Sanft, geschmeidig und doch zäh: Leder aus Hirschberg

Firmengeschichte

15. September 2015, 11:37 Uhr

In Hirschberg in Thüringen hat die Lederverarbeitung 200 Jahre lang die Wirtschaft bestimmt. Doch so wichtig das Lederimperium einst war - so schnell versank es wieder in der Bedeutungslosigkeit.

Die Anfänge der Lederproduktion

Im frühen 19. Jahrhundert gibt es in Hirschberg an der Saale viele kleine Gebereien. Auf Pferdekutschen kommen die Rinderhäute in die Stadt. Per Hand müssen sie gesalzen, gewässert, gegerbt und gewalkt werden, ehe daraus Leder wird. Der gesamte Prozess dauert zwei Jahre.

Damit kann eigentlich niemand reich werden - doch Heinrich Philipp Maximilian Knoch will es 1864 versuchen. 22 Jahre ist er alt und übernimmt die Gerberei seines Vaters - mit mit drei Gesellen und 14 Arbeitern, die pro Woche 180 Tierhäute bearbeiten.

Hirschberg wird zur Ledermetropole

Der "Chef", wie Heinrich Knoch überall genannt wird, nutzt die Zeichen der Zeit. Als erstes richtet er 1867 ein Labor ein. Er will den Gerbprozess beschleunigen und holt Experten aus Wien und England in die thüringische Lederfabrik, die an neuen Rezepten tüfteln. Sie erfinden Patente zum schnelleren Ablösen der Tierhaare. 1873 zieht die Mechanisierung ein, Knoch lässt die erste Dampfmaschine und die ersten Lederhämmer aufstellen.

Das Gerben von Leder hat sich über Jahrtausende entwickelt. Man musste herausfinden, wie man das Leder haltbar macht, wie man es geschmeidig bekommt, wie wasserdicht bekommt. Das ist ein ziemlich komplexer Prozess, der experimentell irgendwann herausgefunden worden ist. 'Learning by doing', bis man irgendwann wusste, wie das geht.

Ulf Morgenstern, Historiker

Der Anschluss an das Bahnnetz befeuert die Expansion der Fabrik, da die Güter davor mit Pferden zwischen Hirschberg und dem 12 Kilometer entferten Reuth hin- und her gefahren werden mussten. 1900 beginnt die Elektrifizierung, die Zahl der eingearbeiteten Rindshäute steigt auf bis zu 3.000 pro Woche. Bis zum Ersten Weltkrieg werden neue Fabrikgebäude und Wohnhäuser für Arbeiter und Angestellte gebaut. 1914 hat die Lederfabrik nun etwa 1.000 Beschäftigte und ist eine der größten Deutschlands und Europas.

Nachhaltige Produktion

Heinrich Knoch macht laut Historiker Ulf Morgenstern etwas, was man heute mit dem Bergiff "Nachhaltigkeit" umschreiben könnte: Er verwendet alles vom Tier. Die abgelösten Tierhaare werden zu Filzschuhen verarbeitet, aus Fettresten entstehen Gelantine und Leim. Das bringt der Fabrik zusätzliche Einnahmen. Die ausgelaugte Baumrinde, die als pflanzliches Gerbmaterial dient, wird im Hause Knoch nicht etwa weggeschmissen, sondern verpresst und als Heizmaterial eingesetzt. Der Betrieb hat so eine clevere Energiegewinnung und ist mit einem eigenen Maschinenhaus autark.

Erfolgreich trotz Weltwirtschaftskrise

Aber die Lederfabrik ist nicht unabhängig vom Markt. Mit dem Ersten Weltkrieg bricht die Produktion fast zusammen, da die Männer an die Front müssen. Heinrich Knoch lässt kurzum die Ehefrauen anlernen, die statt Sohlenleder Militärstiefel herstellen.

Also es war im Umkreis von 20 Kilometern der größte Arbeitgeber. Man konnte wirklich sagen, über Generationen hinweg hat fast jedes Familienmitglied, zumindest die männlichen Familienmitglieder, in dem Betrieb hier gearbeitet.

Ulrike Göhrig, Museum für Gerberei- und Stadtgeschichte Hirschberg

Für seine Zeit zeigt sich Knoch ungewöhnlich sozial, richtet eine Betriebskrankenkasse, einen Wohlfahrts- und Pensionsfond ein und vergibt zinsgünstige Darlehen, finanziert Ferienaufenthalte für die Kinder seiner Arbeiter und baut dreihundert Werkswohnungen. Zudem profitiert die Infrastuktur der Stadt von den Unternehmen: Dank der Fabrik bekommt Hirschberg einen Bahnanschluss nach München und Berlin, eine Brücke über die Saale, ein Kulturhaus und ein Schwimmbad. 1937 wird die"Lederfabrik Hirschberg" umbenannt, in "Lederfabrik Heinrich Knoch AG".

Zwangsenteignung und Verstaatlichung

Doch 1945 bekommt das Lederimperium Risse. Das Großunternehmen mit 1.500 Beschäftigten wird zwangsenteignet, etwa 70 Prozent der Anlagen werden als Reparationsleistung an die Sowjetunion demontiert. Die Lederfabrik wird zum VEB. In den ersten Nachkriegsjahren kämpfen die 850 Mitarbeiter mit der Mangelwirtschaft, es fehlt häufig an Häuten, Hilfsstoffen, Kohle und Ersatzteilen. Bis 1960 werden in der Fabrik circa 30 Lederarten hergestellt, um den Bedarf in der DDR zu decken. Anfang der 1960er Jahre geht die Nachfrage nach Sohlenleder zurück, andererseits stieg der Bedarf an Schuhoberleder. Bis 1965 wird die Produktion umgestellt, das Leder für Schuhe mit Chrom gegerbt. In den 1970-er und 1980-er Jahre nwird die Produktion rationalisiert, durch Fließstraßen und neue Gefäßsysteme. 1989 kommt dann die Produktion von Möbelleder hinzu. 1991 endet die Leder-Ära von Hirschberg ganz. Der VEB Lederfabrik wird in eine GmbH umgewandelt, Personal wird abgebaut, 1992 geht die Firma Konkurs, die Fabrik wird abgerissen.

Eine Fabrik wird zum Museum

Heute ist das Gelände der einst weltbekannten Lederfabrik ist nur noch eine grüne Wiese. Doch an Heinrich Knoch und sein Werk wird weiter erinnert: Die Stadt Hirschberg hat das unter Denkmalschutz stehende Verwaltungsgebäude an der Saalebrücke und das Fabrikarchiv gekauft, Im Museum für Gerberei- und Stadtgeschichte zeigt sie die beeindruckende 250-jährige Geschichte der Lederfabrik in Hirschberg.