Josef Stalin
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Das Sterben des "Unsterblichen": Stalins tagelanger Tod

07. März 2023, 11:31 Uhr

Josef Wissarionowitsch Dschugaschwilli, genannt Stalin, wurde am 21. Dezember 1879 in der georgischen Stadt Gori geboren. Im Laufe seines Leben wird er zu einer der mächtigsten politischen Figuren weltweit. Die Herrschaft des "stählernen Diktators" war von Gewalt und Terror geprägt und bis zum letzten Atemzug spannend. Denn während Stalin am 28. Februar 1953 nach einem nächtlichen Trinkgelage einen Schlaganfall erleidet und die Ärzte um das Leben des Diktators ringen, kämpfen seine Höflinge schon um die Nachfolge. Am 5. März 1953 stirbt der Machthaber in seiner Datscha in Kunzewo nahe Moskau.

Und aller Ruhm der Welt wird Stalin heißen! Lasst uns den Ewig-Lebenden lobpreisen!

DDR-Dichter Johannes R. Becher

Mit diesem überschwänglichen pathetischen Sätzen verabschiedet sich im März 1953 der DDR-Dichter und SED-Kulturpolitiker Johannes R. Becher im "Neuen Deutschland" von Stalin. Der Diktator, der Millionen Menschen mit seiner Terror-Herrschaft den Tod gebracht hat, wird noch einmal von Becher als Ewig-Lebender gepriesen.

Stalin als Unsterblicher beschworen

Stalins Unsterblichkeit war in den Jahren seiner Herrschaft in einem solchen Ausmaß beschworen worden, dass sein Tod tatsächlich unvorstellbar schien. Er hatte sich selbst so sehr als gottgleicher Alleswisser, Führer und Übervater inszeniert, dass eine Zukunft ohne ihn undenkbar war. Der 1936 geborene russische Autor und Historiker Edward Rasinski versucht der Nachwelt dieses Phänomen zu erklären:

Die Menschen schlagen die Zeitung auf und der Name springt ihnen entgegen. Man konnte vielleicht das Radio ausmachen und die Zeitungen zerreißen, doch man würde diesen Namen aus dem Lautsprecher des Nachbarn immer noch hören. Stalin war immer präsent. Von der Geburt an bis zum Tod.

Historiker Edward Rasinski

Der Gesundheitszustand des Diktators verschlechtert sich

Die Umstände von Stalins Tod waren jedoch das Gegenteil der brutalen und perfekt durchorganisierten Herrschaft, in der nichts dem Zufall überlassen bleiben sollte. Stalins Sterben war so surreal und grotesk, wie man es sich gar nicht hätte ausdenken können.

Ende des Jahres 1952 hatte Stalin trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme die Karten im Sowjetreich mal wieder neu gemischt. Er war inzwischen 74 Jahre alt, sein Gedächtnis ließ nach und ihm war oft schwindlig. Er litt unter Arthritis und Arteriosklerose. Die Frage nach seiner Nachfolge stand unübersehbar im Raum. Doch auch hier lebte Stalin noch einmal seine zornigen, rachsüchtigen und paranoiden Anwandlungen aus.

Auf dem Parteitag  im Oktober 1952 entmachtete er all seine treuen Weggefährten, die als Nachfolger in Betracht gekommen wären. Zur Verblüffung der Anwesenden berief er junge, niemandem bekannte Aktivisten ins Parteipräsidium. Gleichzeitig schürte er einen hysterischen Antisemitismus. Er beschuldigte die jüdischen Ärzte in Moskau, die bis dahin auch die politischen Machthaber medizinisch betreut hatten, deren Ermordung zu planen.  Daraufhin begannen im Januar 1953 die Verhaftungen und die Folter. Es gab Befürchtungen, dass dies der Beginn einer neuen Terrorwelle sein könnte.

Aus Angst wird Stalin erst spät entdeckt

Der Abend des 28. Februar war wie gewohnt verlaufen. Stalin fuhr mit den engsten Kampfgenossen Chruschtschow, Malenkow, Bulganin und Berija auf seine Datscha nach Kunzewo nahe Moskau, wo bis vier Uhr morgens gegessen und getrunken wurde. Die Gäste fuhren im Anschluss nach Hause.

Acht Stunden später, mittags um 12, rechneten die Leibwachen damit, dass Stalin aufsteht. Aber es rührte sich nichts. Auch in den nächsten Stunden nicht. Niemand wagte, nachzusehen. Denn Stalin zu überraschen oder zu stören, überhaupt irgendetwas ohne seinen Befehl zu tun, das konnte den Tod bedeuten. Um 22 Uhr sahen die Wachleute nach und fanden Stalin im Unterhemd auf dem Boden liegend: in seinem Urin, unfähig zu sprechen, aber bei Bewusstsein. Der Tyrann war Opfer seiner eigenen Schreckensherrschaft geworden. Weil er so viel Angst vor seinen unberechenbaren Launen verbreitet hatte, war ihm niemand früher zu Hilfe gekommen.

Joseph Stalin
Stalin mit Frau und einziger Tochter. Bildrechte: imago/United Archives International

Das tagelange Sterben des Diktators

Die vier inzwischen wieder herbeigeeilten Genossen, die in der Nacht zuvor noch mit ihm gezecht hatten, ahnten wohl, dass es mit Stalin zu Ende ging. Ganz sicher waren sie sich aber nicht, ob die Zeit schon reif war, sich als Nachfolger in Stellung zu bringen. Noch atmete Stalin ja. Womöglich war er noch betrunken. Doch die nach einigem Zögern herbeigerufenen Mediziner diagnostizierten einen Schlaganfall. Sie bemühten sich hektisch, Stalins Leben zu retten. Allgemeines Hoffen und Bangen begann, ob der sterbende "Unsterbliche" noch einmal die Augen öffnet, sein Vermächtnis verkündet oder sonst irgendein Zeichen gibt.

Da hob er plötzlich die linke Hand, die noch beweglich war, und wies mit ihr nach oben und drohte uns allen.

Stalins Tochter Swetlana Allelujewa

So hat es Stalins Tochter Swetlana Allelujewa überliefert. Eine Szene, wie aus einem Horrorfilm oder einer surrealen Groteske. Mit einer Drohgebärde trat Stalin, der die Arbeiter und Bauern zu Kommunisten nach seinen Vorstellungen machen wollte, ab. Als wollte er die Zweifler ein letztes Mal warnen.

Stalins Tod ist ein Schock fürs Volk

Am 5. März 1953 stellten die Ärzte um 21:50 Uhr den Tod des Diktators fest, der erst am nächsten Morgen offiziell bekannt gegeben wurde. Das Unfassbare war geschehen. Die Parteiführung rief das schockierte Volk zur Einigkeit und Geschlossenheit auf. "Wir hatten", schrieb der Schriftsteller Ilja Ehrenburg, "völlig vergessen, dass Stalin ein Mensch war. Er hatte sich in einen allmächtigen und geheimnisvollen Gott verwandelt. Und nun war dieser Gott an Gehirnblutungen gestorben. Das erschien uns unwahrscheinlich."

Stalins Sarg fährt auf dem Roten Platz in Moskau, gesäumt von Soldaten und Politikern.
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Nachfolger Nikita Chruschtschow

Stalins Tod stürzte die Sowjetunion in ein machtpolitisches und seelisches Vakuum. Denn weder war die Nachfolge des Diktators geregelt, noch war klar, wie es ohne ihn weitergehen könnte. Nikita Chruschtschow übernahm zunächst die Parteileitung, Jahre später wurde er auch Regierungschef. Er triumphierte beim Kampf um die Stalin-Nachfolge und warf sämtliche Rivalen, insbesondere den brutalen und gefürchteten Geheimdienstchef Lawrenti Berija aus dem Rennen.

Nikita Chruschtschow in Moskau 1952
Nikita Chruschtschow in Moskau 1952. Bildrechte: IMAGO / SNA

Und er ließ den "Unsterblichen" endgültig sterben. Zum einen mit seiner berühmten Geheimrede im Jahr 1956, in der Stalins Verbrechen und der absurde Personenkult erstmals offiziell benannt wurden. Zum anderen mit seinem Beschluss, den einbalsamierten Stalin von Lenins Seite im Mausoleum zu entfernen.

Dieser Artikel wurde erstmals 2018 veröffentlicht und 2023 überarbeitet.

Verhaftungsfoto Leo Kamenjew 45 min
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45 min

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