Bulgarien und die EU Das Land mit den zwei Gesichtern

19. Mai 2017, 14:28 Uhr

Nach monatelanger Vakanz wird nun mit Maria Gabriel eine junge, moderne und weltoffene Frau neue bulgarische EU-Kommissarin. Doch während sich Bulgarien in Brüssel europäisch gibt, läuft die Politik in Sofia in eine andere Richtung.

Anfang 2017 trat die bulgarische Vize-Präsidentin der EU-Kommission Kristalina Georgiewa zurück, um einen Geschäftsführerposten bei der Weltbank anzutreten. Jetzt hat der wiedergewählte Regierungschef Borissow die EU-Abgeordnete Maria Gabriel als neue bulgarische EU-Kommissarin benannt. Offen ist, ob sie sich für das von Günther Oettinger aufgegebene Ressort "Digitaler Binnenmarkt" oder ein anderes bewerben wird.

Maria Gabriel
EU-Kommissarin Maria Gabriel (zweite von links) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mit der 1979 geborenen Maria Gabriel präsentiert sich Bulgarien jung, modern und weltoffen. Nach einem Philologiestudium an der bulgarischen Universität Plowdiw und einem Master in Politikwissenschaften an der Sciences Po in Bordeaux, zog sie 2009 noch unter ihrem Mädchennamen Nedeltscheva für Borissows Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) in das EU-Parlament ein. Ihr Wirken in Parlamentskommissionen, u. a. für Bürger- und Frauenrechte und ihre Aufklärungsarbeit über die Verdienste der Bienen für die Artenvielfalt, haben ihr Anerkennung eingebracht und den Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) Josef Daul als Trauzeugen. Seit 2014 ist sie stellvertretende EVP-Vorsitzende.

Pro-Europa und radikale Nationalisten

Präsentiert sich Bulgarien auf dem Brüsseler Parkett mit Maria Gabriel europäisch, so läuft die Politik in der bulgarischen Hauptstadt Sofia in eine andere Richtung. Der neu gewählte Regierungschef Bojko Borissow, dessen Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) nur knapp den Wahlsieg davontrug, hat nämlich ausgerechnet mit dem nationalistischen Parteienbündnis "Vereinigte Patrioten" (VP) eine Regierung gebildet. Zu dem Parteienbündnis gehören die Parteien ATAKA, "IMRO – Bulgarische Nationale Bewegung" (BND) und "Nationale Front zur Rettung Bulgariens" (NFSB). Eine Politik, die den europäischen Werten entspricht, wird Borissows Partei mit den "Vereinigten Patrioten" aber kaum verwirklichen können. Die persönlichen Weltanschauungen und politischen Biographien der VP-Parteiführer Wolen Siderow (ATAKA), Krassimir Karakatschanow (IMRO) und Waleri Simeonow (NFSB) stehen für fremden- und minderheitenfeindlichen Nationalismus.

Ratspräsidentschaft als Chance

Ministerpräsident Boiko Borissow bei der Amtsübergabe.
Der wiedergewählte bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow (li.) bei der Amtsübergabe am 4. Mai 2017. Bildrechte: MDR/Frank Stier

Im ersten Halbjahr 2018 wird Bulgarien die EU-Ratspräsidentschaft innehaben. Zumindest bis zu deren Ablauf sollte die GERB-VP-Koalition Bestand haben. Ein möglicher Bruch für das Regierungsbündnis zeichnet sich aber bereits ab. Unter dem Hinweis, dass eine große Mehrheit bei einer Volksbefragung dafür gestimmt habe, das gültige Verhältniswahlrecht durch eine absolute Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen zu ersetzen, hat GERB einen entsprechenden Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. Die Vereinigten Patrioten sind strikt gegen eine Mehrheitswahl, fürchten sie doch, diese könnte die Dominanz der großen Parteien zementieren und kleinere politische Kräfte wie die VP eliminieren.

Die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft gilt dem kleinen Bulgarien als Chance, zum ersten Mal die Themensetzung der großen europäischen Politik maßgeblich mitbestimmen zu können. Sie könnte das Bindemittel sein, das die Koalition zumindest für ein Jahr zusammenhält und dem Balkanland wenigstens bis zum Sommer nächsten Jahres Stabilität verleiht. 

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV : MDR | 27.03.2017 | 19:30 Uhr