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Dieser Notgeldschein von 1921 aus Gräfenroda in Thüringen verweist darauf, dass hier der Geburtsort des deutschen Gartenzwergs liegt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Notgeld von 1914 bis 1924Seriennotgeld: Sammelspaß statt Inflationsangst in den 20er Jahren

03. August 2021, 05:00 Uhr

Als die Inflation rapide voranschritt und die Mark immer mehr an Wert verlor, entwickelte sich in der Weimarer Republik ein weltweit einzigartiges Phänomen: Das Seriennotgeld. Zwischen 1920-1922 produzierten etwa 1.440 Städte und Gemeinden die bunten Ersatzgeldscheine, viele davon in Mitteldeutschland. Der Kulturhistoriker Dirk Schindelbeck erzählt erstmals ihre ganze Geschichte.

von Miriam Frank

Zwischen 1920-1922 gestalteten deutsche Städte und Gemeinden die vielleicht weltweit schönsten Ersatzgeldscheine: Das Seriennotgeld. Anders als das Notgeld im Ersten Weltkrieg erfüllte es nicht nur den Zweck eines Zahlungsmittels. Es propagierte und dokumentierte, es erheiterte und warb. Bis heute beglückt es Sammlerherzen auf der ganzen Welt. Wie kam es dazu, dass solch aufwändig gestaltetes Geld hergestellt und gesammelt wurde? 

Aus der Not geboren: Kriegsnotgeld

Der Erste Weltkrieg kostete das Deutsche Reich Unsummen an Geld und Metall. Bei deren Beschaffung war auch die Bevölkerung gefragt. Unter dem Motto "Gold gab ich für Eisen" war sie dazu aufgefordert, die eigenen Goldmünzen patriotisch für den Krieg zu spenden. Aber auch Alltagsgegenstände aus Buntmetall, wie Bierkrüge, Pfannen und Kirchenglocken, wurden für die Rüstungsindustrie gesammelt und geschmolzen. Selbst Kupfer- und Nickelmünzen mussten dran glauben. So war schon zu Kriegsbeginn fast kein Hartgeld mehr übrig. Die letzten Bestände wurden von Banken und Städten gehortet, um ihren eigenen Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Um die lokale Wirtschaft irgendwie am Laufen zu halten, gaben Orte hastig selbstbedruckte Scheine aus. Dieses Kriegsnotgeld war dann für eine bestimmte Zeit in der jeweiligen Gemeinde und ihrer Umgebung gültig. 

Notgeldscheine als Sammelobjekt

1917 begannen die Orte, ihr Ersatzgeld immer aufwändiger zu gestalten. Bilder, lustige Wortspiele und politische Botschaften sorgten für Gesprächsstoff und Gelächter: "Steht unsre Mark im Kurs auch schlecht, das Mark im deutschen Arm ist echt". Ein willkommener Spaß in Kriegszeiten und der Startschuss für eine sich bildende Sammlergemeinde: Wer es sich leisten konnte, behielt die bunten Scheine.

Alte Geldscheine als Ersatz für fehlende Fotos in einem Familienalbum? In der Tat war dies eine der raren Möglichkeiten für jedermann, um die zurückliegenden Jahre wie eine persönliche Erinnerung Revue passieren zu lassen.

Dirk Schindelbeck | Notgeld: Zu schön, es auszugeben

„Brotersatz ist die Steckrübe, Geldersatz dieser Schein“ – so spricht die Steckrübe, mit der dieser 25-Pfennig-Notgeldschein aus Bielefeld 1917 gestaltet wurde.  Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)

Nach dem Krieg – Drucken für den Staat

Obwohl die Reichsbank nicht gerade glücklich über das selbstgedruckte Notgeld war, duldete sie es. Erst nach dem Krieg, als Invaliden-, Witwen- und Waisenrenten fällig wurden, wendete sich das Blatt. Das Münzgeld war inzwischen fast gänzlich verschwunden und auch an Papiergeld mangelte es. Der Reichsbank blieb keine Wahl: Sie musste Städte und Gemeinden darum bitten, ganz offiziell beim Druck neuer Scheine auszuhelfen. Diese hatten in den vergangenen Jahren ja schon einige Erfahrungen im Gelddruck gesammelt und sprangen gerne ein, zumal die Reichsbank die Hälfte der Kosten übernahm. Das in dieser Zeit gedruckte "Großnotgeld" war optisch weitaus fantasieloser und "seriöser" als das Kriegsnotgeld. Viele Sammelnde nahmen es trotzdem in ihre Alben auf. 

Die Geburt des Seriennotgeldes

Städte und Gemeinden machten sich die große Sammelfreude der Menschen bald zunutze – denn je mehr Ersatzgeldscheine behalten wurden, desto mehr Gewinn blieb für sie übrig. Um ihre Einnahmen zu maximieren, entwarfen sie Notgeldserien, die über mehrere Scheine hinweg Geschichten erzählten – so gaben sie auch nur als komplette Reihe Sinn. Jenes "Geld" geriet nur selten in den Umlauf. Es war zu schön, zu interessant, um es auszugeben. 1920 perfektionierte die Stadt Naumburg dieses Prinzip. Sie gab eine sechsteilige Notgeldserie heraus, deren Scheine das bekannte "Hussitenlied" von Karl Friedrich Seyferth zierten. Die handelnden Figuren wurden aufwändig mit einer Scherenschnitt-Technik gestaltet. Die Notgeldserie wurde ein voller Erfolg:

Nach kurzer Zeit wusste die Presse landesweit zu berichten, die Stadt habe damit eine Million Mark verdient. In der Tat sah man sich dort über die aus den Notgeld-Verkäufen zufließenden Erlöse in der Lage, das Rathaus für 900.000 Mark zu renovieren.

Dirk Schindelbeck

Die Stadt Naumburg an der Saale kam als erste auf die Idee, über mehrere Scheine eine Geschichte zu erzählen und die Serien an Sammelnde zu verkaufen. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)

Der Erfolg Naumburgs sprach sich natürlich schnell herum. Plötzlich wollten alle mit dabei sein: Druckereien, Verlage, Sammelnde, Handelnde, Privatpersonen und Spekulanten rochen das große Geschäft mit dem Geld. Dadurch stieg auch der Konkurrenzdruck. Um sich von den anderen abzuheben, wurden die Scheine immer ausgefallener und in der Technik immer präziser. Auch bei der thematischen Gestaltung ließ man sich so einiges einfallen. Dirk Schindelbeck identifizierte die fünf beliebtesten Schwerpunkte: Propaganda, Fremdenverkehrswerbung, Waren- und Produktwerbung, Dokumentation deutscher Geschichte und Kultur und der (satirische) Kaufkraft-Diskurs. 

Seriennotgeld als Deutschland-Erzählung

Propagandamedium: Ein antipolnischer Ein-Mark-Seriennotgeldschein aus Klodnitz-Oderhafen (heute Kłodnica), der die polnische Zerstörungswut dokumentieren soll. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)
Fremdenverkehrswerbung: Vier Scheine einer Notgeldserie mit Ansichten der Klosterruine Paulinzella bei Rudolstadt in Thüringen. Das Notgeld geht ausführlich auf die Besonderheiten des Baudenkmals ein und kommt einem modernen Kirchenführer gleich. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)
Waren- und Produktwerbung: Dieser Einzel-Notgeldschein aus Apolda bewirbt die am Ort hergestellten Strickwaren. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)
Dokumentation deutscher Geschichte und Kultur: Die Kleinstadt Gardeleben in der Altmark schmückte ihre Notgeldscheine mit Versen des am Ort lebenden Literaten und Schon-Klassikers Otto Reutters. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)
Kaufkraft-Diskurs: Bitterfeld beschwört die ungebrochene Wirtschaftskraft seiner Region und versucht, dies mit Zahlen zu untermauern. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)

Seriennotgeld aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und dem Harz

1921 verlagerte sich der Schwerpunkt der Notgeld-Herstellung nach Thüringen, dem heutigen Sachsen-Anhalt und in den Harz. Insgesamt 135 thüringische Städte und Gemeinden (nach gegenwärtigen Grenzen) produzierten zwischen 1920-1922 Seriennotgeld. Alleine in Jena gab es vier Gelddruckereien. Jeder Schein war kreativer gestaltet als der vorige: Apolda erzählte das Märchen vom Jungbrunnen, die Gemeinde Bürgel die Sage vom Eselsfresser. Die Gemeinde Frose entwarf ihr Seriennotgeld als Rätselspiel. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts produzierten etwa 84 Orte das bunte Ersatzgeld, darunter Benneckenstein, die Gemeinde Bismark und Calbe.

Erst hab ich Zwiebeln exportiert, dann hat mich Engelland blockiert. Mein Gold und Silber Interniert, dann hab ich auch genotpapiert. 

Rückseite eines Seriennotgeldscheins der Stadt Calbe

Emil Pretorius gestaltete diesen 50-Pfennig-Schein einer 4er-Notgeldserie aus Köstritz. Er bewirbt das Köstritzer Schwarzbier. Bildrechte: Kultur- und werbegeschichtliches Archiv Freiburg (kwaf)

Verbot des Seriennotgeldes

So mancher gewiefter Auftraggeber nutzte die Beliebtheit der Seriennotgeldscheine aus: Städte und Spekulanten bestellten "Extra"-Scheine, um sie dann lukrativ an Sammelnde zu verkaufen. Besonders viele Scheine solcher Art gab es in Thale im Harz. Diese höchst fragwürdige Entwicklung fand ihren Höhepunkt bei Fantasiescheinen einer fiktiven Stadt "Neukirch" mit einem "Fantasie-Marktplatz, Fantasie-Brunnen und Fantasie-Bürgermeisterunterschrift". Am 17. Juli 1922 wurde das Notgeld schließlich offiziell vom Staat und der Reichsbank verboten. Damit fand die Ära des Seriennotgeldes ein jähes Ende. 

Notgeld in der Hyperinflation

Die Geschichte des "normalen" Notgeldes endete am 17. Juli 1922 jedoch noch nicht. Im Zuge der galoppierenden Inflation musste die Reichsbank erneut Städte und Gemeinden um Hilfe beim Druck und der Verteilung von Geld bitten. Angesichts des immensen Wertverfalls lohnte es sich zu diesem Zeitpunkt aber kaum noch, aufwändig gestaltete Scheine zu kreieren. Auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 wurde das Ersatzgeld nur noch mit Nominalwerten in Höhe von zehn, 20 und 50 Milliarden Mark bedruckt.

Notgeld in Leipzig. Wie die Leipziger Großbanken mitteilten, werden sie am 27. Juli in der gleichen Weise wie im September v. J. Notgeld herausgeben, um der drohenden Nahrungsmittelknappheit entgegenzutreten. Es werden Schecks der Großbank auf einander in Höhe von 500.000 Mark ausgegeben.

Sächsische Volkzeitung, 29. Juli 1923

Erst mit der Einführung der Rentenmark 1923, beziehungsweise der Reichsmark 1924, stabilisierte sich die deutsche Währung. Notgeld existiert seither nur noch in den Sammelalben der Deutschen – als Dokument eines einzigartigen Zeitgeistes.

Zum Autor des Buches, Dirk Schindelbeck:Dr. phil. Dirk Schindelbeck, geboren 1952 in Unna, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seit 1997 veröffentlichte er gemeinsam mit Volker Ilgen mehrere kulturhistorische Bücher. Von 1992 bis 1998 war er im "DFG-Projekt Propagandageschichte Freiburg und Leipzig". Seit 1998 ist er freier Autor im wissenschaftlichen, populärwissenschaftlichen und belletristischen Bereich. Er war von 2002-2013 Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und gleichzeitig Chefredakteur der Zeitschrift "Zeitschrift FORUM Schulstiftung". Seit Oktober 2013 ist er im BMBF-Forschungsverbund Jena Hamburg Wien PolitCigs – Die Kulturen der Zigarette und die Kulturen des Politischen. Dirk Schindelbecks Buch "Notgeld - Zu schön, es auszugeben" erschien 2021 im Jonas Verlag.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Umschau | 04. Juni 2019 | 20:15 Uhr