Ostfrauen: Selbstbewusst. Unabhängig. Erfolgreich.

10. Dezember 2019, 12:26 Uhr

Sie machen Karriere, nicht nur in der Politik. Sie meistern Beruf und Familie, weil sie es nicht anders kennen. Sie pfeifen auf Emanzipation, weil sie schon emanzipiert sind. Was ist dran am Mythos "Ostfrau"?

Erste Liebe, erste Wohnung, Lebensplanung im real existierenden Sozialismus – aber unter den Vorzeichen einer gelebten Gleichberechtigung. Die deutsche Teilung manifestiert sich in vielen Bereichen. Auch hinsichtlich der Rolle der Frau unterscheiden sich die beiden deutschen Staaten grundlegend. In der Bonner Republik kämpfen Frauen für die Gleichheit zwischen Mann und Frau, in der DDR arbeiten Frauen Vollzeit, müssen niemanden dafür um Erlaubnis bitten, sie sind Kranfahrerinnen, Ärztinnen, Physikerinnen oder Kindergärtnerinnen. In der DDR gibt es andere Wege und andere Formen der Frauenemanzipation - eine von oben verordnete und eine im Alltag gelebte.

Arbeit, Kinder, Haushalt - alles zusammen

Die Frauen der DDR haben sich diese Emanzipation nicht erkämpft, sie war Staatsdoktrin. Das prägt Millionen Frauen ganz entscheidend, nicht nur in ihrer Rolle als Arbeiterinnen, sondern auch in ihrer eigenen Wahrnehmung als Frau. Maria Groß, einst die jüngste Sterneköchin Deutschlands, kommt aus einem Frauenhaushalt in Thüringen. Auch sie hat diese Prägung erfahren – und mitgenommen: "Diese Reduktion aufs biologische Geschlecht, das hat mich schon immer angekotzt, weil ich in einem starken Frauenhaushalt groß geworden bin, wo ich gespürt habe: Trotzdem da eine Gebärmutter und Brüste sind, ist da aber nicht weniger Kraft. Im Gegenteil, man hält die Doppelbelastung aus, ohne sich selber als Opfer zu sehen!"

Die Ostfrauen sind stark, sie "stehen ihren Mann", sie gehen scheinbar gleichberechtigt arbeiten – aber sie ziehen nebenher noch die Kinder groß und managen den Haushalt. Die Rollenverteilung kann also keineswegs als vorbildlich gelten. Obwohl die DDR-Mütter im Gegenzug mit ganztägiger kostenloser Kinderbetreuung, mit gleichem Lohn oder einem monatlichen Haushaltstag unterstützt werden, kommen 1969 ostdeutsche Frauen auf 93 Stunden Gesamtarbeitszeit pro Woche, ostdeutsche Männer nur auf 59 Stunden pro Woche.

Es wurden in der DDR also durchaus wichtige Grundlagen für die ökonomische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Frauen geschaffen – ein Entwicklungsvorsprung gegenüber der damaligen BRD. Das jedoch brachte den Frauen nicht unbedingt die Autonomie, Selbstbestimmung oder auch die auf kritischer Reflexion fußende Emanzipation, die beispielsweise von den Westfrauen gefordert wurde.

An die Herausforderungen dieses Lebensmodells erinnert sich auch Petra Köpping, heute Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Auch sie ist zu DDR-Zeiten alles auf einmal: Frau, Mutter, Berufstätige – aber sie ist stolz auf ihre Leistung: "Ich selbst habe in einer Region gewohnt, wo ich früh mit dem Fahrrad mit den Kindern zu Arbeit fahren musste. Später dann mit dem Zug. Das war eine Stunde Anfahrt. Ich war nie vor 17 oder 18 Uhr zurück. Meine Kinder waren oft die letzten in der Krippe. Es war ein unheimlich anstrengender Tag. Bei uns gab's keine Vollautomatik, keine Wäschetrockner. Ich war nie vor Mitternacht im Bett."

Lebensentwurf auf dem Prüfstand

Diese Erfahrungen prägen die ostdeutschen Frauen. Was sie für den Staat und ihre Familien leisten, ist von unschätzbarem Wert. Als die Wende kommt, sind es vor allem Frauen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. In Scharen verlassen die jungen von ihnen den Osten in Richtung Westen. Ihre Lebensentwürfe, in der DDR selbstverständlich, stehen plötzlich auf dem Prüfstand. Viola Klein, heute erfolgreiche Unternehmerin in der IT-Branche, wurde kurz nach der Wende mit den unterschiedlichen Rollenbildern zwischen Ost und West konfrontiert.

Über manche Episode schmunzelt sie noch immer ungläubig: "Ich war auf dem Arbeitsamt. Und wahrscheinlich gab es da nicht genug Leute, jedenfalls haben die aus Bayern und Baden-Württemberg irgendwelche Leute da hingesetzt. Und da saß ein Bayer, der guckte mich an und meinte, ich hätte doch kleine Kinder, ich sollte doch Zuhause bleiben. Ich bräuchte keine Arbeit. Häh?! Oh, da war ich sauer!"

Heute, fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit, wird klar, dass die Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Frauen das Land und sein Zusammenwachsen viel stärker beeinflussen, als dies einst abzusehen war. Große gesellschaftliche Änderungen, die vom Osten ausgingen, betreffen wichtige Themen, die im Allgemeinen mit Frauen verbunden werden: vom Recht auf einen Kita-Platz bis zur bezahlten Elternzeit. Noch immer weisen die Ost-Bundesländer eine höhere Frauenerwerbsquote aus und setzen damit maßgebliche Standards in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dass die erste deutsche Generalin, die erste deutsche Kanzlerin und die erste DAX-Vorstandsvorsitzende Frauen aus dem Osten sind, ist vielleicht auch eine Facette dieses Phänomens.

Dokumentation im MDR

In den drei Teilen der Doku-Serie "Ostfrauen" sprechen achtzehn ganz verschiedene Frauen sehr persönlich über ihre Sicht auf den Osten – und die Veränderungen, die mit dem Ende der DDR für sie einsetzten. Sie zeigen Haltung und machen klar: Auch in der DDR war Gleichberechtigung ein Label, das durchaus nicht immer hielt, was es versprach. Achtzehn Ostfrauen räumen auf mit diesem Mythos und erzählen ihre Geschichten, die von Aufbruch, großen Hoffnungen und neuen Chancen handeln.

"Ostfrauen": Ein Projekt des Rundfunk Berlin-Brandenburg und des Mitteldeutschen Rundfunks.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Fernsehen: Ostfrauen - Wege zum Glück | 08.03.2019 | 20:15 Uhr
Ostfrauen - Wege zur Macht | 08.03.2019 | 21:00 Uhr
Ostfrauen - weg vom Herd | 12.03.2019 | 22:05 Uhr