Osterferien wegen Corona verlängertSchulferien und ihre GeschichteInterview mit Thomas Töpfer vom Leipziger Schulmuseum
Wegen der Corona-Pandemie wurden in Sachsen und Thüringen die Winterferien verkürzt und nun die Osterferien vorgezogen und verlängert. Lehrer, Schüler und Eltern stellt das vor große Herausforderungen. Schulferien galten in den letzten Jahrzehnten als unantastbare Erholungszeiten. Doch das war nicht immer so, erzählt Thomas Töpfer vom Leipziger Schulmuseum. Früher waren sie dem religiösen Leben gewidmet und auf dem Lande waren sie Zeiten intensiver Arbeit.
In Deutschland werden auf Grund der Corona-Pandemie Schulferien gestrichen, gekürzt oder verschoben. Hat es einen solchen Eingriff in der Geschichte der deutschen Schulferien schon einmal gegeben? Thomas Töpfer, Direktor des Leipziger Schulmuseums, meint: Nein.
Thüringen und Sachsen verschieben durch die Corona-Pandemie die Schulferien. Ist Ihnen ein ähnlicher Fall in der jüngeren Geschichte bekannt?
Thomas Töpfer: Wir sind heute natürlich in einer ganz unvergleichbaren Situation, einer Gesundheitskrise nie gekannten Ausmaßes. Von den damit verbundenen Maßnahmen sind Schulen ebenso betroffen, wie fast alle anderen gesellschaftlichen Bereiche. Aber natürlich gab es auch schon in der Vergangenheit Schulschließungen oder Ferienverschiebungen. Die Ursachen konnten extreme Witterung sein, etwa harte Winter, die vor allem in der von der Braunkohleversorgung abhängigen DDR drastische Folgen hatten. Das waren aber meist regionale Ausnahmen, bei denen z.B. Schulen nicht beheizt werden konnten oder der Verkehr zum Erliegen kam. In der Bunddesrepublik sah es anders aus, da man dort nicht von einem Heizmittel abhängig war. Ansonsten gab es auch lokale Sondersituationen wie Hochwasser oder Ausbrüche von Masern. Doch ich kann nicht sagen, dass es Schulschließungen in diesem Ausmaß und unter einer solchen Bedingung – wie wir sie bei dieser Pandemie haben – bereits gegeben hat, zumal die jetzigen Maßnahmen auf einen Schlag das ganze Land betreffen.
Wie war es nach dem Reaktor-Unglück von Tschernobyl? Das gilt als größeres Katastrophen-Ereignis vor der Corona-Pandemie. Wurden Kinder damals nicht zeitweise von der Schulpflicht befreit?
Nein. Mir sind keine Maßnahmen wie flächendeckende Schulschließungen bekannt. Die DDR hat das Ereignis vom 26. April 1986 zunächst verschwiegen bzw. Tage später entsprechend der sowjetischen Informationspolitik beschwichtigt. Auch die ersten Reaktionen in der Bundesrepublik waren von Beruhigungsversuchen geprägt. Dort gab es später Warnungen über Lebensmittel, Spielplätze wurden gesperrt, aber es gab keine Schulschließungen.
Das Wort "Ferien" stammt aus dem Alten Rom. Warum wurden Ferien überhaupt eingeführt?
Der Begriff "Ferien" stammt tatsächlich aus dem Lateinischen und meint Feiertag, Festtag. Mit unserem modernen Verständnis von Ferien, die wir heute in der Regel mit Urlaub gleichsetzen, hat das aber nicht viel zu tun.
Also hatte man früher nur an Feiertagen frei?
Im Mittelpunkt standen natürlich die hohen christlichen Feste, um die herum eine unterrichtsfreie Zeit lag. Besonders die Karwoche vor Ostern und die Woche nach Ostern war eine solche Zeit. Vieles hing aber vor der Schaffung eines einheitlichen, staatlich geregelten Schulwesens – also vor 1850/60 – von lokalen Traditionen ab. In Leipzig und anderen Messestädten waren z.B. traditionell die Messezeiten schulfrei.
Schulferien sind heute Erholungszeit für Schülerinnen und Schüler. War das schon immer so?
Die freien Tage dienten ursprünglich einem geistlichen Zweck. Es ging darum, seinen Pflichten als frommer Christ nachzukommen. Unser modernes Verständnis von "Freizeit" und "Erholung" hat damit wenig zu tun. Aber natürlich ist es keine moderne Erkenntnis, dass Lernen Pausen und längerer Unterbrechungen bedarf. Diese wurden aber auch durch die sozialen Umstände erzwungen, wenn sich eine Familie den Schulbesuch beispielsweise nur zeitweilig leisten konnte. Über Dauer und Zeitpunkt des Schulbesuchs entschieden bis weit in das 19. Jahrhundert hinein die Eltern.
Auch zwischen Stadt und Land bestanden bis in die Nachkriegszeit erhebliche Unterschiede. Bei der Ernte halfen die Kinder ihren Eltern auf dem Feld. Deshalb kann man die "Winterschule" als klassische Schulzeit auf dem Lande bezeichnen. Der Ursprung der Sommerferien hat insofern mit heutigen Vorstellungen von Strandurlaub oder Erholung in den Bergen nichts zu tun. So etwas war für den größten Teil der Bevölkerung bis weit in die Nachkriegszeit hinein nicht zu erreichen. Das war aber keine bildungspolitische Frage, sondern lag v.a. an den sozialen Unterschieden und daran, dass tarifliche Urlaubszeiten nicht existierten bzw. den Umfang wie heute hatten. Familienurlaub in den Schulferien war nur für eine Minderheit machbar.
Urlaubsreisen und Schulferien waren auch ein Propaganda-Werkzeug der Nazis. Was haben sie gegenüber der Weimarer Republik hinsichtlich der Schulferien geändert?
Man muss man natürlich aufpassen, im Nachhinein nicht der Propaganda der Nationalsozialisten zu viel Glauben zu schenken. Ferien und Urlaub wurden nicht erst durch NS-Verordnungen geschaffen, auch wenn z.B. die Urlaubsansprüche für Berufstätige erhöht wurden. Bereits in der Weimarer Republik hat man versucht, Kindern aus Arbeiterfamilien Urlaub zu ermöglichen. Auch waren Kinder vor 1933 ganz anders sozial eingebunden, als es heute der Fall ist. Ich meine hier v.a. christliche oder politische bzw. gewerkschaftliche Jugendgruppen aber auch die vielfältige Bündische Jugend oder Pfadfinder. Freizeit war eine kollektive Sache, die man gemeinsam organisierte. Diese Vielfalt wurde durch die Nationalsozialisten zerstört, zugunsten der staatlich geförderten Hitlerjugend, mit der man Einfluss auf die Freizeitgestaltung junger Menschen nehmen konnte. "Urlaub" als vermeintliches Massenphänomen wurde aber von den Nationalsozialisten als propagandistisches Instrument eingesetzt, wofür z.B. die Organisation "Kraft durch Freude" steht. Das alles war kein Selbstzweck, sondern wurde auf körperliche Ertüchtigung und "Volksgesundheit" ausgerichtet. Wenn man so will auf einen ideologischen Zweck.
Zum Abschluss noch eine hypothetische Frage: Welche Folgen wird die Corona-Pandemie für die Schulkinder in Zukunft haben?
Hierzu wird es ohne Zweifel eine Fülle von Forschungen geben. Die Vorstellung, dass Schule genauso zu Hause stattfinden kann, der Lehrplan eingehalten und das Pandemie-Schuljahr insofern genauso "bewertet" werden kann, wie das davor, ist natürlich absurd. Es gibt Studien, die zeigen, dass alles, was sich in Bezug auf das Lernen zu Hause abspielt, einen klaren Bezug zum sozialen Background hat. Durch Bildungseinrichtungen wie Schulen kann dies ein Stück weit ausgeglichen werden.
Zum Thema "digitaler Unterricht" gibt es bis heute keine verbindlichen Qualitätsstandards oder Entwicklungskonzepte, obwohl das Thema seit dem Frühjahr drängt. Alles Mögliche wird unter diesem Begriff gefasst: das Verschicken von konventionellen Arbeitsblättern genauso wie extra erstellte Lernvideos oder der engagierte Unterricht in Kleingruppen in der Videokonferenz. Die Hauptsorge darf nicht darin bestehen, wie der Lehrplan geschafft wird, sondern wie man die Kinder und Jugendlichen nicht allein lässt. Es ist nicht damit getan, jedem Schüler und jeder Schülerin ein Tablet in die Hand zu drücken.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 08. Januar 2021 | 16:00 Uhr