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Die Geschichte der Verschwörungstheorien Wahrheit oder Fake: Was können wir glauben?

21. Februar 2022, 19:12 Uhr

Der Klimawandel ist eine Lüge, Kondensstreifen vergiften uns, "9/11" ist das Werk der CIA und die Medien werden sowieso von der Regierung gesteuert. Millionenfach sind falsche Behauptungen im Internet verfügbar. Doch es gibt ein Grundmuster, das seit Jahrhunderten alle Verschwörungstheorien eint.

Eine Verschwörungstheorie ist eine Theorie, die erklärt, dass ein historisches Ereignis von einer kleinen Gruppe von Eingeweihten im geheimen durchgeführt wurde und eine andere Version offiziell verbreitet wird.

Prof. Eva Horn, Kulturwissenschaftlerin Sternstunde Philosophie, 25.06.2017, Achtung Verschwörung!

Der Beginn

Verschwörungstheorien sind eine anthropologische Konstante. Dieses Phänomen begleitet uns seit Beginn der menschlichen Kultur. Bereits in der Antike und im Mittelalter sucht man Sündenböcke für für Unglücke und soziale Misstände: Christen, so heißt es bei den Römern, sollen Brände legen. Juden, so heißt es später bei den Christen, vergiften Brunnen und töten Christenkinder, weil sie damit die Pest auslösen und die Christen vernichten wollen. Das 15. Jahrhundert bringt den Hexenglauben in all seinen Formen hervor. Die bösen Zauberinnen macht man für Naturkatastrophen und Krankheiten verantwortlich. Sogar im Bund mit dem Teufel sollen die Antichristinnen stehen, was eine jahrhundertelange Hexenverfolgung nach sich zog.

Manche Verschwörungsidee hält sich ewig

Über die Jahrhunderte entstehen immer neue konspirationistische Theorien. Darunter im 18. Jahrhundert die Mozart-Verschwörung, nach der Freimaurer den jungen Komponisten ermordet hätten. Oder die Legende vom Mann mit der eisernen Maske: Mehr als 30 Jahre lang hält Ludwig XIV. einen mysteriösen Häftling gefangen. Wer ist der Sträfling, der bis ans Ende seines Lebens im Kerker sitzt und dessen Gesicht stets eine Maske verdeckt? War es ein Zwillingsbruder von Ludwig XIV, ein illegitimer Sohn der Königin oder ein Mitwisser der Herkunft des Königs? Zweifelsfrei geklärt wurde seine Identität nie.

Ebenso rätseln Historiker seit über 200 Jahren über die Dunkelgräfin von Hildburghausen – eine Legende aus dem 19. Jahrhundert. Zahlreiche Verschwörungstheorien ranken sich bis heute um die mysteriöse Dame. Selbst die jüngste These von 2014, sie sei die uneheliche Tochter von Marie Antoinette, ist nun entkräftet und belässt die Historiker weiterhin im Dunkeln.

Kalter Krieg

Vom Mittelalter bis zu den frühen Jahren des Kalten Krieges ist konspirationistisches Wissen noch völlig legitim. Herrscher propagierten diese Theorien ebenso wie einfache Leute.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gelingt es den Eliten, Verschwörungstheorien gezielt unter das Volk zu streuen. Was eignet sich besser, den allgegenwärtig lauernden Feind nachhaltig zu diffamieren, als durch eine gestreute Falschmeldung!

Apollo 11 Astronauten Neil Armstrong und Edwin E."Buzz" Aldrin
Die Astronauten Neil Armstrong und Edwin E. "Buzz" Aldrin am 21. Juli 1969 auf dem Mond – oder doch nicht? Bildrechte: imago/United Archives International

Bereits 1950 kursiert eine Verschwörungstheorie durch die junge DDR. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vermehren sich die Kartoffelkäfer sprunghaft, vor allem in der sowjetischen Besatzungszone. Längst hat sich herumgesprochen, wem die DDR-Bürger die plötzliche Plage zu verdanken hätten: Dahinter steckt eine Verschwörung des Westens.

Auch die Felder des Thüringer Dorfes Walhausen an der Werra wurden zum Schauplatz des Verbrechens der USA-Gangsterstrategen des Kalten Krieges. Mit solchen Mitteln führen die Imperialisten den Kampf gegen die Aufwärtsentwicklung unserer Republik.

Propaganda-Text aus: Wochenschau/Der Augenzeuge 1950

Amerikanische Flugzeuge, die sich außerhalb der üblichen Flugkorridore bewegen, würden Kartoffelkäfer abwerfen. Eine infame Lüge. Gezielt in die Welt gesetzt von der DDR-Führung, die damit den Klassenfeind diffamieren will. Die Wahrheit: Der schädliche Kartoffelkäfer hatte sich aufgrund der Witterung extrem vermehrt. Das war nicht die einzige Verschwörungstheorie, die die DDR über den Westen verbreitete.

Widerlegt: AIDS aus dem US-Labor

Als Anfang der 1980er-Jahre erstmals die neuartige Krankheit AIDS auftritt, stellt sich rasch die Frage nach der Herkunft des todbringenden Erregers. Der sowjetische Geheimdienst KGB setzt hierfür gezielt eine Falschinformation in Umlauf. Mit Erfolg: Diese "AIDS-Lüge" wächst zu einer weltweiten Desinformationskampagne. Darin wird das Pentagon beschuldigt, für den Ausbruch der neuen Seuche verantwortlich zu sein. Das Virus stamme aus dem Biowaffen-Institut der US-Armee Fort Detrick.

Analog zu den 1980er-Jahren kursiert heute zu Corona wieder eine Verschwörungstheorie, die behauptet, das Virus stamme aus einem Labor. 2014 findet der Politikwissenschaftler Dr. Christopher Nehring von der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) im Archiv des ehemaligen bulgarischen Geheimdienstes ein vom KGB verfasstes Dokument, das die Verantwortung des KGB für die weltweite AIDS-Desinformationskampagne beweist.

Das Ziel der Maßnahmen ist die Erzeugung einer für uns günstigen Meinung im Ausland darüber, dass diese Erkrankung ein Resultat außer Kontrolle geratener geheimer Experimente der Geheimdienste der USA und des Pentagon mit neuen Arten biologischer Waffen ist.

Douglas Selvage und Christopher Nehring Die AIDS-Verschwörung des Ministerium für Staatssicherheit und die AIDS-Desinformationskampagne des KGB, BStU Berlin 2014

Kondensstreifen am Himmel bei Sonnenuntergang
Wasserdampf oder Chemie? Für Anhänger der Chemtrail-Theorie versprühen Flugzeuge in Wahrheit chemische Substanzen. Bildrechte: Colourbox.de

"McCarthyismus" im 20. Jahrhundert

Auch der Westen wartet im Kalten Krieg mit konspirationistischen Theorien auf: "McCarthyismus" steht für die "Hexenjagd" des 20. Jahrhunderts. Senator Joseph McCarthy verbreitet die Verschwörungstheorie über die angebliche Unterwanderung der Regierungsbehörden durch Kommunisten. In den Jahren 1950 bis 1955 verfolgt er echte oder vermeintliche Kommunisten und deren Sympathisanten. Unter ihnen die Schriftsteller Thomas Mann und Bertolt Brecht, der Komponist Hanns Eisler, viele Hollywood-Schauspieler und Regisseure. Der Schriftsteller Arthur Miller und der Folk-Sänger Pete Seeger wurden jeweils zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Woran man eine Verschwörung erkennt

"Nichts geschieht durch Zufall. Nichts ist, wie es scheint und alles ist miteinander verbunden". So beschreibt der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Barkun das Wesen der Verschwörungstheorien. Über die Jahrhunderte ist diese Grundstruktur gleich geblieben. Eine neue Dimension erreicht dagegen die Verbreitung im digitalen Zeitalter.

Das digitale Zeitalter

Mit dem Aufkommen des Internets sind Verschwörungstheorien mittlerweile fast allgegenwärtig, beschreibt Michael Butter in seinem Buch "Nichts ist, wie es scheint".

Die Verbreitung von Nachrichten im Netz kann man mit einem Virus vergleichen. Wenn sich bei Facebook, TikTok oder anderswo in sozialen Netzwerken ein Artikel, Video oder Foto schnell und massiv verteilt, geht dieser Inhalt "viral". Wie beim echten Virus verbreiten sich auch Lügen auf verschiedenen Wegen. Von Person zu Person, etwa über WhatsApp-Nachrichten oder in Video-Calls, aber auch durch sogenannte "Superspreader" ("Superverteiler"), die massenhaft Menschen erreichen.

Hinzu kommt heute noch eine neue Dimension: Im Netz sind Verschwörungstheorien sichtbarer geworden und man kann sich besser vernetzen. Durch das Internet bilden sich Echokammern und Filterblasen, in denen fast nur noch Menschen miteinander kommunizieren, die ähnliche Überzeugungen und Einstellungen teilen. Werden Verschwörungstheorien dann politisch genutzt, um Stimmung zu machen gegen Freiheit und liberale Werte, dann werden sie gefährlich.

Was man gegen Verschwörungstheorien tun kann

Nerven behalten, nicht vom Geschrei einschüchtern lassen. Zweitens: Zeugnis ablegen für die richtige Überzeugung. Auch bei Familien und Freunden deutlich machen, dass Demokratie und Menschenrechte die Grundlage jeder ernsthaften Diskussion sind, sonst ist es keine. Drittens: die Zivilgesellschaft entwickeln. Rein in Vereine, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Bürgerinitiativen. Miteinander füreinander! Das ist sinnvolles Leben, das gibt Kraft. Wir bauen heute eine gute Zukunft, alle zusammen.

Prof. Thomas Kliche, Politikpsychologe, Hochschule Magdeburg-Stendal SWP 5.7.16

Verschwörungstheorien begleiten die Menschheit weltweit schon seit Jahrhunderten. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass dieses Phänomen auch in Zukunft nicht verschwinden wird. Schon die nächste Krise wird weitere Theorien hervorbringen. Die Erfahrung lehrt: Große Krisen brauchen große Erklärungen.

Wann ist eine Verschwörungstheorie eine Verschwörungstheorie?

Richtiger wäre die Bezeichnung als Ideologie. Anhänger wollen unbedingt etwas glauben und suchen sich dann eben ihre Bestätigung zusammen. Es gibt einige Hauptgründe, über die sich Experten einig sind, warum Menschen daran glauben:

1. Komplexität der Gegenwart vereinfachen – Die "anderen" nutzen ihre Macht, um "uns" zu blenden/belügen/auszunutzen.

2. Aufwertung der eigenen Person – Wer "Truther" ist, kennt die Wahrheit – anders als die "schlafenden" Naivlinge um ihn herum.

3. Entlastung – Wenn alles manipuliert ist, ist man ja für nichts mehr verantwortlich.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 06. Mai 2020 | 20:15 Uhr