Analyse zur TV-Doku "Wer braucht den Osten?" Ostdeutschland in der Presse

12. Mai 2020, 10:22 Uhr

Wie und in welchem Umfang wurde in der gesamtdeutschen Presse über Ostdeutschland berichtet? Eine Analyse der Berichterstattung im Zeitraum von 1990 bis 2017.

Im Schatten der Debatte um ostdeutsche Eliten und ihrer fehlenden Repräsentation auf Bundesebene wird auch eine geringe oder thematisch zu einseitige Präsenz von ostdeutschen Themen als mögliches Symptom diskutiert.

Um dieser Vermutung nachzugehen, wurde in einer quantitativen Analyse der gesamtdeutschen Presse untersucht, welchen Umfang die Berichterstattung über Ostdeutschland in den letzten Jahrzehnten tatsächlich einnahm und mit welchen Schlagworten sie am stärksten in Verbindung stand. Hierfür wurden anhand einer umfassenden Datenbank deutschsprachige Presseartikel ausgewertet, die in den alten Bundesländern (westdeutsche Presse) und in den neuen Bundesländern (ostdeutsche Presse) seit 1990 erschienen sind. Dabei wurde die Anzahl der Presseartikel ermittelt, in denen der Begriff Ostdeutschland auftauchte und untersucht, wie häufig weitere Schlagworte in diesen Artikeln genannt werden, sodass sich Hinweise auf die Schwerpunktsetzung in der Berichterstattung ergeben.

Wann wurde am häufigsten über Ostdeutschland berichtet?

Die Verwendung des Begriffs Ostdeutschland hat sich in der gesamtdeutschen Presselandschaft seit 1990 enorm verändert. So wurde er Anfang der 1990er sehr häufig verwendet, was sich leicht durch den historischen Umbruch und den herausfordernden Transformationsprozess erklären lässt. Doch relativ schnell ging seine Verwendung zurück, was auch mit einer Veränderung der ostdeutschen Identifikation zusammenhängen könnte. Denn gleichzeitig wurden die Namen der fünf neuen Bundesländer immer häufiger verwendet. Die Differenzierung zwischen den neuen Bundesländern verstärkte sich in der gesamtdeutschen Presse, während der Bezug auf den gesamten Osten zurückging. Auch die Region Mitteldeutschland wurde immer häufiger genannt, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau.

Berichterstattung über Ostdeutschland mit wertenden Begriffen

Unabhängig davon und von den eigentlichen Themen der Artikel wird der Begriff Ostdeutschland gleichbleibend häufig zusammen mit dem Begriff Problem genannt. Es ist vor allem dieser Begriff, der in den Nachrichten über Ostdeutschland enthalten ist – in der westdeutschen Presse etwas häufiger (14,5 Prozent aller untersuchten Artikel) als in der ostdeutschen Presse (13,4 Prozent). In der westdeutschen Presse tauchten die Begriffe Ostdeutschland und Problem vor allem Anfang der 1990er -Jahre gemeinsam auf und – nach einer Phase des Rückgangs – wieder in den letzten Jahren. In der ostdeutschen Presse wiederum wurde das Wort Problem vor allem während der wirtschaftlich schwierigen Phase um die Jahrtausendwende benutzt.

Wirtschaftliche Entwicklung und die Folgen sind prägende Themen

Das wichtigste Thema in Bezug auf Ostdeutschland in der gesamtdeutschen Presse war die wirtschaftliche Entwicklung. Anfang der 1990er-Jahre enthielt etwa jeder dritte Artikel die Schlagworte Ostdeutschland und Wirtschaft. Es waren jedoch vor allem die Artikel der westdeutschen Zeitungen und Zeitschriften, in denen sich diese Kombination wiederfand. Die ostdeutsche Presse nutzte sie zunächst viel seltener als die westdeutsche und griff offenbar noch andere ostdeutsche Themen auf. Erst um die Jahrtausendwende näherte sich die gemeinsame Verwendung dieser Begriffe an.

Neben dem Schlagwort Wirtschaft tauchten in den untersuchten Artikeln zunächst vor allem positiv besetzte Begriffe wie Aufschwung, Modernisierung oder Wachstum auf. Die Verwendung dieser Begriffe und die wohl damit verbundene Hoffnung gingen allerdings sehr schnell zurück.

Stattdessen stieg in der gesamtdeutschen Presselandschaft der Anteil an jenen Artikeln, die Ostdeutschland zusammen mit den Begriffen Armut oder abgehängt erwähnen. Insgesamt gesehen ist der Anteil in der westdeutschen Presse sogar noch höher als in der ostdeutschen Presse.

Über ostdeutschen Rechtsextremismus wird in Ost und West unterschiedlich berichtet

Neben der Wirtschaft fanden aber auch andere Begriffe bzw. gesellschaftliche Themen in Bezug auf Ostdeutschland Erwähnung. Eine erstaunliche Entwicklung nahm dabei das Schlagwort Rechtsextremismus in Kombination mit Ostdeutschland. Die Ergebnisse der Presseanalyse zeigen ein periodisches Auftreten, zum Beispiel im Zusammenhang mit rechtsextremer Gewalt oder mit No-Go-Areas im Umfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006. Insgesamt gesehen ist jedoch auffällig, dass die beiden Begriffe in der westdeutschen Presse viel häufiger gemeinsam auftauchten als in der ostdeutschen Presse. 

Ein gemeinsames periodisches Auftreten mit Ostdeutschland zeigt sich auch bei den Begriffen fremdenfeindlich und Zivilcourage. Beide Begriffe fanden sich in der gesamtdeutschen Presse offensichtlich immer dann wieder, wenn entsprechende Ereignisse in Ostdeutschland eintraten, über die danach berichtet wurde. Erstaunlich ist allerdings, dass die Verwendung des Begriffs Zivilcourage stets jene von Fremdenfeindlichkeit weit übertroffen hat – zumindest bis 2015. Im Jahr darauf blieb die Nennung von Zivilcourage hinter der von Fremdenfeindlichkeit zurück. Dafür finden sich andere Begriffe in der Presse wieder, wie ein Blick auf das Jahr 2017 zeigt. Der Begriff Hass wurde in der gesamtdeutschen Presse sieben Mal häufiger zusammen mit dem Begriff Ostdeutschland verwendet als noch 2010. Besonders stark war der Anstieg 2015 im Zusammenhang mit den Protesten gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Methodik Für die Datenauswertung wurde die Pressedatenbank des Unternehmens GBI-Genios ausgewertet (www.genios.de). Der Anbieter ist zu gleichen Teilen Tochter der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Handelsblatt Media Group. Die Datenbank bündelt die elektronischen Archive der beiden Tageszeitungen und verfügt im Bereich der Tages- und Wochenpresse über 180 deutschsprachige Titel. Insgesamt wurden für den Zeitraum vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2017 über 170 Millionen Presseartikel in etwa 110.000 Abfragen maschinell ausgewertet.

Hierfür wurde die Anzahl von Begriffen oder Begriffspaaren in den Presseartikeln berechnet und verglichen. Die Begriffe oder deren Abwandlungen, wie zum Beispiel "Ostdeutschland", "ostdeutsch", "Ostdeutsche(r)" usw. wurden in der Genios-Suchmaske automatisiert abgefragt und die Anzahl der Treffer addiert. Aussagen zur gesamtdeutschen bzw. bundesdeutschen Presse beruhen auf der Analyse aller Presseerzeugnisse, die in der Datenbank als Quellen unter Presse Deutschland gelistet sind. Zusätzlich wurden diese Quellen nach dem jeweiligen Publikationsort unterschieden, um Aussagen über die west- bzw. ostdeutsche Presse zu treffen. Zur westdeutschen Presse wurden alle Presseerzeugnisse gezählt, die in den alten Bundesländern bzw. Berlin-West publiziert wurden. Die ostdeutsche Presse setzt sich dementsprechend aus allen Presseerzeugnissen zusammen, die in den neuen Bundesländern bzw. Berlin-Ost publiziert wurden.

Die rein quantitative Analyse vernachlässigte die inhaltlichen Bezüge, in denen die Begriffe verwendet worden sind.

Datenauswertung im Rahmen des MDR-Projekts "Wer braucht den Osten?", im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks: Hoferichter & Jacobs Film- und Fernsehproduktion, Kantstraße 43, 04275 Leipzig, info@hoferichterjacobs.de.

Dieser Artikel erschien zuerst am 09.06.2018.

Über dieses Thema berichtet der MDR in der TV-Dokumentation "Wer braucht den Osten?": TV | 12.05.2020 | 22:05 Uhr