Massenproteste in China Die Angst vor der Staatsmacht: Wie geht die chinesische Diktatur mit Protesten um?

Erinnerungen an das Massaker auf dem Tian`anmen Platz

29. November 2022, 05:00 Uhr

Was viele nicht für möglich gehalten haben: Auf Chinas Straßen versammeln sich Tausende, um gegen die chinesische Corona-Politik zu demonstrieren. Massenproteste hatte es in dem kommunistisch regierten Land zuletzt 1989 gegeben, als Studenten gegen das Regime protestierten. Damals wurden die Proteste auf dem Tian`anmen Platz in Peking blutig niedergeschlagen.

Überwachungsstaat China

Die Bürger in China stehen unter totaler Überwachung: Handys werden ausgelesen, so ist es gar unmöglich sich im Geheimen zu vernetzen, denn alles kann im Vorfeld direkt abgefangen werden. Außerdem besteht eine Internetzensur – bestimmte Inhalte wie Demo-Aufrufe oder regierungskritische Informationen können nur selten verbreitet und wahrgenommen werden.

Zudem gibt es in China keine organisierte Protestkultur und keine politische Opposition. Kritik kann nicht öffentlich verhandelt werden. Politische Gegner, Kritiker und Aktivisten werden mundtot gemacht, unter Hausarrest gestellt, verschwinden scheinbar spurlos oder fliehen ins Exil.

Unter dem amtierenden Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Präsident Chinas Xi Jinping, wandelte sich das Land seit seinem Amtsantritt 2012 immer mehr zu einer Diktatur um. Der Präsident Xi Jinping regiert aktuell in seiner dritten Amtszeit. 2018 hat er dafür gesorgt, dass er unbegrenzt im Amt bleiben kann und somit Herrscher auf Lebenszeit werden könnte.

Eine politische Ausnahme stellt die ehemalige britische Kolonie Hongkong dar. Hongkong wurde im Jahr 1997 offiziell an China zurückgegeben und hat noch bis ins Jahr 2047 den Status einer Sonderverwaltungszone mit Freiheiten und Sonderrechten wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit – doch auch hier versucht Chinas Führung immer mehr einzugrenzen.

Demonstrationen gegen Chinas Corona-Politik

Am Wochenende vom 25. November bis 27. November 2022 kam es in vielen Städten Chinas zu Protesten gegen die Null-Covid-Politik der Regierung. Dem vorausgegangen war ein Brand am 24. November 2022 in der im Nordwesten Chinas gelegenen Stadt Ürümqi. In der Hauptstadt der Region Xinjiang starben zehn Menschen durch den Brand in einem Hochhaus. Womöglich wäre deren Tod vermeidbar gewesen. Es kursieren Meldungen in den sozialen Medien, wonach Fluchtwege möglicherweise versperrt waren und Rettungskräfte verspätet eintrafen. Die Bürger weisen den Behörden und der strikten Null-Covid-Politik die Schuld zu. Die Verwaltung der Stadt bestreitet das. Seit mehreren Monaten stehen Teile der Stadt, wie auch das Hochhaus, in dem es brannte, unter einem strengen Lockdown.

Als Reaktion auf das Unglück gingen am Freitagabend in Ürümqi hunderte Menschen auf die Straße. Am Wochenende folgten viele Proteste in anderen chinesischen Städten wie Shanghai, Chengdu, Wuhan, Nanjing oder Peking. Die Teilnehmer gedachten der Toten und demonstrieren gegen Chinas Null-Covid-Politik. Sie fordern das Ende des Lockdowns und Freiheit. Auch Stimmen, die den Rücktritt der Regierung fordern, werden lauter. Die angestrebte Null-Covid-Politik mit ständigen Tests, Ausgangssperren, Überwachung und Abriegelung ganzer Wohngebiete zermürbt die Menschen zunehmend.

Viele der Demo-Teilnehmer zeigten unbeschriebene weiße Blätter. Diese sollen sinnbildlich für die politische Zensur stehen. Die Besonderheit an den aktuellen Protesten ist, dass sie an mehreren Orten gleichzeitig geschehen – das gab es in China seit Jahrzehnten nicht mehr. Online werden Videos und Fotos von den Demonstrationen geteilt, jedoch auch ebenso schnell wieder durch die staatliche Zensur gelöscht.

Die Kommunistische Partei reagierte bislang auf die Protestwellen mit Festnahmen. Der BBC-Journalist Ed Lawrence wurde in Shanghai verhaftet und gab nach seiner Freilassung an, von Polizisten misshandelt worden zu sein. Bislang gibt keine genauen Zahlen, wie viele Menschen festgenommen wurden. Aber wie geht es weiter? Es gibt Befürchtungen, dass die Staatsmacht mit Waffengewalt eingreift, so wie sie es schon einmal getan hat.

Tian’anmen-Massaker in Peking 1989

Genau wie 2022, fassten 1989 schon einmal Menschen in China den Mut, mit ihren Forderungen auf die Straße zu gehen und sich Gehör zu verschaffen: In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 kam es auf dem Tian’anmen-Platz in Peking zu einem Massaker gegen die friedlich protestierende Demokratiebewegung.

Vor allem junge Menschen und Studierende protestierten gegen die chinesische Staatsführung. Zeitweise nahmen bis zu einer Million Menschen an den Massenprotesten teil. Auf dem Tian’anmen-Platz in Peking riefen sie nach Reformen, politischer Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit. Sie stellten sich mutig gegen Korruption und forderten Presse- und Meinungsfreiheit.

Auf solche Bewegungen war die Kommunistische Partei nicht vorbereitet und fürchtete einen Kontrollverlust. So ließ die Staatsgewalt Panzer gegen die Demonstrierenden rollen.

Nach der Niederschlagung gab es hunderte Verletzte und Tote in der Stadt. Die genaue Anzahl ist nicht bekannt. Die chinesische Regierung spricht von wenigen hunderten, dem gegenüber gehen Menschenrechtsorganisationen von mehreren tausend Toten aus. Die Staatsführung setzte alles daran, die Ereignisse möglichst geheim zu halten. Die Demonstranten galten offiziell als Konterrevolutionäre und die Verbrechen der Armee wurden als sinnvolle Reaktion erklärt.

Das Massaker hat damals die Welt erschüttert und auch in der DDR befürchtete man solche Szenarien. Glücklicherweise ist die Friedliche Revolution in Deutschland ohne Blut vergießen zu Ende gegangen. In China werden bis heute Gedenkveranstaltung an das Massaker vom Tian’anmen-Platz unterdrückt und verboten. Es stehen kaum objektiven Informationen frei zur Verfügung und in der Schule wird darüber nicht gelehrt.

"Tian’anmen" Platz bedeutet übersetzt so viel wie Platz des "Himmlischen Friedens" – was angesichts der Ereignisse fast schon zynisch erscheint. Im Juni 1989 verschloss sich China jeder Art von Reformen und ging hart gegen politisch Andersdenkende vor.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR-AKTUELL | 26. November 2022 | 19:30 Uhr