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So sehen die Medaillen des Nobelpreises aus. Bildrechte: imago/imagebroker

Nobelpreisträger ohne StaatsgrenzenWie die DDR zu einem Nobelpreis kam

10. Dezember 2022, 05:00 Uhr

Wem gehören die Nobelpreise? Den damit ausgezeichneten Wissenschaftlern, Schriftstellern und Friedenskämpfern natürlich! Der schwedische Sprengstoff-Erfinder und Industrielle Alfred Nobel hatte ausdrücklich verfügt, dass bei der Verleihung des von ihm gestifteten hochdotierten Preises die Nationalität keine Rolle spielen dürfe. Rankings, welches Land die meisten Preisträger hervorbringt, gibt es trotzdem. So kommt es auch, dass die DDR einen Nobelpreisträger hatte - 24 Jahre vor ihrer Gründung!

Gustav Hertz (1887-1975) gilt als der einzige Nobelpreisträger der DDR. Die vielen Brüche in der Geschichte des 20. Jahrhunderts führen zu diesem Kuriosum. Bekommen hat Hertz den wichtigen Preis nämlich schon im Jahr 1925! Gustav Hertz wurde zusammen mit James Franck für die gemeinsamen Experimente zum Verhalten von Elektronen beim Zusammenstoß mit Atomen geehrt. Die beiden Forscher erbrachten mit ihrem Versuch einen Beleg für das Atommodell von Niels Bohr und die Quantentheorie. Hertz arbeitete die nächsten zehn Jahre an der Universität Halle und der Technischen Hochschule Charlottenburg (später TU Berlin). Als ihm 1935 wegen jüdischer Vorfahren die Prüfungsberechtigung entzogen wurde, ging Hertz wieder in die Industrie zurück und übernahm ein Labor im Siemens-Halske-Konzern.

Die Physiker-Karriere des Gustav Hertz

1945 wurde Hertz mit Manfred von Ardenne und anderen Atomforschern im Rahmen der Reparationen in die Sowjetunion gebracht. In Suchumi am Schwarzen Meer wurde unter Hertz' Leitung ein Forschungszentrum aufgebaut, in dem es um die Anreicherung von Uran ging. Hertz kehrte 1954 nach fast einem Jahrzehnt intensiver Forschungen nach Deutschland zurück - in die inzwischen gegründete DDR. Dort wurde er Direktor des physikalischen Instituts an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Außerdem übernahm er die Leitung des Wissenschaftlichen Rates für die friedliche Anwendung der Atomenergie. In diesem Gremium wurde der Aufbau des Dresdner Zentralinstituts für Kernforschung (heute Forschungszentrum Dresden-Rossendorf) vorbereitet. 1961 ging der hoch angesehene Vorzeige-Wissenschaftler in den Ruhestand. Hertz war also der einzige Nobelpreisträger, der in der DDR lehrte und forschte.

Nobelpreisträger - ohne Staatsgrenzen

Marie Curie Bildrechte: imago/United Archives Internatio

Doch man muss nicht einmal einen untergegangenen Staat bemühen, um zu sehen, dass Länderstatistiken zu den Nobelpreisen nicht korrekt sein können. Schon bei Marie Curie, der ersten Frau unter den Preisträgern, geht die Zuordnung nicht auf. Die Polin geht gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Frankreich, weil sie dort als Frau in den Naturwissenschaften studieren und forschen kann. Und welchem Staat rechnet man den Friedensnobelpreis für Albert Schweitzer (1875-1965) zu? Er wurde geboren, als seine Heimat Elsass zwischenzeitlich zum Deutschen Kaiserreich gehörte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nahm Schweitzer die französische Staatsbürgerschaft an, sah sich aber ohnehin als Weltbürger. Und wer würde den Friedensnobelpreis für den deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (1913-1992), den dieser 1971 für den Kniefall von Warschau und seine Ostpolitik erhielt, auch Norwegen zurechnen? Wohl niemand, obwohl Brandt im Exil im Zweiten Weltkrieg einen norwegischen Pass hatte.

Was Nationalitäten-Rankings der Nobelpreisträger betrifft, so verzichten die Nobelpreis-Komitees - ganz im Sinne des Stifters - inzwischen auf eine Auflistung von Nationalitäten. Zu oft haben sich im 19. und 20. Jahrhundert Staatsgrenzen verschoben, mussten hochkarätige Forscher und talentierte Schriftsteller ihre Heimat verlassen.

Nobelpreis: Ein Preis der westlichen Welt?

Blickt man auf die Geschichte der Verleihung der Nobelpreise seit dem Jahr 1901 zurück, gingen in den Jahrzehnten zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks nur wenige Nobelpreise an Wissenschaftler in sozialistischen Ländern, vorzugsweise in die Sowjetunion. Sei es, weil das Gros der bahnbrechenden Forschungen in den USA und Westeuropa gemacht wurde oder die Forscher international weniger vernetzt waren und bei den Nobelpreis-Komitees kaum eine Lobby hatten.

Nobelpreise für Literatur und Frieden - Zeug zum Politikum

Der Nobelpreis für Literatur und der Friedensnobelpreis dagegen wurde im Verhältnis zu den Wissenschaftspreisen überproportional in den Osten vergeben. Diese in der Öffentlichkeit besonders beachteten Auszeichnungen stellten dann in der Regel auch ein Politikum dar. Boris Pasternak (1890-1960) zum Beispiel erhielt den Literatur-Nobelpreis im Jahr 1958 für seinen Roman "Doktor Schiwago". Das Buch war 1957 nur im Ausland erschienen, in der Sowjetunion wurde es erst im Zuge der Perestroika 1987 veröffentlicht. Die Regierung wertete die Vergabe des Nobelpreises an Pasternak als unfreundlichen Akt. Pasternak lehnte die Auszeichnung angesichts des politischen Drucks ab. Sein Sohn nahm die Medaille dann 1989 stellvertretend wieder entgegen.

In der Kategorie Literatur erhielten auch noch Michail Scholochow (1905-1984) im Jahr 1965 für das vierbändige Werk "Der stille Don" und Alexander Solschenizyn 1970 den Nobelpreis. Im Fall von Scholochow passte dem Regime die Ehrung offenbar besser in die damalige Politik. Bei Alexander Solschenizyn (1918-2008) sah es dagegen schon wieder anders aus. Er, der in seinen Werken die Verbannung von Millionen Menschen und die Grausamkeiten den Gulags aus eigener jahrelanger Erfahrung thematisierte, war zum Zeitpunkt der Preisvergabe im eigenen Land schon in Ungnade gefallen. Mit Chruschtschows Sturz 1964 war auch für Solschenizyn die Tauwetterperiode vorbei. Nach Stockholm fuhr er 1970 nicht, weil er - wie zuvor auch Pasternak, Angst hatte, nicht wieder in die Sowjetunion einreisen zu dürfen. 1974 wurde er erst verhaftet, am nächsten Tag aus der Sowjetunion ausgewiesen und verbrachte 20 Jahre im Ausland, die meiste Zeit davon in den USA.

Den Nobelpreis nicht entgegennehmen konnte auch der sowjetische Atomphysiker und Menschenrechtler Andrej Sacharow (1921-1989). Für sein Eintreten für Demokratie, Minderheitenrechte und politische Gefangene wurde er 1975 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Seine Frau holte die Medaille für ihn ab. Die Ehefrau war es übrigens auch beim polnischen Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, die die Auszeichnung in Norwegen entgegennahm. Der Mitbegründer und Anführer der Gewerkschaft Solidarnosc befürchtete damals ebenfalls, nicht wieder ins Heimatland hineingelassen zu werden. Für Sacharow bedeutete die Entgegennahme des Nobelpreises weitere Repressalien staatlicherseits. Er und später auch seine Frau wurden nach Kritik am sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1980 nach Gorki verbannt. Michail Gorbatschow hob die Verbannung 1986 auf und holte Sacharow zurück nach Moskau. Für Glasnost und Perestroika wurde Gorbatschow dann 1990 selbst der Friedensnobelpreis zuerkannt.

Dieser Artikel erschien erstmals im Oktober 2018.

(pkl)

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im:Radio | 05.10.2018 | 05:00 Uhr