Interview Kurt Höller über Plattenbauten in Osteuropa

06. Juli 2018, 08:38 Uhr

Marode und kaum noch sanierbar – den Plattenbauten in Osteuropa geht es nicht gut. Der Osteuropaexperte Knut Höller sagt, was getan werden muss, um sie zu retten.

Herr Höller, welche Rolle spielen denn Plattenbauten in Osteuropa gegenwärtig noch?

Knut Höller
Knut Höller Bildrechte: IWO e.V.

Das unterscheidet sich von Land zu Land sehr stark. In einigen Ländern wie etwa den baltischen Staaten oder Russland bilden Plattenbauten im Prinzip den Hauptwohnungsbestand. In Estland leben nach unseren Schätzungen zum Beispiel zwei Drittel aller Menschen in einem Plattenbau. In Polen sind sie etwas weniger bedeutend. Sie wurden aber in jedem osteuropäischen Land gebaut. Generell gibt es einen wesentlichen Unterschied zur ehemaligen DDR: Fast alle Plattenbauwohnungen wurden direkt nach der Wende privatisiert. Die wurden so marode und unsaniert wie sie waren, für kleines Geld an ihre damaligen Bewohner verkauft. Und damit fingen die Probleme an.

Welche Probleme denn?

Sanierungsstau und mangelnde rechtliche Vorgaben. Im Prinzip besitzen in Osteuropa jetzt zwar unglaublich viele Menschen eine Plattenbauwohnung. Die haben aber oft gar kein Geld, sie zu sanieren. Die Häuser sind inzwischen größtenteils marode, aber man kann sie nicht instand setzen. Es gibt ja oft noch nicht einmal Eigentümerversammlungen. Der Staat hat es sich damals sehr einfach gemacht. Der hat die Wohnungen einfach verschenkt, ohne mal Gesetze zu erlassen, in denen geregelt ist, wie mit den Häusern umgegangen werden soll. Es fehlt zum Beispiel vielerorts ein Wohnungseigentümergesetz, in dem drin steht, wie sich die Bewohner untereinander verhalten sollen, ob sie Sitzungen abhalten und wie sie sich verständigen können, wenn sie das Haus sanieren wollen. Das funktionierte in Ostdeutschland anders. Da hat man erst saniert und dann versucht, die Wohnungen zu verkaufen.

Wie sanierungsbedürftig sind die Plattenbauten denn?

Plattenbau Bulgarien
Plattenbausiedlung im Stadtteil Studentskigrad in der bulgarischen Hauptstadt Sofia Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das kommt auf den Haustyp an. Auf dem Gebiet der Sowjetunion wurden zum Beispiel in den 50er- und 60er-Jahren die sogenannten "Chruschtschowkas" gebaut. Das war die erste Plattenbaugeneration. Denen hat man bei der Fertigstellung eine Lebenszeit von 30 bis 50 Jahren gegeben. Dann sollte ohnehin der Kommunismus erreicht sein und jeder in einem Arbeiterpalast leben können. Der Kommunismus kam nicht, die Häuser sind aber immer noch bewohnt. Wenn da nichts getan wird, können die eines nicht so fernen Tages auch einfach mal zusammenstürzen. Die neueren Plattenbauten sind dagegen viel stabiler. Denen fehlt heute in allererster Linie eine energetische Sanierung. Sie sind oft nicht vernünftig gedämmt, es gibt noch Holzfenster und ungeregelte, ineffiziente Fernwärmeheizungen. Da viele Wohnungen noch nicht einmal Thermostate haben, sind sie im Winter so warm, dass die Bewohner die Fenster aufreißen müssen, um eine erträgliche Temperatur zu schaffen. Denn im Durchschnitt verbrauchen diese Plattenbauten etwa drei- bis viermal so viel Energie wie die sanierten Häuser in Ostdeutschland.

Woher könnte denn das Geld für eine umfassende Sanierung kommen?

Das ist bis heute eine ungelöste Frage. Die vermögenden Plattenbaubewohner, selbst wenn sie in der Mehrheit wären, haben natürlich keine Lust für diejenigen zu zahlen, die sich eine Sanierung nicht leisten können. Und selbst wenn die Armen wollten, als Einzelperson bekämen sie von den Banken in der Regel keinen Kredit. Die können einer Sanierung deshalb auch gar nicht zustimmen. Und der Staat hält sich in aller Regel auch zurück. Dabei wäre der am meisten gefragt. Er verdient ja auch an jeder Sanierung, denn letztlich kassiert er bei solchen Projekten auch immer Steuern. Letztendlich ist die Sanierung eine Sache, die allen Beteiligten Vorteile bringt. Wir müssen aber die Wohneigentümer dort abholen, wo sie gerade sind und ihnen helfen.

Was genau müssten die Staaten denn machen, um das Problem zu lösen?

Letztlich müssten die osteuropäischen Staaten entweder mit Subventionen unter die Arme greifen oder zumindest günstige Kredite vergeben. Doch das sagt sich in Deutschland so einfach. Bei unseren Plattenbauten war damals natürlich genug Geld vorhanden. Mindestens genauso wichtig wie Geld ist aber eine gute Gesetzgebung. Die Bewohner der Häuser müssen sich zusammenschließen, müssen Wohnungseigentümergesellschaften bilden können. Polen und Estland sind da zum Beispiel schon auf einem guten Weg. Andere Länder hängen noch zurück. Dort wollen wir uns noch stärker engagieren. Neben der Verbesserung der Wohnsituation in Osteuropa sind wir als Verein daran interessiert, den Energieverbrauch in den Gebäuden zu senken und auch deutsches Know-how zu vermitteln.

Wer ist Knut Höller? Knut Höller ist Geschäftsführer der Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa e.V., einem Verein, der sich für Wohnungssanierungen in Osteuropa einsetzt. Dabei initiiert er Modellprojekte berät Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen.

(zuerst veröffentlicht am 12.04.2013)

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Heute im Osten - Die Reportage: Leben in der Mega-Platte | 27.04.2013 | 18:00 Uhr