Aktion weißer Strich
Weißer Strich an der Berliner Mauer Bildrechte: BSTU

Kunstaktion und Provokation Ein weißer Strich um Westberlin

03. November 2017, 10:13 Uhr

Am 3. November 1986 ziehen fünf junge, ehemalige DDR-Bürger in Westberlin los, um mit einem weißen Strich die Mauer wieder ins Bewusstsein der Stadt zu bringen. Und zwar als das, was sie ist: Die unmenschliche Grenze eines Unrechtsstaates. Es ist eine Kunstaktion mit unkalkulierbarem Risiko: Einer der Männer wird von DDR-Grenzsoldaten in den Osten verschleppt.

Es sind fünf junge Männer, die sich diese Kunstaktion ausgedacht haben. Frank Willmann, Wolfram Hasch, Frank Schuster sowie Thomas und Jürgen Onißeit kommen aus der DDR. Sie kennen sich aus der Punkszene Weimars und hatten sich dort mittels subversiver Aktionen mit der Staatsmacht angelegt. Nach ihrer Ausreise treffen sich die Freunde in Westberlin wieder. In einer Stadt, die sich eingerichtet hatte mit der Mauer, die sie gar nicht mehr richtig wahrzunehmen schien. Die einen Keith Haring anreisen ließ, um ein Mauersegment von ihm gestalten zu lassen - in den Augen der ehemaligen DDR-Künstler eine eklatante Verharmlosung des Bauwerkes. Der weiße Strich soll nun ein neues Bewusstsein herstellen und zugleich die Begrenzung erfahrbar machen, die die Mauer für das Leben der Menschen in Westberlin bedeutet.

Sie ahnen nicht, in welcher Gefahr sie schweben

Ausgerüstet mit einem kleinen Wagen, einer Malerrolle und ein paar Farbeimern aus dem Baumarkt, einem Zelt, Verpflegung und getarnt mit Gesichtsmasken starten Willmann, Schuster, Hasch und die Brüder Onißeit am Morgen des 3. November 1986 am Mariannenplatz in Kreuzberg. 43 Mauerkilometer sind es insgesamt, auf die sie einen breiten, weißen Strich in Augenhöhe malen wollen. Das Unterfangen erweist sich als zeitraubender und anstrengender als gedacht. An den Grenzübergängen, wo die Mauer unterbrochen ist, ziehen sie den Strich möglichst rasch auf den Boden – sie wollen bei den DDR-Grenzern nur so viel Aufmerksamkeit wecken, wie unbedingt notwendig ist. Dass sie sich einem Risiko aussetzen, ist ihnen zwar klar, wie groß die Gefahr aber tatsächlich ist, ahnen die Männer nicht.

Denn die Mauer selbst war nicht die eigentliche Grenze zum Westen, die begann erst nach einem Streifen von vier bis fünf Metern vor den Betonelementen. Und genau in diesem Streifen fand die Strichaktion statt und damit auf dem Hoheitsgebiet der DDR. Hinzu kommt, dass die Mauer von Ostseite seit 1980 im Abstand von einem Kilometer  mit kleinen, versteckten Türen nachgerüstet worden war.

Ein Aktionskünstler wird in die DDR verschleppt

Durch eine solche Tür kamen am Tag zwei der Aktion DDR-Grenzaufklärer, die die jungen Männer verhaften sollten. Denn die DDR-Führung fühlte sich von der "Beschädigung der Grenzanlagen" provoziert. Einen der Akteure konnten sie fassen: Wolfram Hasch wurde festgenommen, in den Osten verschleppt und in das Untersuchungsgefängnis der Stasi in Hohenschönhausen gebracht. Seine Kameraden brachen die Aktion daraufhin sofort ab.

Im Januar 1987 wurde Hasch der Prozess gemacht. Die Anklage lautet auf "mehrfachen ungesetzlichen Grenzübertritt in schwerem Fall". Hasch wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Nach sieben Monaten Haft in Bautzen kauft ihn die Bundesrepublik frei.

Freundschaft und Verrat

Nach dem Ende der DDR stellt sich heraus, dass einer der fünf Freunde in der Weimarer Zeit als inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet, die Weimarer Subkultur ausspioniert und dabei auch seine Freunde an das MfS verraten hat. Und so ist die Geschichte des weißen Strichs auch eine von Verrat und Freundschaft, von falschen Entscheidungen, offenen Fragen, Schuld und überdies eine Geschichte darüber, wie perfide die DDR in das Leben seiner Bürger eingegriffen und Lebensentwürfe und persönliche Beziehungen zerstört hat.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Aktuell" 13.08.2017 | 21.45 Uhr