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Bildrechte: picture alliance / dpa | Jan Woitas

Grand PrixTraditionsrennstrecke Sachsenring

17. Juli 2022, 16:08 Uhr

Der chronisch klamme Sachsenring-Betreiber SRM bekommt Geld vom Freistaat, um den Motorrad-Grand-Prix auf der Traditionsrennstrecke zu halten. Tollkühne Männer auf schnellen Maschinen machen den Sachsenring seit Jahrzehnten zu einer Pilgerstätte mitteldeutschen Rennsports. Der Geruch von verbranntem Gummi und Benzin liegt in der Luft, wenn der internationale Motorradsport in Hohenstein-Ernstthal zu Gast ist.

Die beschauliche Kreisstadt Hohenstein-Ernstthal im sächsischen Landkreis Zwickau, am südlichen Rand des Mittelerzgebirges, birgt so einige Berühmtheiten und Attraktionen. Die Stadt wurde nicht nur als Geburtstort des großen deutschen Schriftstellers Karl May über die Grenzen Mitteldeutschlands bekannt. Regelmäßig, wenn PS-starke Maschinen über den Asphalt donnern, tritt das andere Gesicht der einstigen Silberbergbaustadt zu Tage. Bereits im Sommer 1925 gründete sich der "Motorradfahrer-Club Hohenstein-Ernstthal und Umgebung e.V." mit der festen Absicht, den modernen Sport in die Region zu holen. Durch das erste Rennen, dem Badberg-Viereck-Rennen, wurde am 26. Mai 1927 der Grundstein für ein Heiligtum der Rennsportfans aus der Region gelegt.

Von der Landstraße zum Sachsenring

Das Badberg-Viereck-Rennen am Himmelfahrtstag 1927 zog bereits über 100.000 Zuschauer an. Das Straßenrennen fand auf einem fast neun Kilometer langen Parcours statt, der durch die Stadt selbst und über die umliegenden Landstraßen führte. Die Mischung aus sportlichem Ehrgeiz und lebensgefährlichem Wagemut der Fahrer war ein völlig neues Erlebnis, das man in der Region so noch nicht kannte. Mit der Attraktion kamen aber auch Unfälle und Proteste, die bereits nach dem zweiten Rennen 1928 zu einem einstweiligen Verbot führten. Erst 1934 wurde aus den einstigen "Leistungsprüfungsfahrten" der Große Preis von Deutschland. Bis 1939 wurden insgesamt sechs internationale Wettbewerbe auf der Strecke ausgetragen. In dieser Zeit erhielt die Naturrennstrecke auch ihren berühmten Namen "Sachsenring" und wurde ein fester Bestandteil des internationalen Rennsportkalenders.

Nachkriegszeit für den Sachsenring

Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Rennspektakel in Hohenstein-Ernstthal erneut unterbrochen. Erst 1949 wurden wieder die ersten Sachsenring-Rennen ausgetragen und auch die internationalen Wettbewerbe kehrten auf die Naturrennstrecke zurück. Ein wahrer Aufwind für die Stadt, war doch der einstigen Silberbergbaustadt, die der Krieg nicht verschont hatte, nur eine Weberei als größerer Wirtschaftszweig war geblieben.

Schnell gaben sich hier auch wieder die großen Namen der Rennsportszene die Klinke in die Hand und mit über 400.000 Besuchern beim einzigen gesamtdeutschen Meisterschaftslauf 1950 brach man auch wieder Besucherrekorde. Und natürlich waren die Hohenstein-Ernstthaler dabei. Unter ihnen war auch Werner Reiß, der schon als kleiner Junger mit der Strecke aufwuchs. Mit Seifenkisten, Fahrrädern und später selbst mit dem Motorrad hatte er mit seinem Freunden jeden Zentimeter des Sachsenringes selbst erfahren.

Wir haben von Kindesbeinen an zu Fuß die Rennstrecke umwandert. Dann haben wir uns eine Ketsche gebaut und sind die große Runde abgefahren. Dann kam das Motorrad - da sind unzählige Runden gedreht worden!

Werner Reiß

International und politisch

Spätestens ab 1961 war der Sachsenring zurück im internationalen Motorradrennsport angekommen. Eine Insel mit viel internationalem Flair in der kleinen DDR und mitten im Kalten Krieg. Jahr für Jahr lockte er mit Weltmeisterschaftsläufen Teams und Zuschauer an die lebensgefährliche Strecke. Das Aus kam keine zehn Jahre später, nachdem 1971 der westdeutsche Fahrer Dieter Braun unter dem Jubel der Zuschauer den Lauf gewann.

Der Bonus des Sachsenrings war wohl bei Sport- und Parteifunktionären aufgebraucht und vor dem Hintergrund zahlreicher tödlicher Unfälle wurde die Zukunft des Sachsenrings auch ein politisches Thema. Von höchster Stelle schränkte man die Rennen auf Wettbewerbe mit Teilnehmern aus den sozialistischen Bruderländern ein. Das Publikum blieb der Strecke treu, auch wenn man nun unter sich blieb. Werner Reiß war in dieser Zeit nicht nur Mitglied im hiesigen Rennsportverein, sondern auch als Streckenposten mitten im Geschehen.

Man ist mit dem Herzen dabei – nicht des Geldes wegen, einfach so.

Werner Reiß

Wende und neue Rennstrecke

Mit der Deutschen Einheit kamen 1990 erneut die internationalen Wettbewerbe auf die Strecke zurück, aber die Freude darüber währte nur kurz. Noch im selben Jahr kam das endgültige Aus für die Naturrennstrecke. Die Streckenführung durch die Stadt und die immer wieder auftretenden tödlichen Unfälle waren für die Verantwortlichen eine zu hohe Hypothek und mit den gestiegenen Sicherheitsanforderungen nicht mehr zu vereinbaren. In den Jahren von 1992 bis 1995 wich man auf Rennstrecken in Tschechien aus.

Die Wiedergeburt des mitteldeutschen Rennklassikers erfolgte 1996 nun auf einer permanenten Strecke. Damit wurde ein neues Kapitel des Sachsenrings aufgeschlagen und wiederholt kehrte der internationale Motorsport an seine historische Stätte in Mitteldeutschland zurück. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner wechselvollen Geschichte sind die Hohenstein-Ernstthaler wie Werner Reiß eng mit ihrer Strecke verbunden. Sie standen und stehen zu ihrem Sachsenring und wollen die internationalen Rennen in der Region halten.