Mädchen am Boden
Für die Dokumentation "Weiche Satan" hat Filmemacher Konrad Szolajski drei Jahre recherchiert und insgesamt 192 Stunden Filmmaterial gesammelt. Bildrechte: MDR Zeitreise

Satanismus und Dämonen "Weiche Satan!": Ist Exorzismus ein Ritual von vor-vorgestern?!

16. Juni 2017, 11:32 Uhr

Ob Teufelsaustreibung oder Dämonenvertreibung: Das Rital des Exorzismus würde man auf den ersten Blick vermutlich mit dem Mittelalter verbinden. Doch weit gefehlt, denn das "Herausbeschwören" des Bösen aus einem Menschen ist ein hochaktuelles Thema: In Polen gehört es zum Glaubensalltag tausender Menschen und auch in Deutschland, der Schweiz und Österreich ist das Thema keinesfalls "total von gestern".

Ein Mädchen wirft sich auf den Boden, windet sich wie eine Schlange und stößt animalische Laute aus. Priester mit Rosenkränzen und Kruzifixen halten sie fest. Ein alter Pfarrer spricht rituelle Beschwörungen. Die junge Frau ist 19 Jahre alt und erlebt eine Teufelsaustreibung, weil eine ihrer Lehrerinnen in ihrer pubertären Rebellion ein Werk Satans sah.

Befreiungsgottesdienst im Stadion
Befreiungsgottesdienst in einem polnischen Stadion Bildrechte: MDR Zeitreise

Die junge Frau ist eine von tausenden Menschen in Polen, die sich jedes Jahr einem Ritual aus dem tiefsten Mittelalter unterziehen. Polens Gesellschaft ist von religiösen Überzeugungen durchdrungen und tausende Menschen nehmen regelmäßig an "Befreiungsgottesdiensten" in Sportstadien oder auch am Computerbildschirmen teil.

Eine Frau liegt auf dem Boden. Ihr wird ein Kreuz auf das Gesicht gehalten.
Bildrechte: MDR/ZK Studio/HBO Europe

Der Film "Weiche, Satan! Teufelsaustreibungen in Polen" erzählt die Geschichten der Opfer von religiösem Wahn. Experten erklären, welche Macht die Kirche über die Menschen hat und warum dieses fast schon vergessene Ritual plötzlich wieder hochaktuell ist und Menschen massenhaft fasziniert. Zu Wort kommt auch ein Exorzist, der Kindern im Religionsunterricht eine Plastikschachtel mit rostigen Nägeln zeigt, die Besessene während eines Anfalls ausgespuckt haben sollen – aber auch ein katholischer Priester, der Psychotherapeut ist und keinesfalls an Besessenheit glaubt.

Der polnische Filmemacher Konrad Szolajski hat von 2012 bis 2015 an seinem Film gearbeitet. Er sammelte zweihundert Stunden Drehmaterial – umgerechnet acht Tage Filmstoff. Sein Film zeigt drei junge Frauen, die mit Zwangsvorstellungen, Ängsten und Kontrollverlusten kämpfen. Die schlimmsten Momente spart der Filmemacher in seiner Dokumentation aus Respekt vor den Frauen aus.

Das Ritual Zu dem jahrhundertealten Ritus aus dem Jahr 1614, dem "Rituale Romanum", vollzogen von einem dafür ausgebildeten Priester, gehören Gebete, Psalmen, Evangeliumstexte und Glaubensbekenntnisse. Äußerlich "angewandt" werden dabei Kruzifix, Weihwasser, Rosenkranz und Handauflegung.

Exorzismus in Polen, Deutschland, Österreich, Schweiz  

In Polen ist es für Menschen, die sich besessen glauben, leicht, einen Exorzisten zu finden. 130 Priester sind offiziell ermächtigt, Exorzismus-Rituale abzuhalten. Eine polnische Internetseite der katholischen Kirche listet Gebete, Adressen und Telefonnummern von Ansprechpartnern auf.

In Deutschland ist das ganz anders – direkte Ansprechpartner oder Namen sucht man bei der katholischen Kirche in Deutschland im Internet fast vergebens: Die Kirchen halten sich beim Stichwort Exorzismus bedeckt. Namen für offiziell benannte, kirchlich beauftragte Exorzisten sind für kein katholisches Bistum öffentlich bekannt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es in Deutschland keine Exorzismen gibt – lediglich, dass es vielleicht keine gibt, über die die katholische Kirche spricht. Im April 2015 referierte zum Beispiel Pater Helmut Moll, Exorzimus-Experte aus Köln, bei einem Exorzismus-Kurs in der katholischen Universität Regina Apostolorum in Rom – Thema: Kriterien der Besessenheit.

Woran sich Besessenheit zeigt - nach Peter Moll, Beauftragter des Erzbistums Köln für Exorzismus Vom Teufel besessene Menschen können in fremden Sprache sprechen oder sie verstehen. Sie können auch weit zurückliegende und geheimnisvolle Ereignisse offenlegen. Sie reagieren mit Flüchen, Verwünschungen, und Tobsuchtanfällen auf Kontakt mit den "Arbeitsinstrumenten" der Exorzisten - also auf Weihwasser, Kruzifixe und Heiligenbilder.

Exorzismus-Beauftragte hier anonym, da öffentlich bekannt

Weiter südlich, in Österreich lässt die katholische Kirche zwar wissen, dass es "Beauftragte im Befreiungsdienst", wie man sie in Kirchenkreisen lieber nennt: In Wien, St. Pölten und für die Diözose Linz sind Beauftragte zu finden, doch auch hier wird mit Namen gegeizt. Man will sie vor Neugier und Sensationslust schützen, heißt es.

Ganz anders dagegen in der Schweiz: Christoph Casetti, Bischofsvikar des Bistums Chur, ist offizieller Exorzist seines Bistums, insgesamt hat diese Verwaltungseinheit noch zehn weitere Exorzismus-Beauftragte benannt. Casetti zufolge ist die Nachfrage nach Exorzismus größer geworden, jeden Monat erhält er Dutzende Anfragen von Menschen, die sich einem bösen Geist besessen fühlen. Viele Anfragen kommen Casetti zufolge aus Deutschland. Anonymität für die Schweizer Exorzisten ist kein Gebot, im Gegenteil, sie werden in den Schweizer Medien oft befragt und zitiert.  

Auf Exorzismen oder "Befreiungsdienste“, wie Kirchen das "Herausbeschwören" von Dämonen lieber nennen, hat die katholische Kirche kein "Monopol". Wer Exorzisten oder Befreiungsdienstler sucht, stößt im Internet leicht auf ein weites und unüberschaubares Feld - Menschen oder andere Kirchen, die ebenfalls Dämonenaustreibungen nach allerlei Riten anbieten.

Tödliche Teufelsaustreibungen

Der wohl bekannteste Fall einer "Austreibung" in Deutschland ist der Fall der 23 Jahre alten Studentin Anneliese Michel. Sie war in 1976 nach 67 Austreibungsritualen in ihrem Elternhaus gestorben, an Unterernährung und Erschöpfung, gerade noch 31 Kilo schwer. Spätere medizinische Gutachten kamen zu dem Schluss, dass die Frau an Epilepsie erkrankt war. Im Dezember 2015 sorgte eine mutmaßliche Teufelsaustreibung in Frankfurt/Main für Schlagzeilen: Dabei sollen Verwandte versucht haben, den Teufel auszutreiben – die "Besessene" erstickte.

Der Vatikan und der Exorzismus

Das alte Ritual des so genannten Großen Exorzismus, das Rituale Romanum, stammt aus dem Jahr 1614. Es sollte die Rituale der Teufelsaustreibungen, die Priester bis dahin jeder auf seine Weise vornahmen, vereinheitlichen und strukturieren. Es wurde 1999 vom Vatikan überarbeitet: Seither müssen kirchlich benannte Teufelsaustreiber prüfen, ob eine Besessenheit vorliegt und gegebenenfalls Mediziner und Psychiater einschalten. Nur wenn eine psychische Krankheit ausgeschlossen werden kann, dürfen Priester Exorzismen ausführen.

In Rom wurde 1990 auch die "Internationale Gesellschaft der Exorzisten" gegründet. Heute sollen ihr in 30 Ländern etwa 300 Geistliche angehören und sich alle zwei Jahre zu Kongressen treffen. Ihr Gründer war Gabriele Amorth, der 1986 von Papst Johannes Paul II. zum amtlichen Exorzisten berufen wurde. Amorth hatte zuvor das Handbuch "Ein Exorzist erzählt" verfasst. Seine Organisation wurde 2014 vom Vatikan offiziell anerkannt. Ihr Gründer, Amorth, hatte nach eigenen Angaben 70.000 Exorzismen vorgenommen, bevor er im August 2016 starb.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Weiche, Satan! Teufelsaustreibungen in Polen | 18.06.2017 | 23:30 Uhr