Kirchentage "im Sozialismus" Evangelische Kirche in der DDR

24. Juni 2011, 08:31 Uhr

1969 wurde der "Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR" (BEK) gegründet. Formal war damit ein eigener Weg beschritten. Die evangelische Kirche richtete sich endgültig in der DDR ein, hielt regelmäßig große Treffen ab.

Die DDR-Kirchenleitungen und die SED suchten nach den dramatischen Ereignissen um die Selbstverbrennung des Zeitzer Pfarrers Oskar Brüsewitz im August 1976 nach einem Ausweg aus der offenen Konfrontation. Am 6. März 1978 empfing Erich Honecker den Berliner Bischof Schönherr und andere hochrangige Kirchenvertreter zum ersten und einzigen offiziellen Gespräch. Die SED erwartete von der Kirche ein Bekenntnis zur DDR und zum Sozialismus, die Kirchenvertreter endlich das Zugeständnis eigener Gestaltungsräume. Im Ergebnis verständigte man sich auf ein friedlicheres Nebeneinander. Schon 1971 hatte Bischof Schönherr auf einer Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) erklärt: "Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern Kirche im Sozialismus sein."

"Aktuelle Kamera" berichtet über Kirchentage

Auf dieser Grundlage gestand Honecker der Kirche einen gewissen Freiraum zu. Die offizielle Anerkennung von Kirchentagen zählte dazu, und dies führte auch in der Folgezeit dazu, dass sie medial wahrgenommen wurden. Auf einmal berichtete die Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, die "Aktuelle Kamera", über solche Veranstaltungen, wobei sie sich meist auf Musik und unverfängliche Redepassagen beschränkte. Kritische Töne und kontroverse Diskussionen blieben unerwähnt. Schon auf den ersten Kirchentagen nach dem Treffen mit Honecker konnten Erleichterungen festgestellt werden. So wurden die Abschlussveranstaltungen nicht mehr buchstäblich an den Rand der Städte gedrängt. Der regionale Kirchentag 1988 in Erfurt konnte beispielsweise auf dem Marktplatz, mitten in der Stadt, zu einem Treffen laden. Das alles sorgte auch für einen größeren Zulauf. Zum Abschlussgottesdienst versammelten sich in Erfurt immerhin 30.000 Christen.

Das Lutherjahr 1983 – Fest der Kirche und Fest des Staates

Beim Treffen mit Honecker hatten die Kirchenmänner auch das Zugeständnis erhalten, das für 1983 anstehende Lutherjahr aus Anlass des 500. Geburtstages mit Kirchentagen gebührend feiern zu können. Wegen der weltweiten Strahlkraft des Ereignisses wurden zahlreiche Gäste aus dem Ausland erwartet, aber auch aus der Bundesrepublik. Das sollte nicht durch Restriktionen seitens der SED-Führung behindert werden. Unter dem Motto "Vertrauen wagen" wurden dann sieben Kirchentage in Erfurt, Wittenberg, Frankfurt/Oder, Magdeburg, Eisleben und Rostock durchgeführt. Über diese Treffen und sonstige Aktivitäten zum Lutherjahr berichtete das DDR-Fernsehen regelmäßig in der "Aktuellen Kamera". Dabei wurde vor allem die Unterstützung des Staates für das Lutherjahr hervorgehoben.

SED hebt Luthers politische Wirkung hervor

Die Motive beider Seiten waren höchst unterschiedlich. Die evangelische Kirche wollte die Veranstaltungen zu mächtigen öffentlichen Bekenntnissen des Glaubens machen. Die SED hatte ganz eigene Beweggründe, die Feiern zum Lutherjahr nach Möglichkeit zu vereinnahmen. Das "Neue Deutschland", bis 1989 SED-Parteiblatt, schrieb 2009 in einem Rückblick: "Der SED und dem Staat ging es im Unterschied dazu in erster Linie darum, die über Theologie und Kirche hinausführenden Wirkungen Luthers und seines Werkes im Bereich der Kultur, Politik und Gesellschaft zu würdigen und ihm einen angemessenen Platz in der marxistischen Erbe- und Traditionspflege zuzuweisen."

750 Jahre "christliches Berlin"

Große Menschenmenge in einem Stadion 6 min
Bildrechte: Aktuelle Kamera/DRA

Schon ein Jahr nach dem Lutherjubiläum beantragte die Kirchenleitung von Berlin, einen eigenen großen Kirchentag veranstalten zu dürfen. Man orientierte sich dabei wieder an einem historischen Ereignis: dem 750. "Geburtstag" Berlins. Auch die SED wollte das Jubiläum "ihrer" Hauptstadt groß feiern, so passte das Kirchenanliegen in ihr Konzept. Die Behörden signalisierten also Entgegenkommen, zugleich aber auch die Erwartung einer "kooperativen" Haltung der Kirchenleitung.

"Kirche von unten"

Das brachte diese in eine schwierige Lage. Unter dem Schutz der Kirche hatten sich zahlreiche oppositionelle Basisgruppen gebildet, zum Beispiel Friedensinitiativen, die sich um die Losung "Schwerter zu Pflugscharen" gegründet hatten, oder auch Menschenrechtsgruppen. Sie alle waren der SED ein Dorn im Auge. Teile der Kirchenleitungen befürchteten nun, derartige Aktivitäten würden, in den Kirchentag integriert, die Großveranstaltung insgesamt gefährdet. Man kam den staatlichen Forderungen nach einer "kooperativen Haltung" letztlich teilweise entgegen. So verbot Generalsuperintendent Günter Krusche schon 1986 eine für den Kirchentag geplante Friedenswerkstatt. Daraufhin verkündeten Basisgruppen als Gegenveranstaltung eine eigene "Kirche von unten". Praktisch in letzter Minute lenkte die Kirchenleitung ein. Sie befürchtete eine Kirchenbesetzung während des Kirchentags und wies der "Kirche von unten" schließlich die Gemeinderäume der Pfingstkirche in Friedrichshain zu.

"Glasnost in Staat und Kirche"

Was die Kirchenoberen unterschätzt hatten, war die enorme Anziehungskraft dieser Initiative. Schon am ersten Tag kamen rund 6.000 Gläubige, um an den Diskussionen teilzunehmen oder auch Künstler wie Stephan Krawczyk zu erleben. Die Initiatoren der "Kirche von unten" versuchten auch ganz offen, sich beim Kirchentag einzumischen. So erscheinen Mitglieder ihrer Initiative bei der Abschlussveranstaltung mit Plakaten und Spruchbändern, auf denen Losungen wie "Theologie der Befreiung - auch für uns" oder auch "Glasnost in Staat und Kirche" zu lesen waren. Die Staatssicherheit schritt nicht ein, vielleicht wegen der Anwesenheit zahlreicher ausländischer Gäste. Das DDR-Fernsehen berichtete ausführlich über den Kirchentag und widmete ihm sogar eine Sondersendung. Darin war aber von den kritischen Basisgruppen und ihren Aktionen nichts zu sehen. Man beschränkte sich wie üblich auf Kirchenmusik und die unverfänglichen Ausschnitte aus Reden von Kirchenoberen und internationalen Gästen - und auf ein bisschen Friedensgesang der westdeutschen Sängerin Katja Ebstein.

Die wiedergewonnene Einheit der Evangelischen Kirche

Nach dem Fall der Mauer nahmen Vertreter der EKD und der BEK Gespräche auf, um das Verhaltnis zueinander neu zu gestalten. Die BEK legte auf einer eigenen Synode am 22. Februar 1990 als Marschroute fest: "Wir wollen uns Zeit lassen." Als die Einheit Deutschlands schneller vollzogen wurde als auch viele Kirchenvertreter gedacht hatten, einigten sich auch EKD und BEK wieder auf eine gemeinsame deutsche Kirchenorgansiation der Protestanten. Formal wieder hergestellt wurde die Einheit der EKD erst mit Wirkung vom 27. Juni 1991. Der Kirchentag im Ruhrgebiet drei Wochen zuvor war zwar von Christen aus ganz Deutschland besucht worden, aber formal wegen der beiden noch bestehenden Organisationen noch kein gesamtdeutscher.