Vorpremiere von Bischofferode-Doku "Das war eine Riesenverarsche"

04. Juli 2018, 14:24 Uhr

Auch 25 Jahre nach dem Hungerstreik der Kali-Kumpel von Bischofferode erhitzt das Thema die Gemüter. Das zeigte sich bei der Vorpremiere der neuen MDR-Doku "Bischofferode: Das Treuhand-Trauma" 2018 im Eichsfeld. Auch heute sind die Menschen fassungslos darüber, dass ihre Zukunft dem Profitdenken geopfert wurde.

Bier und Bratwurst werden gereicht an diesem Freitagabend, Schultern geklopft und Hände geschüttelt. Rund 200 Menschen sind in das Gemeindehaus von Bischofferode gekommen. Viele kennen sich seit Jahrzehnten und haben gemeinsam im Kali-Werk "Thomas Münzer" gearbeitet, um das es an diesem Abend noch einmal gehen soll.

Gemeinsame Erinnerungen

"Zum größten Teil waren das Schüler von mir, die hier im Kali-Werk gearbeitet haben", sagt Werner Günther. Der pensionierte Lehrer ist nicht mehr gut zu Fuß, braucht einen Spezialstock zum Gehen. Doch auch er ist heute gekommen, um mit seinen ehemaligen Schülern zu rekapitulieren, was Anfang der 1990er Jahre in Bischofferode passiert ist und viele noch bis heute beschäftigt.

älterer Mann mit Brille
Werner Günther bei der "Bischofferode"-Vorpremiere. Bildrechte: Alexander Friederci

"Die Leute hatten sich hier etwas aufgebaut und dann flossen natürlich die Tränen, als es hieß, das Kali-Werk wird geschlossen", sagt Günther. Fast 2.000 Menschen hatten dort gearbeitet, die meisten aus Bischofferode und Umgebung. Nach der Wiedervereinigung kam das Werk unter Verwaltung der Treuhandanstalt, so wie viele der maroden Industrieunternehmen in der ehemaligen DDR.

Aufbruchstimmung jäh zunichte gemacht

Doch Bischofferode schien kein hoffnungsloser Fall zu sein. Das Werk war eigentlich gut aufgestellt, hatte internationale Kunden und investierte nach der Wende Millionen in die Modernisierung. Die Treuhand beschloss jedoch, die ostdeutschen Kali-Werke an ihren westdeutschen Konkurrenten "Kali und Salz" zu verkaufen und die meisten von ihnen zu schließen. Geheimverträge, die inzwischen aufgetaucht sind, zeigen, wie Politik und Wirtschaft den Milliardendeal hinter dem Rücken der Bischofferöder Kumpel einfädelten. Die glaubten damals lange, mit ihrem Streik etwas bewirken zu können, obwohl ihr Schicksal schon besiegelt war.

Die Geschichte, einen Wirtschaftskrimi, der bis ins Kanzleramt reicht, hat der MDR-Film "Bischofferode: Das Treuhand-Trauma" in 90 Minuten aufgearbeitet. Als die erste Szene über die Leinwand im Gemeindehaus flimmern – der Abriss des Förderturms von Bischofferode vor knapp einem Monat – wird es still im Raum. Bedächtig versinken die Zuschauer noch einmal in der eigenen Geschichte.

Fassungslosigkeit über Arroganz der Macht

Unruhe kommt immer dann auf, wenn die Treuhand ins Spiel kommt. Der von ihr damals neu installierte Aufsichtsratsvorsitzende der ostdeutschen Kali-Werke, Ulrich Steger, stellt sich in der Doku den kritischen Fragen zum damaligen Deal, ist sich aber keines Fehlers bewusst. Unfähig sei das damalige Management gewesen, sagt Steger hart in die Kamera. Da habe nur geholfen, alle rauszuschmeißen. Ein Raunen geht durch den Saal.

Später, als Gregor Gysi die Zeit und sein Engagement in Bischofferode als PDS-Vorsitzender rekapituliert, taucht Steger erneut auf. "Was mich am meisten erschreckt hat, war die Skrupellosigkeit der Linken, das Thema auszuschlachten", sagt der Manager. Gelächter im ganzen Saal, begleitet von ungläubigem Kopfschütteln.

Narben der Geschichte

Nach 90 Minuten sind viele der altgedienten Kumpel erschüttert, welches Spiel mit ihnen gespielt wurde. "Selbst wir konnten nicht komplett erahnen, wie sehr wir verarscht werden", sagt Willibald Nebel. Er war einer der ersten Männer, die im Sommer 1993 in den Hungerstreik getreten sind. Als er zwei Wochen später vollkommen erschöpft ins Krankenhaus transportiert werden muss, geht das Bild von ihm auf einer Trage um die Welt.

"Das hinterlässt Narben", ruft Nebel unter zustimmendem Nicken der Zuschauer. Unter ihnen ist auch Johannes Peine. Der Unternehmer wollte damals das Kali-Werk kaufen und vor der Schließung retten. Am Ende war er pleite. Alle Banken hatten gleichzeitig ihre Kredite zurückgefordert. Der Druck dazu kam von ganz oben, lässt die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth im Film durchblicken. Sie hatte Peine nachts angerufen und gewarnt.

Als die Zuschauer Peine im Raum erkennen, brandet Applaus auf. Kerzengerade steht er in der letzten Reihe. Der Unternehmer und die Kumpel, sie alle wurden Opfer skrupelloser Politiker und gieriger Manager, so die Auffassung der meisten in Bischofferode. "Das war eine Riesenverarsche" ruft einer unter Applaus. Dieses Gefühl verbindet sie bis heute.

Schmerzhafte, aber wichtige Aufarbeitung

"Das schmerzt schon!", fasst Gerhard Jüttemann die Gefühle des Publikums schließlich zusammen. Der damalige Betriebsrat des Werkes "Thomas Münzer" musste Dutzende Kollegen selbst entlassen, um den Sanierungsplan der Treuhand zu erfüllen. Am Ende wurde das Werk dennoch stillgelegt.

Durch ihren Hungerstreik konnten die Kumpel das zwar nicht abwenden, zwangen die Treuhand durch den öffentlichen Druck aber zum Entgegenkommen, erinnert sich Jüttemann. Doch selbst der dann beschlossenen Sozialplan wurde nicht erfüllt, konstatiert er heute bitter: "Jeder hat im Ohr, wieviel neue Arbeitsplätze hier entstehen sollten. Doch es ist nichts geschehen."

Ändern könne man daran nichts mehr, sagt Jüttemann abschließend. Die filmische Aufarbeitung der Geschichte von Bischofferode sei dennoch wichtig: "Wenn wir unser Werk schon nicht retten können, dann können wir zumindest sagen: 'Da hätten eure Väter heute noch gearbeitet hätten, wenn man fair zu ihnen gewesen wäre.'"

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Bischofferode - Das Treuhand-Trauma | 05.07.2018 | 20:15 Uhr