Aleksandar Vučić Serbiens starker Mann gilt als Stabilokrat auf dem Westbalkan

14. September 2017, 09:18 Uhr

Seit knapp einem Vierteljahrhundert agiert Aleksandar Vučić an vorderster Stelle im Parteiensystem und in der Regierung von Serbien. Seine Machtfülle ist enorm. Außenpolitisch wagt Vučić den Drahtseilakt zwischen EU-Beitritt und Russland, gilt dem Westen dennoch als Stabilitätsfaktor in der Region Westbalkan. Im Laufe seiner Karriere scheint er eine Wandlung vom radikalen großserbischen Nationalisten zu einem Demokraten und Europäer vollzogen zu haben.

Aleksandar Vučić, Jahrgang 1970, ist im politischen Geschäft ein alter Hase. Seine politische Karriere begann bald nach dem Eintritt 1993 in die Serbische Radikale Partei (SRS), für die er noch im selben Jahr ins Parlament, die Serbische Nationalversammlung, einzog. Binnen zwei Jahren wurde er Generalsekretär der SRS. 1998 bis 2000 war er Informationsminister, zu einer Zeit, in der der später wegen Völkermordes angeklagte Slobodan Milošević Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien, dem Rest der früheren Jugoslawiens, bestehend aus Serbien und Montenegro, war.

Neustart mit der Serbischen Fortschrittspartei in Richtung EU

Nach der Amtszeit als Informationsminister wurde es etwas ruhiger um Aleksandar Vučić, bis dieser - nach wie vor ein führendes SRS-Mitglied - im Herbst 2008 der neu gegründeten Serbischen Fortschrittspartei (SNS) beitrat - und sofort Stellvertreter des maßgeblichen Gründers und Parteivorsitzenden Tomislav Nikolić wurde. Neues politisches Ziel der SRS-Abtrünnigen war die Mitgliedschaft Serbiens in der Europäischen Union, welches mit dem Streben nach einem Großserbien nicht vereinbar ist. Serbien bildete zu dieser Zeit auch keinen Staatenbund mit Montenegro mehr, das sich 2006 für selbstständig erklärt hatte.

Vučić übernahm 2012 den Vorsitz der Fortschrittspartei und spielte auch wieder auf Regierungsebene mit - zunächst für etwas mehr als ein Jahr als Verteidigungsminister und Vize-Regierungschef. Mit dem Sieg der SNS bei der Parlamentswahl 2014 schaffte es Vučić dann an die Regierungsspitze und wurde erstmals Ministerpräsident. Zwei Jahre später wurde er erneut gewählt und Vučić im Amt bestätigt. Doch dieser strebte das höchste Staatsamt an, die Position des Präsidenten, ungeachtet dessen, dass ein Präsident in Serbien zumindest formal eher repräsentieren als regieren soll.

Präsidentenwahl auf Anhieb gewonnen

Am 2. April 2017 erhielt Aleksandar Vučić bei der Präsidentenwahl bereits im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit. Am 31. Mai 2017 wurde er ins Präsidentenamt eingeführt. Zur neuen Regierungschefin machte er seine Parteifreundin Ana Brnabić. Dies sicherte Vučić in Serbien wie international Aufmerksamkeit, denn das orthdoxe Serbien hatte nun erstmals nicht nur eine Frau an der Spitze an der Regierung, sondern auch gleich noch eine, die sich zu ihrer Homosexualität bekennt. Brnabić gilt im Regierungsgeschäft eher als ausführende Kraft von Präsident Vučić denn als eigenständige Ministerpräsidentin. Sie selbst gibt zu, Technokratin zu sein. Ihr Hauptanliegen ist die Modernisierung der serbischen Verwaltung.

In Vučićs politischer Karriere markierte der Übertritt zur Fortschrittspartei (SNS) im Jahr 2008 einen Gesinnungswandel. Vučić begann, sich von der großserbischen Idee und radikalen nationalistischen Tönen zu distanzieren, wirbt seitdem für den Beitritt Serbiens in die EU. Tatsächlich bewarb sich Serbien bereits Ende 2009 bei der Europäischen Union und ist seit dem 1. März 2012 Beitrittskandidat. Ein erfolgreicher Abschluss der Beitrittsverhandlungen ist aber bisher nicht absehbar.

Vučić und die Medien

Vučićs "Läuterung" vom Großserben zum demokratischen Europäer nehmen ihm bei Weitem nicht alle ab. Zu massiv sind nach wie vor seine Versuche, die Medien in Serbien zu manipulieren, zu kontrollieren und kritische Stimmen zu unterdrücken. Erst im Juni 2017 kritisierten die Organisation "Reporter ohne Grenzen" und das Balkan-Journalistennetzwerk BIRN, dass sich Serbiens Spitzenpolitiker Hofberichterstattung erkaufen würden. Sie prangerten die Konzentration auf dem Medienmarkt an. Die Staatsspitze unter Präsident Vučić beeinflusse als größter Geldgeber und Werbekunde die Berichterstattung erheblich. Kritische Medien würde mithilfe der Steuerbehörden diszipliniert.

Und zu sehr ist manch einem Serben noch in Erinnerung, wie Vučić vor der Jahrtausendwende als Informationsminister Strafgelder für die Regierung kritisierende Journalisten einführte und ausländische Fernsehsender verbot.

Als Vučić im April 2017 die Präsidentenwahlen gewann, gingen viele junge Menschen auf die Straße, um gegen eine "Diktatur Vučić" zu demonstrieren.

Pro EU und Russland zugleich

Hinzu kommt, dass Vučić einen autoritären Führungs- und Regierungsstil pflegt und sich als Alleinherrscher gebärdet, was der Entwicklung einer demokratischen Kultur im Land abträglich ist. Nichtsdestotrotz gilt Serbiens starker Mann der EU-Spitze und Regierungschefs im Westen als Stabilitätsfaktor in der Region Westbalkan. Auch die von Vučić immer wieder betonte "historische Verbundenheit mit Russland" hält den Westen - zum Teil sicher auch aus Mangel an Alternativen - nicht davon ab, in ihm einen Verbündeten und Hoffnungsträger zu sehen. So macht Vučić zum Beispiel bei den wegen des Syrien-Krieges verhängten UN-Sanktionen gegen Russland nicht mit und modernisiert das serbische Militär mit russischen Waffensystemen.

Serbien und die Nachbarn auf dem Westbalkan

Stadtansicht von Pristina
Die kosovarische Stadt Pristina Bildrechte: IMAGO / photothek

Dass Vučić von Belgrad aus ausgleichend auf die Nachfolgestaaten von Jugoslawien und ihre Nachbarn einwirkt, erscheint durchaus optimistisch gedacht. Unvermindert problematisch sind auch rund zwei Jahrzehnte nach den verschiedenen Jugoslawien-Kriegen die Beziehungen zu den anderen Nachfolgestaaten. Vučić macht da mit nicht auf Anhieb transparenten Äußerungen regelmäßig von sich reden. Jüngst in Sarajevo, wo er Serbien als Freund von Bosnien und Herzegowina darstellte, der Präsident des Föderationsteils Republika Srpska aber weiter die Abspaltung propagieren darf. Bezüglich des Kosovos, der ehemaligen autonomen serbischen Provinz, überraschte Vučić im Sommer 2017, als er erstmals öffentlich darüber nachdachte, keine Ansprüche mehr auf das fast nur noch Albanern bewohnte Gebiet zu erheben. Ein Verzicht auf die "Wiege der Serben" mit dem Amselfeld war bisher eines der größten Tabus in Serbien. Der Kosovo wird in der serbischen Verfassung als ein Teil Serbiens deklariert.

Dieser Wechsel der Perspektive, den Vučić hier den Serben quasi verordnet, wird insofern wieder relativiert, als sein Außenminister dahingehend konkreter wurde, dass der Norden vom Kosovo mit der verbliebenen serbischen Bevölkerung Serbien zugeschlagen werden sollte. Experten sehen darin ein Einfallstor für den Anschluss der bosnischen Serben aus der Republika Srpska.

Zu Mazedonien liegen die serbischen Beziehungen neuerdings am Boden. Belgrad rief im August 2017 das gesamte diplomatische Personal aus Skopje zurück. Während serbische Medien als Grund für den Eklat von der Ausspionierung serbischer Diplomaten und über Verärgerung über mazedonische Unterstützung für den Kosovo auf internationalem Parkett schrieben, berichteten mazedonische Medien, dass bei den Tumulten im Parlament in Skopje im April 2017 ein serbischer Geheimdienstmitarbeiter zumindest anwesend war. Fakt ist, dass Vučić in der mazedonischen Regierungskrise den dortigen Regierungschef Nikola Gruevski auch dann noch unterstützte, als dieser mit seiner Partei die Parlamentswahl Ende 2016 verloren hatte.

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im: TV | 21.04.2017 | 17:45 Uhr