Das Geburtshaus von Joachim Ringelnatz in Wurzen
Geburtshaus von Joachim Ringelnatz in Wurzen Bildrechte: IMAGO / imagebroker/Nitzschke

Der Dichter Joachim Ringelnatz aus Wurzen

05. Oktober 2021, 14:28 Uhr

Ringelnatz? Ist das nicht der mit den Turngedichten und dem Seemann Kuttel Daddeldu? Klar, Ringelnatz und seine lustigen Reimereien kennt jeder. Aber der kleine, zierliche Mann mit der großen Nase war mehr als nur ein harmloser Unterhaltungskünstler. Er, der eigentlich Hans Bötticher hieß, war ein Prosa-Autor von Rang und zudem Maler.

Joachim Ringelnatz kam am 7. August 1883 als Hans Bötticher in Wurzen zur Welt. Der Vater war Chefmusterzeichner in der Wurzener Tapetenfirma August Schütz. Vier Jahre später zog Familie Bötticher in die Messe- und Buchstadt Leipzig in die Straße "An der Alten Elster". Für den kleinen Hans war der Fluss "Alte Elster" ein beliebter Abenteuerspielplatz. Der stets zu Streichen aufgelegte Junge wuchs in einem toleranten Elternhaus auf.

Wie der Vater so der Sohn

Der Vater Georg Bötticher verfasste humoristische Gedichte und Erzählungen in sächsischer Mundart wie zum Beispiel den damals beliebten "Auerbachs Deutscher Kinderkalender". Der Vater war stolz auf die dichterischen Fähigkeiten seines Sohnes. Der kleine Bötticher trug auf Familienfeiern originelle kleine Gedichte und Geschichten vor. 1905 schloss Georg Bötticher sein großes Atelier in der Fregestraße und arbeitete als freier Schriftsteller und veröffentlichte vorwiegend in Reclams Universalbibliothek. Eine Gedenktafel an der Rückseite des Alten Rathauses in Leipzig erinnert an sein Wirken.

Geschenke für die Samoanerinnen

Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz (undatiertes Bild) Bildrechte: picture alliance/dpa

Die Schulzeit ist Ringelnatz stets in unangenehmer Erinnerung geblieben. Das aufmüpfige Kind litt unter den Strafen der Lehrer. Der Besuch des Königlich- Sächsischen Gymnasiums endete für Hans Bötticher vorzeitig: Dem 14jährigen Gymnasiasten begeisterte eine sogenannte Völkerschau im nahegelegenen Zoo. Später erinnerte er sich: "...Ich befand mich in den Pubertätsjahren und konnte mich an den bronzefarbenen, dunkelhaarigen Frauen nicht satt sehen. Da mein kleines Taschengeld für Geschenke nicht ausreichte, entwendete ich zu Hause nach und nach unseren gesamten Christbaumschmuck". Die beschenkten Samoanerinnen dankten dem Halbwüchsigen mit einem "H" auf dem Arm, das er sich während der Hofpause tätowieren ließ. Hans Bötticher flog von der Schule und wurde auf die Tollersche Erziehungsanstalt strafversetzt. Das Reifezeugnis berechtigte ihn zum "Einjährig Freiwilligen Militärdienst".

Als Schiffsjunge um die Welt

1901 ging der langgehegte Traum von der Seefahrt in Erfüllung. Der Vater hatte ihm eine Lehrstelle auf dem Segelschiff "Elli" verschafft. Als Schiffsjunge bereiste er Venedig, Konstantinopel, Liverpool, Rio de Janeiro und viele andere Orte.

Doch das Abenteuerleben und die Freiheit des Matrosen wurden von den miserablen Arbeitsbedingungen auf See überschattet. Aufgrund seiner Sehschwäche wechselte der junge Bötticher 1903 in den einjährig- freiwilligen Militärdienst auf den Kreuzer "S.M.S. Nymphe".

Seine Erlebnisse zur See veröffentlichte er 1910/1911 im "Schiffsjungen- Tagebuch". Nach der Entlassung als Bootsmaat begann er eine Kaufmannslehre in Hamburg. In dieser Zeit begann der Dichter zu schreiben und zu malen. Doch das Angestelltenleben wurde ihm zu langweilig, er kündigte und begab sich auf Reisen nach England. Der fahrende Musikant endete als Obdachloser im Gefängnis von Antwerpen.

Schlangenbändiger

Alle Mann an Bord, ihr Mühseligen und Geladenen, in meine himmlisch verschwimmende Hafenkneipe, komme, wer ein Gelüst hat auf Lust, in See zu stechen und anderswo. Verlasst den schwankenden Boden der Nüchternen, und kommt in das undichte Boot meiner Dichtung .... Kommt, ihr Sehleute (ein Blick ins Glas gibt mehr Sehschärfe als das beste Scherenfernrohr), und dann zwei Blicke ins Leben: einer von oben herab, vom Mastkorb, und einer von unten, auf die Planken hingestreckt, kühn der Zeit unter die Röcke geblinzelt. Lasst uns eins zwitschern wie die Nachti-Galle, dass es an Herz und Nieren geht, ins Auge, und meistens ans Zwerchfell .... Dies sagt euch der Ringelnatz, erfahren in allen Untiefen und in mehr als dreißig Berufen, darunter: Schlangenbändiger ... Ringelnatz

"Tabackhaus: Zum Hausdichter" in München

1909 kam Hans Bötticher nach München. Dort entdeckte er das Künstlerlokal "Simpl" ("Simplicissimus"), wo sich die Boheme der Zeit traf: Frank Wedekind, Klabund, Hermann Hesse, Erich Mühsam und andere. Hier begann seine literarische Karriere. Er stieg zum Hausdichter des "Simpl" auf und trug allabendlich seine Verse vor. Zur gleichen Zeit eröffnete Ringelnatz in der Schellingstraße das "Tabackhaus: Zum Hausdichter". Das Schaufenster des kleinen Ladens wurde mit einem menschlichen Gerippe dekoriert, welches "zwischen Zigarrenkisten und Zigarettenschachteln herumwühlte". Das Reklameschild warb mit "Damen und Herren werden auf Wunsch gegen Bezahlung angedichtet.....Es grüßt der Hausdichter!". Die so verschreckten Kunden ließen den Laden bereits nach einem Jahr in Konkurs gehen.
In verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte Hans Bötticher unter den Pseudonymen Pinko, Pinko Meyer und Fritz Dörry erste Gedichte und Novellen.

1910/1911 folgten verschiedene Reisen und private Weiterbildungen. Als Privatbibliothekar bei Heinrich Graf von York und bei Baron Börries von Münchhausen verdiente sich Hans Bötticher in den folgenden Jahren seinen Lebensunterhalt. Die 1913 erschienene Novellensammlung "Ein jeder lebts" brachte erste schriftstellerische Anerkennung.

Freiwillig zur Kriegsmarine

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges meldete sich der 31jährige Bötticher als Freiwilliger zur Kriegsmarine. Anfänglich erfüllt von der Verherrlichung der kaiserlichen Marine, erlebte er den schikanierenden Alltag auf einem Minensuchboot. Als Querulant schob die Marine Leutnant Bötticher schließlich auf den Außenposten einer Luftabwehr- Maschinengewehrabteilung bei Cuxhaven . Sein dort angelegtes Terrarium voller Blindschleichen, Frösche, Eidechsen und Ringelnattern festigte seinen Ruf als Sonderling. Während des Matrosenaufstandes 1918/1919 in Kiel soll er als einziger Offizier Zugang zum Arbeiter- und Soldatenrat gehabt haben.

Eine Doppelbegabung: Dichter und Maler

Nach dem Krieg erlebte der 35jährige ein schweres Nachkriegsjahr mit Hunger und anderen Entbehrungen. Ende 1919 wurde aus Hans Bötticher Joachim Ringelnatz. Unter diesem Pseudonym veröffentlichte er künftig seine Werke als Dichter und Maler. Ob das Pseudonym "Ringelnatz" nun an das Seepferdchen, seemännisch "Ringelnass", erinnern sollte oder als poetisches Gedenken an seinen "Schlangenzoo" gedacht war, ließ der Dichter im unklaren:"...Es sei ihm so eingefallen...".
In der Nachkriegszeit entstehen die "Turngedichte" und die "Kuttel Daddeldu- Poeme".

"Kuttel Daddeldu" erobert das Kabarett

Theaterstück von Ringelnatz, geschrieben für Asta Nielsen,damit ging er dem er mit dem Theater Nordhausen auf Tournee
Die Flasche, Theaterstück von Joachim Ringelnatz, geschrieben für die Schauspielerin Asta Nielsen Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky

An seinem 37. Geburtstag 1920 heiratet er mittellos seine 15 Jahre jüngere Frau Leonharda Pieper, von ihm liebevoll Muschelkalk genannt, in München. Ringelnatz' Karriere als Vortragskünstler begann in der Berliner Kleinkunstbühne "Schall und Rauch". Mit dem Vortragen seiner Gedichte verdiente der Autor als "reisender Artist" in den 20er Jahren seinen Lebensunterhalt. Er trat in allen großen Städten Deutschlands, in Prag, in Zürich und Wien als Kabarettist auf. Mit dem Seemann "Kuttel Daddeldu" schuf Ringelnatz eine neue Kunstfigur des literarischen Kabaretts. Seine abwechslungsreichen Programme begeisterten das Publikum.
Joachim Ringelnatz schrieb zwischen 1910 und 1934 fast 20 Bücher: Gedichtbände, zwei Autobiografien, Romane, Bühnenstücke und nicht zu vergessen seine Kinderbücher.

In den 20er Jahren schuf der Künstler Ringelnatz neben seinem literarischen Werk auch eine Anzahl von Bildern. 1923 fand eine erste Ringelnatz- Ausstellung in der Galerie Flechtheim in Berlin statt. Seine Bilder spiegeln oft auch die Schwere seiner Gedanken wider. Joachim Ringelnatz wurde oft verkannt als komischer Kauz und Dichter heiter skurriler Verse. Hinter dem markanten Gesicht, das "zur Karikatur reizte", stand ein ernsthafter Künstler mit einer Doppelbegabung.

Bühnenverbot durch die Nazis - Erkrankung

Anfang 1930 flüchtete Ringelnatz aus München, "der Hauptstadt der braunen Bewegung", nach Berlin. In der Hauptstadt fand er die Anerkennung von vielen Malern und Schauspielkollegen, die sein Talent erkannten und förderten. In Berlin führte er ein arbeitsintensives Leben als Schriftsteller, Maler und Vortragskünstler. 1932 geht er mit dem Seemannstück "Die Flasche" auf Deutschland- Tournee. Mit Machtantritt der Nationalsozialisten wurden seine Bücher auf den Index gesetzt und Ringelnatz erhielt Bühnenverbot. Sein letzter öffentlicher Auftritt war anlässlich seines 50. Geburtstages bei der Feier im Hotel Kaiserhof.

Da war er schon an einer lang verschleppten Tuberkulose erkrankt. 1934 wenden sich seine Freunde (Asta Nielsen, Paul Wegener, Ernst Rohwohlt, Renee Sintensis u.a.) mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit, um ihm einen Krankenhausaufenthalt zu ermöglichen. Im Oktober 1934 unheilbar krank aus der Lungenheilstätte entlassen, stirbt Joachim Ringelnatz am 17. November in seiner Berliner Wohnung. Die Grabplatte aus Muschelkalk auf dem Waldfriedhof an der Heerstraße trägt die von Renée Sintenis gezeichneten Worte: "Joachim Ringelnatz".

Spuren

Ringelnatz-Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Wurzen
Ringelnatz-Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Wurzen Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky

2000/2001 würdigte eine einmalige Ausstellung den Maler Ringelnatz. Im Rahmen eines Expo-Projektes wurden von der Universität Göttingen Exponate aus privaten Sammlungen, Museen und dem Ringelnatz-Nachlass zusammengetragen. In seiner Geburtsstadt Wurzen wird mit der Ringelnatz-Gedenkausstellung im kulturgeschichtlichen Museum und dem Ringelnatz-Sommer an ihn erinnert. 2002 wurde von der Stadt Cuxhaven wieder ein Ringelnatzpreis für Lyrik verliehen.

Über dieses Thema berichtete der Mdr im TV auch in "MDR um 4" 25.01.2016, 16.00 Uhr