16.07.1927: Reichstag ratifiziert Washingtoner Übereinkommen Die Geschichte des Mutterschutzes in Deutschland

08. März 2021, 17:23 Uhr

1927 hat Deutschland eine internationale Vereinbarung zum Mutterschutz angenommen. Erste Regelungen zum Mutterschutz hatte es in Deutschland schon vorher gegeben - allerdings aus ökonomischen Gründen unannehmbar für Frauen aus den armen Bevölkerungsschichten. Die Geschichte des Mutterschutzes ist bis heute ein Tauziehen zwischen Politik, Wirtschaft sowie den Bedürfnissen der Frauen und Familien.

Am 16. Juli 1927 ging der Reichstag einen wichtigen Schritt zur gesetzlichen Verbesserung der Situation berufstätiger Frauen in Deutschland und ratifizierte die "Washingtoner Übereinkunft über die Beschäftigung von Frauen vor und nach ihrer Niederkunft".

Diese war bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Oktober 1919 auf einem Kongress der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), damals eine Einrichtung des Völkerbundes und heute eine UN-Sonderorganisation, getroffen worden. Für die damalige Zeit waren weitreichende Regelungen zum Mutterschutz vorgesehen: neben den damals bereits üblichen Beschäftigungsverboten und dem Wochengeld gehörten dazu etwa ein Kündigungsschutz und betrieblich garantierte Stillpausen. Vor allem dehnte sie aber den Kreis derjenigen aus, die Anspruch auf Mutterschutz hatten: auf alle versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen – mit Ausnahme der Frauen, die in Land- und Forstwirtschaft sowie der Hauswirtschaft tätig waren. 

"Das Washingtoner Abkommen nach dem Ersten Weltkrieg war eine wichtige Zäsur", sagt Katja Nebe, Professorin für Arbeitsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: "Der Frauenarbeitsschutz, der Mutterschutz bekam auf einmal einen großen Stellenwert in der Internationalen Arbeitsorganisation, die ja zur Befriedung nach dem katastrophalen Ersten Weltkrieg gegründet worden ist."

Frauen können sich Beschäftigungsverbot nicht leisten

Der erste Schritt wurde 1878 gegangen, als erstmals ein Beschäftigungsverbot für Frauen drei Wochen nach der Niederkunft in Kraft trat – unbezahlt, versteht sich. Für Katja Nebe ist es symptomatisch, dass der Mutterschutz in Deutschland mit Verbotsregelungen begann:

Da wurde ein Beschäftigungsverbot für die Frauen eingeführt und dann hat man gemerkt, die Frauen nehmen es nicht in Anspruch, weil dieses Beschäftigungsverbot nicht durch eine Entgeltersatzleistung abgesichert war. Das hat man dann nachgeholt und den Frauen 1883 auch eine Versicherungsleistung für die Dauer dieses Beschäftigungsverbotes zugestanden

Katja Nebe, Professorin für Arbeitsrecht, Halle

Die Frauen bekamen damals für diesen Zeitraum ein Krankengeld von 50 Prozent des Lohnes bewilligt – für viele Frauen zu wenig.

In den folgenden Jahren wurden die Schutzfrist schrittschenweise ausgeweitet und die Bezüge leicht angehoben. Dann kam der Erste Weltkrieg. Der brachte zwar finanzielle Verbesserungen durch die "Reichswochenhilfe", gleichzeitig wurde der Arbeitsschutz durch die Notverordnung zurückgefahren. Man brauchte die Frauen in den Munitionsfabriken.

Nach Kriegsende tat sich erst einmal wenig. Erst 1926 beschloss der Reichstag, die deutschen Gesetze an das bereits 1919 verabschiedete Washingtoner Abkommen anzupassen. Das am 16. Juli 1927 trotz des massiven Widerstandes der Industrie verabschiedete "Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft" behielt seine Gültigkeit bis in die NS-Zeit hinein.

NS-Zeit: Mutterschutz soll "Wehrkraft" des Volkes erhalten

1941 legten die Nazis einen eigenen Entwurf für ein Mutterschutzgesetz vor. Es hatte den Erhalt der "Wehrkraft" des Volkes zum Ziel. Nach einigem Hin und Her zwischen verschiedenen staatlichen Stellen trat es 1942 in Kraft. Das Gesetz brachte unter anderem eine Ausdehnung auf Landarbeiterinnen, eine längere Schutzfrist für stillende Mütter und die Anhebung des Wochengeldes auf das Niveau ihres vorherigen Lohnes. 1944 wurde außerdem ein Stillgeld eingeführt.

Jüdinnen und Ausländerinnen, die nicht zur "Festigung des deutschen Volkstums" beitrugen, genossen keinen oder nur minimalen Schutz.

In der Zeit der faschistischen Diktatur in Deutschland rückte die Rolle der Frau zu Reproduktionszwecken deutlich in den Fokus. Das führte dazu, dass der Mutterschutz verbessert wurde. Das muss man in diesem Zusammenhang auch sehen und darf die Verbesserungen im Mutterschutzgesetz vor diesem Hintergrund nicht lobpreisen.

Katja Nebe

Nach dem Zweiten Krieg behielt man zunächst Teile der NS-Gesetzgebung bei und fiel in anderen Bereichen auf den Stand der Gesetzgebung von 1927 zurück. Im geteilten Deutschland wurde der Mutterschutz dann Anfang der 1950er-Jahre unterschiedlich geregelt.

DDR schreibt Mutterschutz schon 1950 fest

In der DDR trat bereits 1950 das "Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau" in Kraft, in dem neben dem Mutterschutz auch der Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung und die Förderung der berufstätigen Frau festgeschrieben wurden. Frauen wurden fünf Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes freigestellt und bekamen Leistungen in voller Höhe ihres Lohnes. Versicherte Frauen erhielten in der DDR zusätzlich 50 Mark für die Wäscheausstattung des Babys. Ab 1958 bekamen stillende Mütter zusätzlich sechs Monate lang ein Stillgeld von zehn D-Mark. Außerdem gab es verschiedene Beihilfen für kinderreiche Familien. Mitte der 1970er-Jahre wurden weitere Vergünstigungen für Mütter beschlossen, darunter die wichtigste: das bezahlte Babyjahr.

Adenauer-Regierung hat es nicht so eilig

Die Bundesrepublik tat sich etwas schwerer mit der Neufassung des Mutterschutzes. Die SPD hatte auf eine schnelle Neuregelung gedrängt, doch die Regierung unter Konrad Adenauer hatte sich Zeit gelassen. In der Bundestagsdebatte am 12. Dezember 1951 legte die SPD-Abgeordnete Liesel Kipp-Kaule nochmal den Handlungsbedarf dar:

Die Erwerbsarbeit gefährdet nicht nur die Schwangerschaft der Frau, sondern auch die Mutter und den Säugling. Und aus dieser Erkenntnis heraus, meine Damen und Herren, ist man in allen Ländern Europas dazu übergegangen, einen Arbeitnehmerinnenschutz einzuführen.

Liesel Kipp-Kaule, SPD-Abgeordnete im Bundestag

Nach hitzigen Diskussionen wurde das "Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter" verabschiedet und  trat am 24. Januar 1952 in Kraft. Es bildet bis heute die Grundlage für den gesetzlichen Mutterschutz.

Von da an konnten Frauen sechs Wochen vor und nach der Niederkunft bei vollen Bezügen zu Hause bleiben. Sie durften während der Schwangerschaft keine schwere körperliche Arbeit verrichten, auch Nacht- und Akkordarbeit war verboten. Darüber hinaus galt ein Kündigungsschutz bis vier Monate nach der Geburt.

Dieses Gesetz wurde im Laufe der Zeit immer wieder ergänzt und angepasst, aber nicht ernsthaft reformiert. So wurde 1965 das Beschäftigungsverbot auch auf Haushaltshilfen erweitert Zusätzlich gab es während der Schutzfristen ein Krankengeld von 25 Mark, die zulässigen Arbeitszeiten wurden weiter verkürzt und die Frauen erhielten Anspruch auf kostenlose Vorsorgeuntersuchungen und Hebammen-Dienstleistungen.

Hoher Stellenwert der berufstätigen Frau in der DDR

Katja Nebe, Professorin für Arbeitsrecht Uni Halle
Katja Nebe, Arbeitsrechtlerin an der Uni Halle Bildrechte: Uni Halle / Maike Glöckner

Arbeitsrechtlerin Nebe sieht den Hauptunterschied zwischen dem Mutterschutz in der DDR und in der Bundesrepublik nicht nur anhand konkreter Einzelregelungen, sondern vor allem in der Haltung, mit der Politik für Frauen und Mütter gemacht wurde: "Die berufstätige Frau hatte in der DDR einen hohen Stellenwert, einfach weil sie als Arbeitskraft gefragt war und weil die Gleichberechtigung von Mann und Frau dem sozialistischen Gesellschaftsbild entsprach. Das wurde zwar in bestimmten hierarchischen Ebenen nicht durchgehalten, aber im Vergleich zu Westdeutschland – und das sieht man noch heute - war die Erwerbsbeteiligung von Frauen und damit auch von Müttern oder schwangeren Frauen deutlich selbstverständlicher als seinerzeit im paternalistisch-fürsorglichen Westdeutschland."

Die weitere Entwicklung

Im Oktober 1992 wurde auf europäischer Ebene eine Richtlinie zum Mutterschutz verabschiedet, die statt der strikten und pauschalen Beschäftigungsverbote, wie sie in Deutschland galten, Risikobewertungen des konkreten Arbeitsplatzes vorsahen. Der deutsche Gesetzgeber reagierte mit einer Mutterschutzarbeitsplatzverordnung, die jedoch in der Praxis oft nicht umgesetzt wurde.

Aktuell gilt: Die Schutzfrist für werdende Mütter gilt sechs Wochen vor der Niederkunft, es sei denn, die Frau will ausdrücklich weiter arbeiten. Im Normalfall gilt acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten 12 Wochen nach der Geburt ein absolutes Beschäftigungsverbot – beides bei vollem Lohnausgleich.

Doch die seit 1952 veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen machten auch eine grundlegende Reform des Mutterschutzgesetzes notwendig. Am 29. März diesen Jahres wurde die Novellierung vom Bundestag beschlossen, am 7. Juli gab auch der Bundesrat seine Zustimmung. Sie tritt am ersten Januar 2018 in Kraft. 

Fazit

Seit knapp 140 Jahren gibt es den Mutterschutz in Deutschland nun, und er hatte bei aller Fürsorglichkeit mit seinen strikten Verboten auch immer einen bevormundenden Unterton. In dem Maße, wie Frauen politisch Einfluss gewonnen haben, wurden auch die Regelungen zum Mutterschutz ausgeweitet und den Bedürfnissen der Frauen angepasst. Doch dass die Grundlagen des Mutterschutzes in der Nachkriegszeit, in einer Gesellschaft in der noch deutlich andere Vorstellungen von Mutterschaft galten, ist immer noch zu spüren - eine Novellierung war daher überfällig.

Über dieses Thema berichtete der MDR Aktuell auch im: Radio | 07.07.2017 | 10:00 Uhr