Demonstrationszug mit Frauen an der Spitze, der die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) und deren Kandidatin Luise Zietz unterstützt.
Bildrechte: picture alliance/dp

Der lange Weg zum Frauenwahlrecht

19. Januar 2024, 05:00 Uhr

Es war ein revolutionärer Durchbruch am Ende eines langen Kampfes: Am 12. November 1918 wurde über 17 Millionen deutschen Frauen das allgemeine Wahlrecht gewährt – zwei Monate später, am 19. Januar 1919, durften sie erstmals landesweit wählen und sich selbst wählen lassen. Die Schreckensjahre des 1. Weltkriegs hatten zuvor wesentlich zu ihrer Emanzipation beigetragen.

Noch im Dezember 1918 sah die Dresdner Frauenrechtlerin Marie Stritt das Wochen zuvor errungene Frauenwahlrecht als "etwas ganz Neues, Unbegreifliches, etwas wie ein Wunder". Kaum eine Schwester im Geiste dürfte es zu diesem Zeitpunkt anders gesehen haben – schließlich konnten die deutschen Frauen erst 1919 landesweit ihre ersten Stimmzettel in die Wahlurnen werfen und auch selbst kandidieren. Der früheren Theaterschauspielerin Stritt sollte das neue Wahlrecht schließlich sogar einen Platz im Dresdner Stadtrat einbringen.

Durchbruch für das Wahlrecht der Frauen nach dem 1. Weltkrieg

Plakat der SPD 1919 Frauenwahlrecht
Plakat der SPD 1919 zum Frauenwahlrecht. Bildrechte: MDR/Rainer Erices

Als im Oktober 1918 bereits der Schatten der Kriegsniederlage über dem Kaiserreich lag, setzte Stritt zusammen mit namhaften Mitstreiterinnen ihre Unterschrift unter ein Papier, das vom Reichskanzler Max von Baden eine Audienz zum Thema Frauenwahlrecht forderte. Zu einem Gespräch mit dem Vetter des Kaisers kam es zwar nicht, aber die couragierten Frauen um Marie Stritt ließen nicht nach und verschafften ihrem Anliegen Anfang November mit großen Kundgebungen in Berlin, Hamburg und München nachdrücklich Gehör. Doch erst der Untergang des Kaiserreichs sollte den Durchbruch bringen – nachdem die deutschen Frauen sich während des Kriegs notgedrungen an der Heimatfront bereits mehr und mehr Geltung verschafft hatten.

Am 12. November 1918 war es der sogenannte Rat der Volksbeauftragten, der per Reichsgesetzblatt das Frauenwahlrecht für die entstehende Weimarer Republik ausrief – 70 Jahre nachdem die politische Mitbestimmung der Frau während der Märzrevolution 1848 erstmals in der deutschen Öffentlichkeit ansatzweise zum Thema geworden war. In der oft herangezogenen revolutionären Republik Frankreich musste nur ein halbes Jahrhundert davor die wagemutige Feministin Olympe de Gouges für ihre Forderung nach politischer Gleichstellung noch unter die Guillotine – schließlich war unter der Trikolore (noch) nicht von Schwesterlichkeit die Rede.

Rückenwind durch August Bebel

August Bebel
August Bebel Bildrechte: picture-alliance / dpa | DB

Vor den geistigen Erbinnen der de Gouges lag im 19. Jahrhundert ein langer, steiniger Weg, den sie aber kraft des zunehmenden Liberalismus letztlich entschlossen gehen konnten – sowie auch dank männlicher Unterstützung. So sah der Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel, in einer politischen Teilhabe der Frauen jedenfalls kein größeres Unheil lauern, als in der ihrer männlichen Mitbürger. "Der Einwand, sie [die Frau; Anm. d. V.] verstehe nichts von öffentlichen Angelegenheiten, trifft sie nicht mehr als Millionen Männer, welche die vornehmste Pflicht eines Staatsbürgers, sich um dieselben zu bekümmern, vernachlässigen", meinte Bebel 1895. "Mit der Gewährung von Rechten kommt das Interesse, mit der Übung der Rechte die Einsicht. Um schwimmen zu lernen, muß ich ins Wasser gehen, sonst lerne ich es nicht."

Finnland erstes europäisches Land mit allgemeinem Frauenwahlrecht

Dementsprechend war es Bebels SPD, die 1891 als erste deutsche Partei das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufnahm – aber noch bis 1908 galt im deutschen Vereinsrecht der Paragraph, der "Frauenpersonen, Geisteskranken, Schülern und Lehrlingen die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen" verbot. Zwei Jahre zuvor hatte Finnland als erstes europäisches Land bereits ein allgemeines Frauenwahlrecht eingeführt. Den weiblichen Nachkommen der Bounty-Meuterer war auf der britischen Pazifikinsel Pitcairn sogar schon 1838 das Wahlrecht gewährt worden.

Ein Plakat der Deutschen Demokratischen Partei wirbt für die Wahlen zur Preußischen Landesversammlung 1919 und fordert die Bürgerinnen zur Wahrnehmung ihres Wahlrechts auf
Ein Plakat der Deutschen Demokratischen Partei wirbt für die Wahlen zur Preußischen Landesversammlung 1919 und fordert die Bürgerinnen zur Wahrnehmung ihres Wahlrechts auf. Bildrechte: picture alliance/dpa

Mit dem neuen Jahrhundert nahm die entsprechende Bewegung nun international durch intensive Lobbyarbeit und öffentliche Veranstaltungen zusehends Fahrt auf – unübersehbar vor allem durch die sogenannten Suffragetten in Großbritannien und den USA, die sogar Gebäude in Brand setzten oder in den Hungerstreik traten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Der fortschreitenden Emanzipation der Frau, vor allem durch die Lohnarbeit, redete man nicht zuletzt in der "Sozialistischen Internationale" das Wort – wobei sich besonders Clara Zetkin hervortat und prophezeite: "Das befreite Weib wird Sozialistin sein." Mit dieser Prognose sollte Zetkin allerdings eher danebenliegen – denn gerade in ihrem Heimatland sollte das Frauenwahlrecht der linken Sache nach seiner Einführung nicht sonderlich zugute kommen.

Wahlergebnisse entgegen aller Erwartungen

Als am 19. Januar 1919 schließlich die deutschen Männer und Frauen an den Wahlurnen eine verfassunggebende Nationalversammlung nach Weimar zu entsenden hatten, sollten es jedenfalls gerade nicht die linken Parteien SPD und USPD sein, die von der hohen Beteiligung der weiblichen Neuwähler letztlich profitierten. Die Wählerinnen verhinderten wohl sogar eine Mehrheit der Sozialdemokraten in der Weimarer Volksvertretung. Einzelnen Auszählungen nach Geschlecht zufolge, stimmten viele Frauen, wie auch bei späteren Wahlen der Weimarer Zeit, eher für konservative Parteien wie das Katholische Zentrum.

Clara Josephine Zetkin
Clara Josephine Zetkin Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Schon ein halbes Jahrhundert früher gehörten im Deutschland der Zwischenkriegszeit Vorkämpferinnen wie Marie Stritt und Clara Zetkin zu den ersten gewählten weiblichen Volksvertretern. Bei der Wahl zur Nationalversammlung kandidierten Anfang 1919 immerhin 300 Frauen, von denen 37 nach Weimar entsandt wurden und dort zusammen gut 9 Prozent der Abgeordneten ausmachten – es war ein erster Schritt in eine neue Zeit.

Rückschlag für politische Beteiligung der Frauen in der NS-Zeit

Nach einer Beteiligung von über 80 Prozent an der ersten großen Wahl ließ die Stimmfreudigkeit der deutschen Frauen in den nächsten Jahren zunächst deutlich nach – bis auf weniger als zwei Drittel Beteiligung an der Reichstagswahl 1924. Ab den 1930er-Jahren herum nahm sie dann aber wieder stark zu – wohl vor allem bedingt durch die politischen Verwerfungen während der Weltwirtschaftskrise.

Der Aufstieg der NSDAP in dieser Zeit und die spätere Machtübernahme der Nationalsozialisten waren aber beiden Geschlechtern des deutschen Wahlvolks gleichermaßen anzulasten. In der NS-Zeit erfuhr die politische Beteiligung der deutschen Frauen dann einen schweren Rückschlag, da diese nun gemäß des gängigen Rollenbilds der Hausfrau und Mutter vorübergehend nicht mehr selbst bei Wahlen kandidieren durften. Erst nach dem 2. Weltkrieg sollte ihre Mitbestimmung in Deutschland schrittweise ihre heutige Form annehmen – freilich zunächst unter den Vorzeichen der jahrzehntelangen Teilung des Landes.

Schrittweise in die neue Zeit der Emanzipation

In der Nachkriegszeit schlossen international beispielsweise Frankreich und Italien in Sachen allgemeines Frauenwahlrecht auf – nachdem die nun maßgeblichen Supermächte USA und Sowjetunion dieses bereits 1920 beziehungsweise 1922 übernommen hatten. Die prominenteste Nachzüglerin war 1971 die Schweiz.

Dieser Artikel erschien erstmals im November 2018.