Mit 66 Jahren... Fängt Nina Hagens Leben jetzt erst richtig an?

04. Januar 2022, 14:00 Uhr

"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an" sang Udo Jürgens einst. Wenn das stimmt, dann dürfte für Nina Hagen das Leben jetzt erst richtig anfangen. Am 11. März feiert die bekannteste Deutsche Rock-Ikone ihren Geburtstag. Schon in den 70er-Jahren sorgte die stimmgewaltige Punkrockdiva für Schlagzeilen und Skandale - durch ihre experimentierfreudige Musik genauso wie durch ihr schrilles Auftreten und ihren unkonventionellen Lebensstil.

Catharina Hagen, so ihr amtlicher Name, wurde am 11. März 1955 in Ost-Berlin in einer Künstlerfamilie geboren. Ihre Mutter ist die bekannte Schauspielerin Eva-Maria Hagen, ihr Vater der Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor Hans Oliva-Hagen. Schon früh trennten sich die Eltern. Nina wuchs bei der Mutter auf und wurde oft zu den Dreharbeiten mitgenommen. So reifte auch bei ihr früh der Wunsch, Schauspielerin zu werden.

Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann

Der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann gibt 1976 in der Kölner Sporthalle ein Konzert
Wolf Biermann wird der neue Mann an Eva-Maria Hagens Seite und der Stiefvater für Nina. Bildrechte: picture alliance/dpa

1965 lernte Eva-Maria Hagen den Liedermacher und Regimekritiker Wolf Biermann kennen und lieben – für die neunjährige Nina wurde er zum Stiefvater. Doch schon ein halbes Jahr darauf wurde gegen Biermann wegen seiner politischen Lieder Auftritts- und Publikationsverbot verhängt. Mutter und Tochter, einst die Lieblinge der Mächtigen der DDR, gerieten automatisch mit ins Visier der Stasi. Eva-Maria Hagen erhielt nur noch Engagements an Provinztheatern, ein gesellschaftlicher Abstieg begann. Nina litt unter der Situation, fühlte sich einsam, unternahm mit zwölf einen Selbstmordversuch. Ab diesem Alter begann sie, Halt in der Religion und in Gott zu suchen und zu finden.

Der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann gibt 1976 in der Kölner Sporthalle ein Konzert
Bildrechte: picture alliance/dpa

Das, was mir wirklich gefehlt hat, war halt dies ... Gott in meinem Leben. Meine Eltern waren ja so traumatisiert, dass sie an einen guten Gott nicht glauben wollten oder konnten. Und den hab' ich immer gesucht.

Nina Hagen

Farbfilm-Song macht Nina Hagen zum Kultstar

Nina Hagen singt im DDR-Rundfunkstudio.
Nina Hagen singt im DDR-Rundfunkstudio - mit noch sehr zurückhaltendem Style. Bildrechte: imago/Gueffroy

Nach kleineren Anfängen im Film entschied sich die talentierte 18-Jährige schließlich für die Musik. Sie wollte Rocksängerin werden. Im Studio für Unterhaltungskunst der DDR absolvierte sie eine einjährige professionelle Gesangsausbildung von Jazz über Oper bis Schlager. 1974 wurde die Leipziger Gruppe "Automobil" auf die quirlige Sängerin mit dem gewaltigen Stimmumfang aufmerksam und engagierte sie. Mit dem Lied "Ich hab den Farbfilm vergessen" landeten sie einen unerwarteten Erfolg: Nina Hagen wurde mit einem Schlag in der DDR bekannt und beliebt, erlangte durch ihre eigenwillige und frische Bühnenpräsentation Kultstatus. Dennoch: Schon nach einem Jahr verließ sie die Band.

Eva-Maria Hagen bekommt Berufsverbot

Journalistin Eva (Anna Prucnal, links) und Sängerin Marylou (Eva-Maria Hagen) haben ein leichtes Spiel mit dem ahnungslosen Bootsjungen Moses (Frank Schöbel).
Eva-Maria Hagen (r.) in einer Filmszene mit Anna Prucnal und Frank Schöbel. Bildrechte: MDR/DEFA-Studio für Spielfilme 1966/DEFA-Stiftung 1999/Herbert Kroiss

Als 1976 Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert wurde, war es für die Künstler- und Dissidenten-Szene der DDR ein einschneidendes Erlebnis. Wie so viele Prominente protestierten auch die ehemalige Lebensgefährtin Eva-Maria Hagen und Nina Hagen gegen den Beschluss und gerieten damit ins berufliche Abseits. 1977 wurden sie aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und übersiedelten in die Bundesrepublik, zunächst nach Hamburg zu Wolf Biermann.

Er verschaffte Nina durch seine Kontakte einen Schallplattenvertrag. Doch die 22-Jährige zog es schnell weiter. Sie ging nach London und lernte die Punkszene kennen. Für sie war es eine Entdeckung – die provokative und aufmüpfige Musik neu und vertraut zugleich.

Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik 1977 gründete sie mit der linken Politrockband "Lokomotive Kreuzberg" die "Nina Hagen Band". Ihr Auftritt im West-Berliner Szeneclub "Quartier Latin" wurde legendär, ihre erste Plattenaufnahme verkaufte sich in kurzer Zeit in hoher Stückzahl, sodass sie die Goldene Schallplatte bekam. Nina Hagen war nun auch im Westen ein Star. Und sie prägte mit ihrer selbstbewussten Art das Frauenbild einer ganzen Generation. Aber auch hier überwarf sich die exzentrische Punksängerin mit den Bandmitgliedern. Es kam zur Trennung. Sie wollte ihren eigenen Weg gehen.

Hagens Odyssee durch die Welt

In Amsterdam lernte Nina Hagen den heroinkranken Gitarristen Ferdinand Karmelk kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Zu diesem Zeitpunkt konsumierte sie nonstop Kokain. Doch mit ihm als neuem Gitarristen und Lebensgefährten eroberte sie auf Festivals und TV-Sendungen ganz Europa. Er ist auch der Vater ihrer 1981 geborenen Tochter Cosma Shiva. Doch wegen seiner Heroinsucht trennte sich Nina von ihm und ging nach Amerika.

In New York nahm der Manager von Frank Zappa Nina Hagen unter Vertrag und sie produzierte ihre erste englischsprachige Platte mit amerikanischen Musikern. Sie wurde nun auch ein gern gesehener Gast in amerikanischen Unterhaltungsshows. Sie tourte erfolgreich durch die USA, Kanada und Brasilien, wo sie gleichfalls als Superstar gefeiert wurde. Gemeinsam mit Queen und AC/DC trat sie bei "Rock in Rio" vor rund 300.000 begeisterten Fans auf.

Auf der Suche nach Inspiration und Spiritualität

Durch den Modedesigner Jean-Paul Gaultier lernte Nina Hagen 1989 in Paris den Visagisten und DJ Franck Chevalier kennen, ihre nächste große Liebe. Er wurde der Vater ihres Sohnes Otis. Gemeinsam mit den Kindern und Franck tourte sie von Frankreich durch ganz Europa. Als ihre Beziehung zu Franck zerbrach, suchte sich Nina spirituelle Hilfe bei einem Guru in Indien, Muniraji, der sie aus ihrer Sinnkrise, wie sie sagt, befreite. Sie lernte Sanskrit und die traditionelle indische Musik. Doch einen Plattenvertrag bekam sie mit dieser Musik nicht mehr. Auf der Suche nach Inspiration und Spiritualität pendelte sie von nun an zwischen Los Angeles, Berlin und Indien.

Zu Hause bei Gott

2010, zu ihrem 55. Geburtstag, erfüllte sich Nina Hagen einen lang gehegten Wunsch: Mit ihrer amerikanischen Band nahm sie ein Gospel-Album auf - "Personal Jesus". Die Aufnahmen finanzierte sie zunächst selbst. Die Qualität des Albums überzeugte schließlich die Musikindustrie und ein großes Label nahm sie wieder unter Vertrag. Die anschließende Premiere ihrer Kirchentournee fand in Berlin statt. Der Erfolg gab Nina Hagen Recht: "Personal Jesus" wurde ihr bestverkauftes Album seit Jahrzehnten!

Nina Hagen - Godmother of Punk
Nina Hagen in einer Talkshow im "Personal Jesus"-Fieber Bildrechte: MDR/Axel Berger

Schon länger hatte Nina Hagen sich ihrem Kindheitsglauben und Jesus Christus wieder zugewandt. Auch wenn sie auf ihrer lebenslangen Sinnsuche viel mit anderen spirituellen Strömungen experimentiert hatte, endete ihre Suche beim Christentum. 2009 ließ sie sich evangelisch taufen und bekannte sich damit offiziell zum christlichen Glauben.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. März 2020 | 06:40 Uhr