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Überwachung, Gewalt und Zersetzung durch SED-RegimeForschungsprojekt zu Langzeitfolgen von SED-Unrecht

08. November 2021, 15:06 Uhr

Welche gesundheitlichen Langzeitfolgen hatten Überwachung, Verhöre und Zersetzung durch das SED-Regime in der DDR für Betroffene? Ein groß angelegtes Forschungsprojekt möchte über drei Jahre dazu Erkenntnisse sammeln.

von Laura Meinfelder und Johanna Weinhold

Es ist heute, 31 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, wenig bekannt über die physischen und psychischen Langzeitfolgen von SED-Repressionen. Haft, Heimerfahrungen, Zersetzungsmaßnahmen oder Stigmatisierung im Alltag wirken bis heute auf die Betroffenen ein - und sich auf Lebensqualität und Alltag aus. Ein Forschungsverbund der Universitäten Leipzig, Jena, Magdeburg und Rostock wollen nun über drei Jahre diese gesundheitlichen Langzeitfolgen untersuchen. Das Ziel: Gerichtsbegutachtung, Behandlung und Lebenssituation von SED-Opfern zu verbessern und dafür sensibilisieren.

Angststörung, Krebs, PTBS

Insgesamt werden in den kommenden 36 Monaten WissenschaftlerInnen in zwölf Teilprojekten zu psychosozialen, medizinischen, psychiatrischen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Aspekten forschen. Denn es gehe nicht nur um bereits bekannte Folgeschäden wie Posttraumatische-Belastungsstörung (PTBS), Angststörung oder Depressionen. Auch komplexe Mehrfacherkrankungen wie Herz-Kreislauf-Störungen, degenerative Erkrankungen, Krebs oder Schmerzstörungen können Auswirkung von SED-Repressionen sein.

Wir gehen davon aus, dass Erfahrung mit Unrecht im weitesten Sinne langfristige Folgen haben und auch Jahrzehnte später bedeutsam sind.

Prof. Dr. Bernhard Strauß | Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena

Zersetzungsmaßnahmen und Langzeitfolgen von Doping

Aber auch eher unbekannte Belastungsformen wie Zersetzungsmaßnahmen oder staatliches Doping sollen untersucht werden. In einigen Teilprojekten sollen unter anderem Antworten auf die Frage nach anhaltenden Stigmatisierungsprozessen und Formen ritueller Gewalt in der DDR erfasst werden.

Bisherige Forschung nur punktuell

Der Mediziner und Psychologe Bernhard Strauß vom Universitätsklinikum Jena, der ein Teilprojekt im Forschungsverbund mit leitet, meint, die bisherige Forschung sei nur punktuell erfolgt: "Wir wollen versuchen zu sehen, ob dauerhafte Belastungen, die mit dem SED-Unrecht in Verbindung stehen, kurz- und langfristige oder wenn möglich auch über die Generationen hinweg, tatsächlich körperliche und seelische Dysfunktionen mit erklären können. Dieser generationsübergreifende Aspekt ist auch noch einmal Argument dafür, dass wir das jetzt untersuchen."

Dazu käme, laut Strauß, dass die Vergangenheit zunehmend in Vergessenheit geriete. Gerade die jüngeren Generation habe kaum noch Bezug zur DDR-Zeit und auch relativ bruchstückartiges Wissen über das, was da passiert sei. "Und das sind alles Gründe dafür, dass man das jetzt durchaus noch einmal intensiver in Angriff nehmen sollte", so der Jenaer Psychologe.

Begutachtungssituation für Langzeitfolgen schwierig

Aus Sicht der SED-Landesbauftragten von Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, ist das Forschungsprojekt aber noch aus anderen Gründen notwendig. Zum einen sei die Begutachtungssituation um gesundheitliche Langzeitschäden festzustellen, seit Jahren schwierig. "Gutachter entscheiden nicht selten nach Aktenlage und begutachten die Betroffenen aus unterschiedlichen Gründen gar nicht persönlich", so Neumann-Becker. "Der Grund kann auch sein, dass der Gutachter die Personen vor einer erneuten Befragungssituation schützen wollte." Damit entstehe aber eine eher lückenhaftes Bild über die Situation des Betroffenen.

Die anderen Gründe sind nach Angaben von Neumann-Becker die Nachweisführung, ob aufgetretene gesundheitliche Folgen kausal auf eine Haftsituation zurückzuführen sein können. "Wir reden hier von Ereignissen wie Haft oder Zersetzungsmaßnahmen, die vierzig, fünfzig Jahre zurückliegen. Hier bekommen wir durch das Projekt eine Chance, durch gesicherte historische Erkenntnisse eine Beweiserleichterung für die Betroffenen zu generieren."

Null Prozent Bewilligungsquote in Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt wurden 2015 nach Angaben von Birgit Neumann-Becker lediglich zehn Anträge auf Folgeschäden gestellt, bewilligt wurde kein einziger. Null Prozent also. Nicht anders sieht es für die Jahre 2016 und 2017 aus. 2018 und 2019 wurden zwei Anträge bewilligt.

Im letzten - und aktuellen - Tätigkeitsbericht des sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur von 2016 bis 2018 gehen keine Zahlen hervor. Thüringen weist in seinem Tätigkeitsbericht 2019 bis 2020 keine konkreten Zahlen aus, schreibt aber von einer Anerkennungsquote von 15 bis 20 Prozent.

Das Forschungsprojekt "Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht" wird durch Mittel des Bundesbeauftragten für die neuen Bundesländer in Höhe von 2,4 Millionen Euro gefördert.