Historische Aufnahme: Eine Frau gibt ihre Stimme ab, im Vordergrund eine Wahlurne mti dem Emblem der DDR, an der Wand ein Portrait Erich Honeckers.
Bei den letzten DDR-Kommunalwahlen am 07.05.1989 gibt eine Frau in einem Wahllokal in Ost-Berlin ihre Stimme ab. Bildrechte: picture alliance / dpa | Roland Holschneider

Die Fälschung der Kommunalwahlen 1989

Am 7. Mai 1989 fälschte die SED die Ergebnisse der Kommunalwahl. Doch Bürgerrechtler in der ganzen Republik haben mitgezählt.

"Wahlen in der DDR sind ja eigentlich nicht nötig gewesen, weil durch das Einheitslistensystem die Mehrheit der SED immer gewährleistet war", sagt Tobias Hollitzer, damals Bürgerrechtler und heute Chef der Leipziger Außenstelle der "Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit". "Aber für die SED war's das Akklamationsritual schlechthin, bei dem sie sich in regelmäßigen Abständen den Anstrich eines demokratischen Systems geben wollte."

"Zettel falten"

Die Mehrheit der DDR-Bürger hatte die mit großem Propagandaaufwand betriebenen Volkskammer- oder Kommunalwahlen stets als ein lästiges Übel hingenommen. "Zettel falten" nannte man die Stimmabgabe. Denn zu wählen gab es nichts. Und wenn das Endergebnis bekannt gegeben wurde, war jede Überraschung ausgeschlossen - jedes Mal knapp hundert Prozent Zustimmung. Dass diese Wahlergebnisse nicht das eigentliche Votum widerspiegelten, die Zahlen geschönt waren, blieb stets nur eine vage Vermutung.

Die Stimmenauszählung wird kontrolliert

"Jeder hatte im Bekanntenkreis viele Leute, die entweder gar nicht zur Wahl gegangen sind oder gegen diese Einheitsliste gestimmt haben", erinnert sich der Leipziger Bürgerrechtler Uwe Schwabe. "Aber das konnte man nicht beweisen. Und um dieses endlich belegen zu können, haben wir gesagt: Wir nehmen jetzt an der Stimmenauszählung teil." Auf Flugblättern rufen Bürgerrechtler im Frühjahr 1989 in der gesamten Republik zum Wahlboykott auf und kündigten an, die Auszählung der Stimmen flächendeckend zu kontrollieren. Und ihr Vorgehen ist sogar legal: "Die Stimmenauszählung ist öffentlich", heißt es im Wahlgesetz der DDR.

Krenz will das "reale Wahlergebnis" veröffentlichen

Auch innerhalb der SED gibt es Diskussionen darüber, wie man mit dem Votum der Bürger umgehen soll. Im April legt der Wahlleiter, Politbüro-Mitglied Egon Krenz, Erich Honecker ein "vertrauliches Thesenpapier" vor, in dem er vorschlägt, "erstmals" das "reale Wahlergebnis" zu veröffentlichen. Ob es Krenz ernst meint oder sich nur absichern will, ist bis heute unklar. Honecker jedenfalls stimmt zu: "Einverstanden E.H." Doch Honeckers "Einverstanden" bleibt folgenlos. Zwei Wochen später, auf einer Versammlung der 2. Sekretäre der SED-Bezirksleitungen in Berlin, fordert Politbüro-Mitglied Horst Dohlus ein "überragendes Wahlergebnis".

Wieder knapp 99 Prozent Zustimmung

Und genau das verkündet Egon Krenz am Abend des 7. Mai in der "Aktuellen Kamera". Zwar ist es das schlechteste Ergebnis für die SED seit Gründung der DDR, doch es sind immer noch gut 98 Prozent Ja-Stimmen. Die Bürgerrechtler jedoch haben ein ganz anderes Wahlergebnis errechnet. Sie kommen auf gut sieben Prozent Gegenstimmen. Damit ist es erstmals nachgewiesen: Die SED hat die Wahlen gefälscht. "Krenz wusste, es gibt Leute, die an Hand von Zahlen beweisen können, dass ich lüge", wundert sich Rainer Eppelmann, der in seinem Stadtbezirk Berlin-Friedrichshain die Auszählung der Stimmen mitkontrollierte, noch heute. "Und er hat' trotzdem gesagt. Das kann man mit Vernunft und Logik nicht begreifen."

Egon Krenz in einem Fernsehstudio mit DDR-Emblem und Schriftzug Wahl '89 2 min
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90 Prozent der DDR-Bürger stimmten mit Ja

Doch was heute gern vergessen wird: Rund 90 Prozent der DDR-Bürger haben den "Kandidaten der Nationalen Front" ihre Stimme gegeben. Ein Ergebnis, dass in jedem demokratischen Land als ein großer Wahlsieg gefeiert worden wäre. Aber 90 Prozent Zustimmung waren der SED im 40. Jahr der Republik zu wenig gewesen.

Blind ins Verderben

Auf Flugblättern veröffentlichen die Bürgerrechtler die Ergebnisse ihrer Stimmauszählung und rufen zu Protestaktionen auf. Eingaben und Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl gehen bei Bürgermeistern und beim Staatsrat ein. Es werden Anzeigen wegen des Verdachts der Wahlfälschung erstattet. Und diese Proteste reißen nicht mehr ab. Die SED hat alle Glaubwürdigkeit verspielt und ihr Gesicht endgültig verloren. Wie blind ist sie in ihr Verderben gestolpert.

"Mit dem Vorwurf der Wahlfälschung stand die SED als kriminell da. Und das hat auch viele bis dahin noch loyale DDR-Bürger in Distanz zum System gebracht, die gesagt haben: Wenn die jetzt schon Wahlen fälschen, noch dazu in solch sinnloser Größenordnung, mit so was wollen wir nichts mehr zu tun haben", resümiert Tobias Hollitzer.

Und insoweit ist diese gefälschte Kommunalwahl ein ganz wichtiger Sargnagel der Diktatur gewesen und eigentlich schon der Anfang vom Ende.

Tobias Hollitzer
Erster Tag der offiziellen Einsichtnahme von Stasi-Akten. Hier sieht man Bürgerrechtler Rainer Eppelmann (Deutschland/CDU) am 2. Januar 1991 in der Gauck-Behörde in Berlin. 2 min
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2 min

Pfarrer Rainer Eppelmann protestiert mit einer Anzeige wegen Wahlfälschung gegen die Manipulation der SED. Ausschnitt aus der TV-Dokumentation "Der Anfang vom Ende".

MDR FERNSEHEN Mi 06.05.2009 23:35Uhr 01:59 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video139606.html

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Video

Bernd Fischer und Steffen Lüddemann

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im TV: 05.05.2014 | 19:30 Uhr

(zuerst veröffentlicht am 28.04.2009)