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Niels Gormsen im Interview"Die Leipziger haben Schneider geliebt."

08. Januar 2019, 13:36 Uhr

Niels Gormsen († 10. Juli 2018) hat Jürgen Schneider als großzügigen Bauherren und Macher erlebt. Im Interview spricht der damalige Dezernent für Stadtentwicklung in Leipzig über den Unternehmer Schneider, dessen Beliebtheit bei den Leipzigern und die Fehler der Banken.

Herr Gormsen, wie war Anfang der 1990er-Jahre die Stimmung in Leipzig?

Ich kam nach Leipzig, ohne Leipzig wirklich zu kennen. Alles war grau, schwarz, kein Dach war dicht, es stank nach Braunkohle und Trabi. Eigentlich war die Stadt, wie viele andere Städte in der DDR auch, eine Ruine. Aber es kamen auch ganz schnell die Leute mit Geld, die hier anlegen und bauen wollten.

Der damalige Oberbürgermeister Lehmann-Grube hat mich aus Mannheim hergeholt. Er wollte jemanden aus dem Westen, der weiß, wie man mit westlichen Leuten, mit Kapitalisten umgeht. Es war so, jeder wollte bauen, die Grundstücksverhältnisse waren aber völlig ungeklärt, Rückgabeforderungen und so weiter. Das hat die Sache, vor allem die ersten Jahre, erheblich erschwert.

Was unterschied Jürgen Schneider von anderen Investoren?

Er wollte richtig in Leipzig einsteigen, mit ganzer Kraft investieren. Ich nehme an, dass er das auch ernst gemeint hat. Und er war in jeder Hinsicht großzügig. Z.B. das Romanushaus, das heute ja schön saniert ist, das ist auch unter seiner Ägide begonnen worden. Da war die Künstlervereinigung der damaligen DDR untergebracht, mit vielen Ateliers. Da hat er dann in einer anderen Straße ein leerstehendes Gewerbegrundstück erworben und die Künstler bekamen dort ihre Ateliers, so dass sie weiter machen konnten und er das Haus frei bekam.

Also ich habe Schneider als einen großzügigen Bauherren erlebt, der auch nicht nur geredet sondern auch gemacht hat. Da kenne ich andere Beispiele.

Wen sehen Sie, neben Schneider, als Hauptverantwortlichen?

Na ich würde mal sagen, es waren die Banken. Denn die haben dem das Geld nachgeworfen und offenbar nicht so ganz genau gerechnet. Die hätten ja aus dem Fenster gucken und sehen können, dass das, was er da baut, nicht das ist, was im Vertrag steht.

Die Banken haben gefragt, "Herr Schneider, wollen Sie denn nicht noch mehr Geld? Wir könnten Ihnen nochmal 70 Millionen geben." Natürlich weiß ich inzwischen, dass er die Banken beschissen hat.

Hatte Schneider eine besondere Investitionsstrategie? Er sagte hinterher, er hätte eine Liebe zu alten Häusern, die er wieder zum Leben erwecken wollte.

Ja, er hatte was übrig für alte Häuser. Das heißt für historische Häuser und auch solche mit einem gewissen Nimbus oder Namen, also Auerbachs Keller, Barthels Hof, Fürstenhof - bedeutende Gebäude, nicht irgendwelche Klitschen.

Er hat allerdings auch ein paar Sachen angefangen, die danach nichts geworden sind und die zum großen Teil dann abgerissen wurden, obwohl da schon Planungen gelaufen waren. Vielleicht hat er dann während dieser Phase einen gewissen Größenwahn bekommen. Ich hatte aber den Eindruck, in der Zeit, wo er da war, dass er da was für Leipzig tun wollte. Hier wollte er etwas richtig schönes machen.

Können Sie sich daran erinnern, als Jürgen Schneider plötzlich verschwunden war?

Da kann ich mich schon noch daran erinnern, aber nicht an die Details. Ich weiß nur, dass wir alle in einer Art Schockstarre verfielen. Was machen wir denn nun? Dann kam eben der Oberbürgermeister, der IHK-Präsident und die Bankenvereinigung zusammen. Wenn die Banken gewollt hätten, dann hätten die alles bekommen, alle anderen wären leer ausgegangen. Aber es konnte erreicht werden, dass die begonnenen Objekte alle zu Ende geführt wurden. Manche auch dann sehr gut, ich will Barthels Hof erwähnen.

Glauben Sie, dass durch die Schneider-Pleite und seine Flucht viele Leipziger enttäuscht waren?

Ich hatte eher den Eindruck, die Leipziger haben gedacht: "Och der Schneider, der ist der wichtigste, ohne den Schneider wär' unsere Stadt nicht das geworden, was sie jetzt wieder ist." Die Leipziger haben den Schneider geliebt. Manche haben gesagt, der muss mal Ehrenbürger werden. Es gab sicher auch andere, die das Gegenteil gedacht haben.

Ich glaube, dass er die heute erkennbare Skepsis gegen den Kapitalismus eher nicht unterstützt hat. Ich würde aber nicht sagen, dass er Ehrenbürger werden muss. Aber sein Wirken hatte keine großen Nachteile, jedenfalls nicht im städtebaulich, denkmalpflegerischen Sinn.

Niels GormsenDer Politiker und Architekt Niels Gormsen wurde 1927 in Königsfeld im Schwarzwald geboren. 1973 war er als Bürgermeister in Mannheim für das Baudezernat zuständig. Nach der politischen Wende holte man ihn nach Leipzig, wo er von 1990 bis 1995 als Stadtbaurat arbeitete. Er starb am 10. Juli 2018 in Borna.

Über dieses Thema berichtet der MDR in der Dokumentation "Der Auf-Schneider":TV | 13.01.2019 | 20:15 Uhr