht am Kasserin-Pass, Tunesien,1943
Gefangene US-Soldaten nach der Schlacht am Kasserin-Pass im Februar 1943. Bildrechte: mago/United Archives International

Mehr als 180 US-Panzer sowie mehr als 200 Geschütze und über 600 Fahrzeuge der Amerikaner werden vernichtet. Doch die Schlacht am Kasserin-Pass ist Rommels letzter Sieg. Ein weiterer Durchbruch seiner Truppen nach Nordwesten scheitert am Widerstand der Alliierten, die massive Verstärkungen heranführen können. Am 22. März bricht Rommel die Offensive nach Rücksprache mit seinen Vorgesetzten ab. Einen Tag später wird er zum Oberbefehlshaber der neu aufgestellten Heeresgruppe Afrika ernannt.

Rommels letzte Offensive

Am 6. März will Rommel südlich der Mareth-Stellung durch einen massiven Vorstoß seiner Panzerstreitmacht ein im Aufmarsch befindliches Korps von Montgomerys 8. Armee vernichten. Doch der Angriff scheitert unter anderem an der massiven Übermacht der Briten.

Hans-Jürgen von Arnim, 1943
Generaloberst von Arnim löst Rommel im März 1943 als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Afrika ab. Bildrechte: IMAGO / Photo12

Es ist Rommels letzte Offensive in diesem Krieg. Am 9. März fliegt er nach Deutschland, wo er Hitler erneut von einer Evakuierung des Brückenkopfes Tunesien und der Rettung seiner Soldaten überzeugen will. Der Diktator reagiert wütend und befiehlt Rommel, eine Kur anzutreten. Sein Nachfolger in Afrika wird von Arnim. Statt den Brückenkopf Tunesien zu räumen, schickt Hitler weitere Truppen nach Nordafrika. Viele kommen nie an. Hunderte Schiffe und Flugzeuge zur Versorgung der Heeresgruppe Afrika werden von den Alliierten vernichtet. Allein im März 1943 kommen von den monatlich benötigten 140.000 Tonnen Nachschub nur 21.600 Tonnen in Tunis an.

Das tunesische Stalingrad

Wrack einer deutschen Junkers Ju 52/3m 1943 auf dem Flugplatz von Gabes
Wrack einer Junkers Ju 52 auf dem Flugplatz Gabes: Der meiste Nachschub für Tunesien kommt zuletzt per Flugzeug. Bildrechte: IMAGO / piemags

Ab Ende März zieht sich der alliierte Ring um die deutsch-italienischen Verbände in Tunesien immer enger zusammen. Mitte April kommt der alliierte Vormarsch 60 Kilometer vor Tunis noch einmal zum Stehen, bevor am 19. April der letzte Akt des Kampfes um Afrika beginnt. Der alliierten Übermacht haben die ausgehungerten und abgekämpften deutschen und italienischen Truppen am Ende nichts mehr entgegenzusetzen. Am 13. Mai 1943 kapitulieren in Tunis die letzten Verbände der Heeresgruppe Afrika. Mehr als 100.000 Soldaten beider Seiten sind im Krieg in Nordafrika gefallen. Mindestens 130.000 deutsche und 120.000 italienische Soldaten geraten in Gefangenschaft. Ein Vierteljahr nach Stalingrad erleidet die Wehrmacht eine weitere katastrophale Niederlage. Sie ist in absoluten Zahlen sogar größer als der Verlust der 6. Armee, weswegen sich bald der Name "Tunisgrad" einbürgert.

"Tunisgrad" und die Folgen

Deutsche und italienische Kriegsgefangene in Tunesien Mai 1943
Deutsche und italienische Kriegsgefangene nach der Kapitulation in Tunesien im Mai 1943. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Für die Alliierten ist der Sieg in Tunesien nur der Anfang ihrer Mission zur Beseitigung von Hitlers Macht über Europa. Zwei Monate später landen die ersten britischen, kanadischen und US-amerikanischen Soldaten auf Sizilien. Ende August wird Italiens Diktator Benito Mussolini gestürzt. Auch für die Stimmung in der Wehrmacht bleiben die militärischen Katastrophen des ersten Halbjahres 1943 nicht folgenlos. Im September 1943 rufen 95 meist bei Stalingrad gefangene deutsche Generale und Offiziere aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zum Sturz Hitlers auf. Zur selben Zeit reift bei einem im April 1943 in Tunesien schwer verwundeten Oberst im Generalstab der Gedanke, Hitler bei einem Staatsstreich zu beseitigen und den Krieg zu beenden. Der Name des Afrika-Kämpfers: Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Literaturhinweise

  • Lieb, Peter: Krieg in Nordafrika 1940-1943. Hrsg. vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Ditzingen 2018.
  • Stegemann, Bernd: Die italienisch-deutsche Kriegführung im Mittelmeer und in Afrika. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 3. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1984, S. 591-682.
  • Stumpf, Reinhard: Der Krieg im Mittelmeerraum 1942/43: Die Operationen in Nordafrika und im mittleren Mittelmeer. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, Der Globale Krieg - Die Ausweitung zum Weltkrieg und der Wechsel der Initiative 1941 bis 1943. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1990, S. 567-757.