Waffenexporte Nahost-Kriege beflügeln bulgarische Rüstungsindustrie

22. September 2017, 15:46 Uhr

Bulgariens Rüstungsindustrie boomt, weil die USA seit Jahren für hunderte Millionen Dollar Waffen im Land kaufen, um sie nach Syrien oder in den Irak transportieren zu lassen. Unter dem Codenamen "Timber Sycamore" hatte die CIA in den vergangenen Jahren eine Ausbildung für syrische Rebellen laufen, die sie auch mit Waffen versorgte. Dass das Kampfgerät unter anderem aus Bulgarien stammt, flog durch einen Zufall auf.

Am 6. Juni 2015 wurde der US-amerikanische Navy-Veteran Francis Norwillo auf dem militärischen Übungsgelände im bulgarischen Anevo beim Laden eines manuellen Granatwerfers zur Panzerabwehr von einer explodierenden Granate vom Typ OG-7W zerfetzt. Norwillos tragischer Tod enthüllte schlagartig eine bis dahin der Öffentlichkeit verborgene Tatsache: Bulgarien ist für die USA ein wichtiger Markt zum Ankauf von Waffen und Munition zur Ausrüstung der gegen das syrische Assad-Regime kämpfenden Rebellen.

"Wir haben damit nichts zu tun"

Selbst Bulgariens damaliger Verteidigungsminister Nikolai Nentschev gab sich überrascht. "Ich habe eine Untersuchung darüber angeordnet, ob in Syrien bulgarische Waffen verwendet werden", erklärte er und fügte sogleich hinzu: "Im Falle Anevo handelt es sich um Beziehungen zwischen einer privaten Firma und dem Verteidigungsministerium der USA. Wir haben damit nichts zu tun.“

Rebellen in Syrien mit bulgarischen Waffen ausgerüstet

Zwei Jahre später, im Sommer 2017, ist der Wissensstand zu Amerikas Beschaffung von Waffen und Munition in Bulgarien und in Osteuropa fortgeschritten; bekannt ist auch der Name, unter dem die "Operation" läuft: "Timber Sycamore". Noch unter US-Präsident Barack Obama wurde dieses CIA-Programm zur Ausbildung und Ausrüstung syrischer Rebellen im Jahr 2013 lanciert. Seitdem haben die USA und Saudi-Arabien in Osteuropa für hunderte Millionen Dollar zum Teil noch aus Sowjetzeiten stammende Waffen und Munition gekauft und in die Kriegsgebiete von Syrien, Irak und Afghanistan geschafft.

Waffentransporte laut Bericht über Ramstein

Transportflugzeuge vom Typ C-17 auf der US-Airbase Ramstein
Transportflugzeuge vom Typ C-17 auf der US-Airbase Ramstein Bildrechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Vom Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) gemeinsam mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) veröffentlichte Rechercheergebnisse deuten darauf hin, dass die USA Waffen aus osteuropäischer Produktion auch über ihren deutschen Stützpunkt in Ramstein geschleust haben, ohne dafür notwendige Genehmigungen der Bundesregierung einzuholen. Die deutschen Behörden hätten darauf "zunehmend empfindlich" reagiert, so dass die Waffentransporte verstärkt über Flug- und Seehäfen in Balkanländern wie Bulgarien und Rumänien abgewickelt würden, heißt es in dem BIRN-/OCCRP-Bericht.

Tausende Tonnen Waffen aus Osteuropa nach Syrien geflogen

Im Juli Juli 2017 veröffentlichte die bulgarische Journalistin Dilyana Gaytandschieva in der Tageszeitung "Trud" Dokumente der aserbaidschanischen Botschaft in Sofia, die ihr kurz zuvor von "Anonymous Bulgaria" zugespielt worden waren. Diese scheinen zu belegen, dass die staatliche aserbaidschanische Fluggesellschaft Silk Way Airlines in den vergangenen drei Jahren rund 350 Flüge zum Transport von Waffen und Munition aus Osteuropa überwiegend in den Nahen Osten durchgeführt hat. Um tausende Tonnen Waffen und Munition unbehelligt von lästigen Kontrollen umschlagen zu können, soll Silk Way Airlines die Flüge unter diplomatischem Status durchgeführt haben.

Bereits im Dezember 2016 spürte die bulgarische Journalistin Tausende von der Vasovschen Maschinenfabrik im bulgarischen Sopot (VZM) hergestellte Grad-Raketen in von der islamistischen Al Nusra Front aufgegebenen Waffendepots in der syrischen Stadt Aleppo auf. Sie schloss daraus, dass die von den USA und Saudi Arabien in Osteuropa gekauften Waffen und Munition massenhaft in die Hände terroristischer Organisationen wie Al Nusra Front und Islamischer Staat gelangten, die der Westen eigentlich doch zu bekämpfen vorgebe.

Bulgarien war schon immer ein bedeutender Waffenexporteur

Bereits im Rahmen des Wirtschaftspaktes der sozialistischen Länder, des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), war Bulgarien ein bedeutender Rüstungslieferant, spezialisiert vor allem auf leichtere Waffen und Munition. Heute wie damals vertreibt die staatliche Handelsfirma Kintex in Sofia die von überwiegend staatlichen Herstellern produzierten Pistolen, Gewehre und Geschütze vor allem in den Nahen Osten und nach Afrika. "Arsenal" in Kasanlak ist eine der renommiertesten bulgarischen Waffenschmieden, sie fertigt die legendäre Kalaschnikov AK-47 in Lizenz.

Bulgariens größtes Rüstungsunternehmen mit der diversifiziertesten Produktpalette ist "VMZ Sopot". Vor einigen Jahren stand es kurz vor dem Bankrott, über Monate hinweg protestierten VMZ-Arbeiter wegen ausbleibender Lohnzahlungen. Inzwischen hat sich die wirtschaftliche Situation von "VMZ Sopot" grundlegend gewandelt. Wie die meisten bulgarischen Rüstungsunternehmen macht es kräftige Gewinne und sucht händeringend Arbeitskräfte.

Waffen im Wert von über einer Milliarde Euro exportiert

Bulgariens Rüstungsfirmen haben laut dem aktuellen Bericht der staatlichen Kommission für Exportkontrolle und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen im vergangenen Jahr Waffen und Munition im Wert von über einer Milliarde Euro ausgeführt. Sie konnten damit ihren Exporterlös gegenüber dem Vorjahr um 370 Millionen Euro steigern. Bereits im Jahr 2015 fiel er um rund 60 Prozent höher als 2014. Hauptabnehmer für bulgarische Rüstungsgüter sind der Irak, Saudi Arabien und die USA. Doch obwohl Exporte in Kriegsgebiete unzulässig sind, lassen sich die exorbitanten Zuwachsraten der vergangenen beiden Jahren kaum anders erklären, als dass die bulgarischen Waffenfabrikanten von den andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien, dem Irak und in Afghanistan profitieren.

Rüstungswirtschaft boomt auch in anderen europäischen Ländern

"Geht es den Menschen auf der Welt schlecht, geht es den Rüstungsfirmen oft gut", sagt dazu Traitscho Traikov, von 2009 bis 2012 als Wirtschaftsminister im konservativen Kabinett von Boiko Borissov verantwortlich für die Einhaltung der Ausfuhrbestimmungen. "Aus meiner Zeit als Minister weiß ich, dass die staatliche Exportkontrolle die Bestimmungen zur Ausfuhr von Waffen sehr genau nimmt und in enger Abstimmung mit unseren Partnern NATO und EU handelt", beteuert er. Bulgarien habe aber keinen Einfluss darauf, was mit den bulgarischen Rüstungsgütern nach ihrer Lieferung zu ihrem Bestimmungsort geschehe. Die Rüstungswirtschaft boome zudem nicht nur in Bulgarien, gibt Traikov zu bedenken, sondern auch in anderen europäischen Ländern wie Tschechien und Deutschland.

Über dieses Thema berichtet MDR im TV auch in "Aktuell" 14.06.2017 | 19:30 Uhr