DDR-Berufsausbildung: Was übrig ist?

31. Januar 2020, 15:05 Uhr

1990 hatte das DDR-Bildungssystem ausgedient. Selbst die Berufsausbildung in den Betrieben erlebte einen Umbruch, obwohl sich die Berufe in Ost und West grundsätzlich kaum unterschieden. Dabei gab es in 40 Jahren deutscher Teilung kaum ein Feld, auf dem die beiden deutschen Staaten so ähnlich waren wie bei der Berufsbildung. Welche Traditionslinien haben sich im Osten bewahrt und welche der über Bord geworfenen DDR-Prinzipien geraten heute wieder in den Fokus?

Das Bildungssystem der DDR hat bis heute Spuren in den neuen Bundesländern hinterlassen. Daten aus einer im September 2019 veröffentlichten OECD-weiten Studie zeigen: Die Ostdeutschen sind höher qualifiziert als die Westdeutschen – jedenfalls statistisch gesehen. Demnach haben in den neuen Bundesländern weit mehr Menschen mindestens eine Studienberechtigung oder eine abgeschlossene Berufsausbildung als im Bundesdurchschnitt. In der ostdeutschen Bevölkerung ab 15 Jahren war dieser Anteil bereits 1990 im Vergleich höher – und ist es bis heute geblieben. Das ist auch ein Erbe der DDR.

Das Recht auf Berufsausbildung in der DDR

Einen Beruf erlernen, das sollten in der DDR möglichst alle – vor allem um die Zahl der ungelernten Arbeitskräfte zu senken. 1968 bekam dieses Ziel sogar Verfassungsrang. In Artikel 25 der sogenannten "sozialistischen Verfassung" hieß es: "Alle Jugendlichen haben das Recht und die Pflicht, einen Beruf zu erlernen."

Das Recht auf Ausbildung war möglich, weil der Staat in der Planwirtschaft die Fachkräfteausbildung lenken konnte und die Betriebe auffordern durfte, Ausbildungsplätze anzubieten. Und in Regionen, in denen Betriebsberufsschulen nicht ausreichten, wurden kommunale Berufsschulen eingerichtet. Dieses Prinzip der Lenkung ging bereits in der Schule los: Schon auf den allgemeinbildenden Schulen, den Polytechnischen Oberschulen, spielten Berufsorientierung und -beratung eine zentrale Rolle. Hinzu kommen weitere Angebote wie die Berufsausbildung mit Abitur, die den relativ vielen Schulabgängern ohne Abitur zusätzliche Perspektiven ermöglichte.

Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede

Wie bei so vielem in der DDR, machte die sozialistische Ideologie auch vor der Berufsbildung nicht halt. Doch obwohl sie nach staatlichen Grundsätzen wie Parteilichkeit, Planwirtschaft und Zentralismus funktionierte, war sie im Wesentlichen kompatibel mit dem westdeutschen System. Das zeigte sich im Zuge der Wiedervereinigung: Der Übergang vom "sozialistischen Berufsbildungssystem" der DDR in das der Bundesrepublik verlief relativ geräuschlos.

Eine Ursache waren die gemeinsamen Wurzeln in der Vorkriegszeit. Sowohl in der Sowjetischen Besatzungszone als auch in der DDR orientierten sich die Grundprinzipien der Berufsbildung an die Berufsbildungsordnung des Deutschen Reiches seit 1900. Das galt ebenso für die Bundesrepublik, vor allem bei der Verbindung von Theorie und Praxis, also von Berufsschule und Betrieb.

Ende der deutschen Teilung auch in der Berufsausbildung?

Dies führte dazu, dass die DDR-Berufsbildung im Gegensatz zur Planwirtschaft insgesamt auch im Westen Anerkennung fand, freilich ohne die ideologische Erziehung der Jugendlichen. Durch das rasante Tempo der Wiedervereinigung im Laufe des Jahres 1990 blieben jedoch die meisten "Errungenschaften" auf der Strecke. Dazu gehörte zum Beispiel die Berufsausbildung mit Abitur, die eine einzigartige Verbindung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung darstellte.

Im Juli 1990 übernahm die DDR zuerst die westdeutsche Handwerksordnung und schließlich das Berufsbildungsgesetz: neue Prüfungshoheiten, neue Kompetenzen, neue Einrichtungen in neuen Bundesländern. Gravierender war allerdings der Übergang in die Privatwirtschaft. Die bis 1989 von Kombinaten und Großbetrieben geprägte Ausbildung brach in kurzer Zeit ebenso zusammen wie die Betriebe selbst. Es gab kaum eine Berufsschule, die nicht umgebaut oder ausgegründet wurde. Der Umbruch bei den beruflichen Schulen konnte nur durch hohe Subventionen abgefedert werden, indem öffentliche und private Berufsschulen gefördert werden. Heute ist der Anteil der privaten sogar doppelt so hoch wie im Westen.

Die Folgen des Umbruchs in der Wirtschaft seit 1990

Durch den massiven wirtschaftlichen Umbruch im Osten wurden sogenannte überbetriebliche (Aus-)Bildungsstätten gebildet und vom Staat gefördert. Sie prägen die neuen Bundesländer bis heute. Nur mit ihnen und öffentlichen Zuschüssen konnte kurz nach der Wiedervereinigung der enorme Bedarf an Ausbildungsplätzen befriedigt werden. Denn nicht nur in Industrie und Handel fehlten Ausbildungsplätze, auch im Handwerk, das in der DDR stark eingeschränkt war. Viele Handwerksbetriebe konnten das Startkapital nicht aufbringen oder nicht die gesetzlich festgelegten Bedingungen erfüllen. Diese Schwierigkeiten sind bis heute im Osten spürbar, wo der Anteil der ausbildenden Betriebe niedriger ist als im Westen.

Beteiligung der Betriebe an der Ausbildung in Ost und West (Ausbildungsbetriebsquote) 1999-2017
Ausbildungsbetriebsquote in Ost und West (gestrichelt) 1999-2017 Bildrechte: Hoferichter & Jacobs

Das duale Ausbildungssystem im Osten

Die wirtschaftlichen Probleme Anfang der 1990er-Jahre sollten die ostdeutsche Berufsausbildung noch mindestens zwei Jahrzehnte prägen. Zahlreichen Bildungsträger und überbetriebliche Einrichtungen, ursprünglich nur für eine Übergangszeit vom Staat gefördert, haben trotz einer gewissen Marktbereinigung überlebt und sind heute in den Regionen fest verankert. Dennoch sind die Prinzipien des sogenannten dualen Systems der Bundesrepublik, wenngleich verspätet, inzwischen auch im Osten angekommen.

Erlebt die DDR-Berufsausbildung eine Renaissance?

Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung und nach einer schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung steht die DDR-Berufsbildung heute wieder zur Debatte. Eines der Probleme ist die Kluft zwischen boomenden Jobzahlen und den kaum wachsenden Ausbildungszahlen. Die Folge ist ein bereits heute spürbarer Fachkräftemangel.

Die Entwicklung hat zwar auch mit dem demografischen Wandel und dem daraus folgenden Mangel an Nachwuchs zu tun. Ein weiterer Grund ist aber, dass Nachfrage und Angebot immer weniger zusammenpassen, besonders in Ostdeutschland. Die Zahl erfolgloser Bewerber steigt genauso wie die Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze. Eine aktuell diskutierte sogenannte "Ausbildungsgarantie" wäre zumindest für die Bewerber eine Lösung und erinnert an die DDR-Berufsbildung. Daneben werden auch positive Erfahrungen aus der Berufsberatung aufgegriffen. Langfristig könnte sie dazu führen, dass der Anteil der Menschen mit Berufsqualifikation stark ansteigt – ähnlich wie früher in der DDR.

Über dieses Thema berichtet der MDR im TV in "MDR Zeitreise" 02.02.2020 | 22:25 Uhr