Silhouette Totenschädel Vitrine
Die Silhouette einer der Totenschädel auf einer Vitrine im Schloss Friedenstein Gotha Bildrechte: Stiftung Schloss Friedenstein und Human Remains

Umgang mit Kolonialgeschichte Das koloniale Erbe: Totenschädel in Gotha

07. Februar 2023, 11:15 Uhr

33 Totenschädel, 33 Schicksale. Die Schädel stammen aus dem Banjar-Krieg (1859 – 1863), einem Krieg der Indigenen aus dem heutigen Borneo und Indonesien gegen die niederländische Kolonialmacht. Die menschlichen Überreste liegen heute im Zentraldepot im Perthes-Forum der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, die das Adelshauses Sachsen-Coburg und Gotha zusammentrug. Die 33 Schädel sind auch 33 Probleme, denn sie wurden in der Kolonialzeit von Europäern gesammelt, teils als Trophäen.

Die Totenschädel stammen aus dem jetzigen Indonesien und von Borneo, Regionen, die zur Kolonie "Niederländisch-Indien" gehörten. Der Inselstaat Borneo war wegen seines Vorkommens an wertvollen Rohstoffen wie Pfeffer, Holz, Diamanten und Kohle interessant für die Niederländer. Der Streit um die Rohstoffe mündete schließlich 1859 in einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Indigenen Borneos und der Kolonialmacht Niederlande.

Schädel gegen Prestige

Verschiedene Akteure brachten die Schädel mit, unter ihnen waren deutsche Kapitäne, Juristen und Ärzte, die für die Niederländer arbeiteten. Sie schenkten dem Gothaer Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818 – 1893) ihre Objekte, darunter die Schädel, und erhielten im Gegenzug prestigeträchtige Hausorden. Ein Teil der Schädel gehören zu Angehörigen der "Dayak", was eine Sammel- und Fremdbezeichnung für die indigenen Gesellschaften im Innenland Borneos war. Borneo galt in der Kolonialzeit als Sinnbild für Ungezähmtheit und Wildheit, somit galt eine "Zivilisierung" der Insel als eine heroische Aufgabe.

Es gab unter anderem Ärzte, die sich für die Anatomie der Schädel interessiert haben und Schädel für ihr naturwissenschaftliches Studium sammelten. Andere waren Kopfjäger, sie sammelten Trophäen.

Susanne Finne-Hörr, Pressesprecherin der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Ferner ging es um "Zivilisierung" führt Finne-Hörr weiter aus: "Die Bevölkerung dort wurde von den Westlern als Wilde gesehen, da sie Sklaverei und Kopfjagd praktizierten. Das Absurde ist, dass sich die Kolonialmächte letztlich der gleichen Mittel bedient haben und Kopfgelder aussetzten, obwohl sie vermeintlich nach Niederländisch-Indien gegangen sind, um genau das abzuschaffen." Folglich stößt man bei dieser Geschichte auf Gegensätzlichkeiten der sogenannten Zivilisierung.

Sind menschliche Überreste in Sammlungen vertretbar?

Das vom Bund geförderte Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg unterstützte eine wissenschaftliche Untersuchung der Schädel. Es sollte die Provenienz, also die Herkunft der Schädel, analysiert werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchten die Identität und Würde der Menschen wiederherstellen, z. B. in der Rekonstruktion der Namen und deren Geschichten. Dabei bleiben Lücken und Ungewissheiten bestehen. "Wir versuchen uns dem Thema offen zu stellen, also nichts unter den Teppich zu kehren, sondern aufzuarbeiten, wie wir das in dem Projekt auch gemacht haben", sagt Susanne Finne-Hörr, Pressesprecherin der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha.

Die Wissenschaftler sind sich uneinig, denn das Thema hat auch eine politische Brisanz. "Es ist ein sensibles Thema, da es sich um menschliche Überreste handelt. Hinter jedem Schädel steckt ein Schicksal. Unter Umständen gibt es auch noch Angehörige", so Susanne Finne-Hörr. Die Stiftung hat sich dagegen entschieden, die Schädel zu zeigen.

Dr. Florian Wagner ist Historiker an der Uni Jena und leitet die Koordinationsstelle koloniales Erbe Thüringen (KET). Er sieht bei menschlichen Überresten eine Grenze erreicht. Sie gehören nicht in eine Vitrine, auch wenn sie kommentiert sind:

Ich hatte nach Gesprächen mit vielen Museen den Eindruck, dass es eigentlich Konsens ist, dass diese menschlichen Überreste nicht ausgestellt werden, selbst wenn man der generellen Thematisierung der kolonialen Sammlungskontexte skeptisch gegenübersteht.

Dr. Florian Wagner, Historiker zur Geschichte des Kolonialismus an der Universität Erfurt und Leiter der Koordinationsstelle koloniales Erbe Thüringen (KET)

Der Historiker sieht die Verantwortung bei den Museen, auch die Ausstellungskonzepte an sich zu überprüfen. Es käme nicht nur darauf an, welche Objekte darin gezeigt werden, sondern auch, in welchen Kontext sie gestellt werden. Er kritisiert, dass die fehlende oder falsche Einbindung solcher Exponate oft ein falsches Bild von den Herkunftsgesellschaften vermitteln würde. Wagner plädiert darum für eine Ausstellungskultur, die Europäer für den Perspektivwechsel sensibilisiert.  

Der Mensch zum Schädel: Pambakal Tjimat

Einer der Schädel im Depot der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha gehörte "Pambakal Tjimat", wie ein Eintrag im Inventar belegt. "Pambakal" ist ein altes Wort für Oberhaupt einer Dorfgemeinschaft. Er lebte am Kahayan-Fluss nordwestlich von Banjarmasin, einer Stadt im heutigen Indonesien. Viele Aufständische kamen aus dieser Region. Er war maximal 30 Jahre alt und konsumierte Betel, eine schwache Droge aus Betelnuss, Kalk und Sirihblättern. Der Konsum wurde durch eine leichte rot-Färbung seiner Zähne deutlich.

Vermutlich wurde Pambakal Tjimat Opfer einer Attacke im Frühjahr 1859, als er versuchte, sich gegen die koloniale Herrschaft zu wehren. Der Kopf wurde vom Körper getrennt und einige Wochen zur Schau gestellt, wie die Forschung zeigen konnte. Vermutlich war er eine Respektsperson für die örtliche Bevölkerung, dementsprechend groß war die Abschreckungswirkung.

Spurensuche in den Herkunftsländern

Normalerweise umfasst Museumsarbeit das Sammeln, das Bewahren, das Forschen, das Ausstellen und das Vermitteln. Doch wenn es um die menschliche Überreste in Gotha geht, kann man diese nicht guten Gewissens ausstellen, meint Susanne Finne-Hörr. "Wir haben uns entschieden: Wir machen die Schädel nicht sichtbar, wir wollen sie weder in Vitrinen noch auf Fotos zeigen, da es sich um menschliche Überreste handelt."

Wir haben die Abwesenheit der Schädel in den Mittelpunkt gerückt und sind einen Umweg gegangen: Wir haben versucht die Schädel über die Akteure und Akteurinnen sichtbar zu machen, die an ihrer Erforschung beteiligt waren: Ethnologen, Historiker, Anthropologen oder Provenienzforscher…

Susanne Finne-Hörr, Pressesprecherin der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Die Museums-Sprecherin hat einen Vorschlag, wie man mit dem Dilemma umgehen kann: "Museen müssen in Kontakt treten mit den Herkunftsländern, man muss Menschen vor Ort finden, die sich in der Geschichte auskennen, die ein Interesse daran haben, die Provenienz der Schädel aufzuarbeiten. Man kann diese Thematik nicht einseitig erforschen, sondern in verschiedenen Kontexte einordnen. Wir haben neben dem Institut für Dayakstudien-21 im Süden Borneos z. B. auch eng mit niederländischen Forschern zusammengearbeitet, die ähnliche Problematiken haben", meint Finne-Hörr.

Kann Gotha die Schädel zurück geben?

Die Schädel sind jetzt untersucht. Hintergründe, wie diese nach Gotha kamen und wer die Menschen dahinter waren, sind teils klargeworden. Doch nach wie vor kann man nicht alle Schädel einem Menschen zuordnen. Der Prozess bis zur Rückgabe der Schädel dauert noch an. Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha möchte die Schädel zurückgeben, aber aktuell gibt es noch keinen konkreten Rückforderungswunsch aus Indonesien oder Borneo. "Hierfür bedarf es einer internationalen Arbeitsgruppe, zu der auch das Auswärtige Amt und die Botschaft in Jakarta gehören sollten. Außerdem müssen wir auch hier mit anderen Museen zusammenarbeiten, die ähnliche Problematiken kennen. Schnell geht das nicht, das Ziel aber ist es, zu repatriieren", sagt Finne-Hörr.

Was ist Repatriierung?

Der Begriff "Repatriierung" hat verschiedene Bedeutungen. Er beschreibt grundsätzlich den Vorgang, Personen (meist Patienten, Verstorbene oder Kriegsgefangene) oder im Ausland erwirtschaftetes Geld ins Ursprungsland zurück zu holen. Er taucht aber auch in historischen und öffentlichen Debatten auf, wenn es darum geht, Kolonialgüter an ihr ursprüngliches Land zurück zu geben.

Dr. Florian Wagner appelliert an die Museen, zu hinterfragen, welche Geschichte ihre Objekte haben und verweist darauf, dass in der Kolonialzeit erworbene Objekte oft unrechtmäßig und unter Druckausübung erworben wurden, egal ob sie offiziell gekauft, getauscht oder geschenkt wurden. Insofern ist eine Umkehr der Beweislast durchaus denkbar. Das heißt, die Museen müssten dann beweisen, dass ihre Objekte eben nicht aus einem Unrechtskontext stammen und sie ein Anrecht darauf haben.

Auf Nachfrage, ob dies auch der Fall sei, wenn niemand eine Rückgabe einfordert, meint der Historiker: "Mangelndes Interesse rührt oft daher, dass die Herkunftsgesellschaften nicht einmal wissen, wo die Objekte sind. Wichtig ist, dass Bestände öffentlich gemacht werden, um Diskussionen anzuregen, Bedarfsmeldungen zu ermöglichen, in Kontakt zu treten und dann eventuell zurückzuführen."

Der erste Schritt ist getan. Die untersuchten Schädel lagern in einem Schrank im Depot des Perthes-Forums Gotha. Bis zur Rückgabe wird es laut Finne-Hörr hingegen noch mindestens zwei bis drei Jahre dauern.

Quellen: Einige hier erwähnte Fakten stammen aus der Broschüre "Menschen: Human Remains in der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha"

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | GESTOHLENES ERBE - KUNST, OBJEKTE UND MENSCHLICHE ÜBERRESTE AUS DEN KOLONIEN | 15. Dezember 2022 | 23:53 Uhr