Drei Menschen rauchen.
Trotz Verbot boomte in den 70er-Jahren der Konsum von Marihuana und Haschisch – besonders in der Hippie- und Studentenbewegung. Bildrechte: IMAGO / Heinz Gebhardt

Haschisch und Marihuana Cannabis in der deutschen Geschichte – Allheilmittel oder Droge?

05. März 2024, 16:30 Uhr

Cannabis wird legalisiert, so die Ankündigung der Bundesregierung. Kiff-Fans freuen sich, "Gras" endlich legal besitzen zu dürfen, Kritikerinnen und Kritiker sehen bereits die dritte Volksdroge auf dem Vormarsch, neben Tabak und Alkohol. Dabei galt Cannabis im 19. Jahrhundert noch als medizinisches Allheilmittel und war in Deutschland bis 1929 komplett legal. Warum wurde die Kulturpflanze plötzlich zur Droge, ihr Besitz zur Straftat?

Cannabis gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Seit Jahrtausenden werden die Hanfpflanze und ihr Harz geraucht, gegessen, getrunken oder inhaliert – bis vor fast 100 Jahren ein internationales Abkommen den Konsum zu Genusszwecken verbot. Was viele nicht wissen: Deutschland war damals gegen ein Drogengesetz. Ein Blick in die Drogen-Historie des Reiches zeigt, warum es den Vertrag dennoch unterzeichnete.

Cannabis als anerkanntes Allheilmittel 

Der erste Nachweis einer medizinischen Nutzung von Cannabis stammt aus der Zeit um 2.700 v. Chr. Ein chinesisches Heilkundebuch empfahl den Konsum unter anderem bei Rheuma- und Gichterkrankungen. Im Mittelalter hielt die Hanfpflanze Einzug in die europäische Klostermedizin, Nonnen und Mönche schätzten sie wegen ihrer schmerzlindernden und verdauungsfördernden Wirkung. Ihr Siegeszug als Allheilmittel begann jedoch erst im 19. Jahrhundert: In Europa, Großbritannien und den USA wurden pflanzliche Cannabis-Produkte gegen Kopfschmerzen, Rheuma, Epilepsie, Asthma und Schlafstörungen verschrieben. Mit der Entwicklung synthetischer Arzneien verloren sie jedoch wieder an Bedeutung.

Die uralte Geschichte des High-Seins

Die Geschichte der Drogen ist so alt wie die Menschheit selbst. In Zentralafrika war es die Rinde der Iboga-Pflanze, in Südamerika ein Pflanzensud aus Ayahuasca-Lianen und Blättern des Chacruna-Baumes, in Mexiko der Kaktus Peyote, der die Sinne unserer Vorfahren schwinden ließ. Im alten Mesopotamien trank man erstmals vergorenen Getreidesaft, den wir heute als Bier bezeichnen würden, und die betäubende Wirkung von Schlafmohn war schon den Römern bekannt. Die meisten dieser Substanzen wurden ursprünglich für religiöse und spirituelle Zwecke oder als Heilmittel genutzt. Um 1.600 entstand die Bezeichnung "Droge" für getrocknete Pflanzen, Pilze, Tiere und Mineralien, die pharmazeutisch nutzbar waren. Erst im 20. Jahrhundert wurde der Begriff negativ konnotiert.

Drogenküche Deutsches Reich

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelang es dem deutschen Apotheker Friedrich Sertürner, den Inhaltsstoff Morphium aus Opium zu isolieren. Das Schmerz- und Betäubungsmittel erlebte einen weltweiten Boom. 1859 extrahierte der Chemiker Albert Niemann eine höchst wirksame Substanz aus Kokablättern: das Kokain. Als Stimmungsaufheller fand der Stoff sogar seinen Weg in die 1885 von John Stith Pemberton erfundene Coca-Cola. Auch Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse, experimentierte mit Kokain und beschrieb seine Wirkung als euphorisierend. 1898 kam Heroin auf den Markt – als Mittel gegen Kopfschmerzen, Unwohlsein und als Hustensaft für Kinder.

Deutschland avancierte zur Drogenküche, ihre Produkte ließen die Menschen den verlorenen Ersten Weltkrieg, die Arbeitslosigkeit, die Hyperinflation vergessen. Sie überfluteten Berlin der Goldenen Zwanziger mit toxikologischem Rausch und Exzess. Alleine 1928 gingen in der Reichshauptstadt 73 Kilogramm Morphin und Heroin legal über die Ladentische der Berliner Apotheken. Der Konsum von Cannabis spielte im damaligen Deutschland keine erwähnenswerte Rolle.

Frauen und Männer tanzen.
Berlin mutierte in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zur europäischen Drogen-Metropole mit ausgeprägter Verknügungskultur. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war hier alles erlaubt, was die triste Realität vergessen ließ. Bildrechte: imago images/Ronald Grant

Das ungewollte Drogen-Verbot

Nach dem Ersten Weltkrieg zwang der Versailler Vertrag die Weimarer Republik, ein Gesetz zur Ausführung des "Internationalen Opiumabkommens" zu erlassen. Die beteiligten Staaten, darunter die USA, Großbritannien, China, Japan und Russland, verpflichten sich dazu, die Herstellung und den Handel mit Opium, Morphium und Kokain zu reglementieren. Auslöser waren die Opiumkriege und die Anti-Opium-Bewegung in den USA und Großbritannien. Deutschland verabschiedete das Gesetz nur widerstrebend. Schließlich hatten sich die heimischen Pharmafirmen inzwischen zu Drogen-Exportweltmeistern gemausert.

1925 beschloss der Völkerbund ein verschärftes Gesetz, das den Handel mit den verbotenen Stoffen unter Strafe stellte. Außerdem wurden Heroin und, auf Drängen von Ägypten, "Indischer Hanf" in den Drogenkatalog aufgenommen. Deutschland musste wieder mitziehen. Das neue "Opiumgesetz" trat am 10. Dezember 1929 in Kraft und galt in seinen Grundzügen bis 1972. Akute strafrechtliche Verfolgungsgefahr bestand jedoch nicht. Die wenigen Verurteilungen fielen vergleichsweise milde aus. Nur die Nationalsozialisten im "Dritten Reich" verfolgten eine radikale und zugleich scheinheilige Drogenpolitik.

Hermann Göring, Adolf Hitler und OKW-Chef Keitel über Lagekarte 1942
Sowohl Adolf Hitler als auch Hermann Göring legten eine steile Drogenkarriere hin. Gleichzeitig schickten die Nationalsozialisten Süchtige in Konzentrationslager. Bildrechte: imago images/Everett Collection

Die Doppelmoral der Nazis

Für die Nationalsozialisten gab es nur einen legitimen Rausch, den braunen. Sie verachteten Rauschmittel und bekämpften sie nach ihrer Machtergreifung 1933 mit strengen Verordnungen und drakonischen Strafen. Um die "Volksgemeinschaft" zu schützen, wurden Drogenabhängige sogar in Konzentrationslager gesperrt. Andererseits machten Pharmaunternehmen unter den Nationalsozialisten weiterhin Geschäfte. 1937 meldeten die Temmler-Werke das erste deutsche Methylamphetamin im Reichspatentamt an: Pervitin, heute bekannt als Crystal Meth. Es wurde als Aufputschmittel verkauft, als Gegengift, das die Entzugserscheinungen von Alkohol, Kokain und Opiaten ausgleiche. Pervitin wurde zur Volksdroge im "Dritten Reich", Soldaten verschaffte sie im Zweiten Weltkrieg die nötige Extraportion Energie.

Hitler selbst, der sich öffentlich als Drogenfeind und Abstinenzler inszenierte, erhielt von seinem Leibarzt Unmengen von Spritzen mit Vitaminen, Traubenzucker, Hormonen und zum Schluss Eukodal, ein Heroin-ähnlicher Stoff. Nazi-Größe Hermann Göring überwand seine Morphiumsucht erst 1945, durch einen kalten Entzug in amerikanischer Gefangenschaft.

High sein, frei sein mit Marihuana

Im Zuge der internationalen Hippie- und Studentenbewegung in den 60er-Jahren erfreute sich Cannabis wieder großer Beliebtheit. Trotz, oder vielleicht sogar wegen seines Verbotes, wurde der Konsum von Haschisch und Marihuana zum Symbol für Freiheit, Frieden und Toleranz, zum Ausdruck des Protests gegen Krieg und Konservatismus. Auch die Verbreitung neuer psychedelischer Modedrogen wie MDMA, Ecstasy und LSD stieg sprunghaft an.

Ein Mann mit Gitarre und Blume in den Haaren sitzt auf dem Kennedyplatz in Essen.
Der Konsum bewusstseinsverändernder Drogen war in der Hippie-, oder auch "Flower-Power"-Bewegung weit verbreitet. Dieses "Happening" fand 1967 in Essen statt. Bildrechte: picture alliance / dpa | Hanns J. Hemann

Krieg gegen die Drogen

1961 wurde ein völkerrechtlicher Vertrag über Suchtstoffe verabschiedet, der alle vorher abgeschlossenen Abkommen zusammenfasste und eine weltweite Drogenkontrolle konstituierte. Infolgedessen beschloss die Bundesrepublik ein neues Betäubungsmittelgesetz, allerdings erst 1972. Es ersetzte das bis dahin geltende Opiumgesetz von 1929, ergänzte es um eine Vielzahl weiterer Substanzen und verschärfte es: Neben dem Verkauf standen ab sofort auch die Herstellung, der Import und Besitz von Betäubungsmitteln, darunter Cannabis, unter Strafe. Auch die therapeutische Verwendung der Kulturpflanze wurde unmöglich gemacht.

Auch die DDR verpflichtete sich 1961 zur Bekämpfung von Betäubungsmitteln. Dennoch stellte das Leipziger Arzneimittelwerk ein Beruhigungsmittel her, das Cannabis enthielt: "Plantival". Einen Drogen-Boom wie in der Bundesrepublik erlebte die DDR aber nie. Die Chance, an welche zu gelangen, war ohnehin verschwindend gering. Bei Feierwütigen waren deshalb Kombinationen aus Medikamenten mit Hochprozentigem beliebt, um sich zu berauschen.

Wende in der Cannabis-Politik

1994 lockerte Deutschland das Betäubungsmittelgesetz wieder: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Strafverfolgung beim Besitz "geringer Mengen" an Cannabis eingestellt werden dürfe. Auch seine Karriere als Heilmittel erlebte ein Comeback. Immer mehr Länder erlaubten die Droge für medizinische Zwecke, zum Beispiel in der Therapie von Krebs und Aids. Auch in Deutschland gibt es Cannabis seit 2017 auf Rezept. Anfang 2024 hat der Bundestag das sogenannte Cannabis-Gesetz der Ampel-Regierung beschlossen. Demnach sollen Besitz, Eigenanbau und Konsum unter Auflagen für Volljährige erlaubt werden.

Cannabis – illegal, legal, immer da

Die fast 100 Jahre lange Prohibition von Cannabis ist gescheitert. Strikte Drogengesetze konnten die Verbreitung und Popularität von Haschisch und Marihuana nicht aufhalten: Cannabis ist die beliebteste illegale Droge in Deutschland. Sie war jahrhundertelang Teil unserer Gesellschaft und wird es vermutlich auch bleiben. Nur wie der Umgang mit der Droge als Heil- und Rauschmittel gestaltet wird, wird stets neu verhandelt werden müssen.

Verwendete Literatur u. a.:

Ohler, Norman (2017). Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich. Köln: KiWi Verlag; Feustel, Robert (2020). Eine unendliche Geschichte. Von Menschen und Drogen - Essay (bpb); Einführung in das Recht des Verkehrs mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Deutscher Apotheker Verlag)

Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2021 veröffentlicht und 2024 aktualisiert.

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