Demonstranten protestieren in Sofia
Demonstranten protestieren am 8. März in Sofia gegen die Übernahme des Energiekonzerns CEZ Bulgaria. Bildrechte: Frank Stier

Stromversorgung gefährdet? Energiedeal versetzt Bulgarien in Aufruhr

22. März 2018, 17:33 Uhr

Die Übernahme eines Energieunternehmens sorgt für die bislang größte Krise der Regierung Borissow. Viele Bulgaren haben Angst, dass in ihrer Hauptstadt Sofia bald die Lichter ausgehen könnten – und gehen deswegen sogar auf die Straße. Grund ist die undurchsichtige Firma hinter dem Energie-Deal, bei dem auch Tschechiens Premier Babiš und ein russischer Unternehmer die Finger im Spiel haben sollen.

Bis vor wenigen Wochen wusste niemand, wer Ginka Verbakowa aus der Kleinstadt Pasardschik ist. Inzwischen taucht der Name der 43 Jahre alten Unternehmerin regelmäßig in den Schlagzeilen der bulgarischen Presse auf. Denn sie ist die Eigentümerin des kleinen, mit der Entwicklung von Photovoltaik-Projekten befassten Familienunternehmens Inercom.

Dieses schickt sich gerade an, für 320 Millionen Euro das Energieunternehmen CEZ Bulgaria zu erwerben, eine Tochter des tschechischen CEZ-Konzerns. Die betreibt das westbulgarische Stromverteilnetz, das auch die Hauptstadt Sofia einschließt. Das bis dato unbekannte Familienunternehmen Inercom wäre dadurch für die Energieversorgung der Hauptstadt verantwortlich.

Anrüchige Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft

 Blick über die bulgarische Hauptstadt Sofia
Ist Sofias Energieversorgung in Gefahr? Die bulgarische Hauptstadt mit ihren 1,2 Millionen Einwohnern wird bislang von CEZ Bulgaria versorgt. Ob deren möglicher neuer Eigentümer diese auch gewährleisten kann, ist fragwürdig. Bildrechte: Frank Stier

Der Deal war lange Zeit geheim und wurde erst publik, als Energieministerin Temenuschka Petkowa am 23. Februar aus heiterem Himmel ihren Rücktritt erklärte, weil sie seit 20 Jahren mit der bereits erwähnten Ginka Verbakowa befreundet ist. Damit wollte die Ministerin nach eigenen Angaben jeglichen Verdacht auf Interessenskonflikte durch ihre Freundschaft zu Verbakowa ausräumen.

CEZ-Inercom-Deal bestimmt Schlagzeilen

Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem sich Bulgariens Medien nicht auf alles stürzen, was im Zusammenhang mit "Ginka aus Pasardschik" steht: Ihre ersten unternehmerischen Schritte als Betreiberin einer Telefonsex-Hotline in den 1990er-Jahren, ihre Gewohnheit, auch bei Minusgraden in kurzen Ärmeln aus dem Haus zu gehen oder ihre sprachliche Unbeholfenheit, gelegentlich Oshffore statt Offshore zu sagen.

All dies hält die öffentliche Erregung am Kochen. Die alles beherrschende Frage aber lautet: Hat Verbakowas Unternehmen Inercom tatsächlich die finanziellen und administrativen Mittel zur Übernahme der bulgarischen CEZ mit deren Jahresumsatz von knapp einer Milliarde Euro? Immerhin hängt von der die Stromversorgung von rund vierzig Prozent der sieben Millionen Bulgaren und die Arbeitsplätze von 3.000 CEZ-Beschäftigten ab.

Viele fragen sich aber auch: Ist Ginka Verbakowa vielleicht nur eine Strohfrau für reiche und mächtige Hintermänner, die aus irgendeinem Grund unbekannt bleiben wollen?

Scharfe Kritik aus Politik und Gesellschaft

Entsprechend harsch fällt die Kritik an dem Deal aus: "Man sollte Ginka mal fragen, ob sie weiß, was ein Trafo ist und wie man ihn wechselt", ätzte Bulgariens stellvertretender Ministerpräsident Valeri Simeonow von den nationalistischen Vereinten Patrioten (VP) in der für ihn typischen Art. Der ehemalige Energieminister Traitscho Traikov erklärte: "Das CEZ-Geschäft ist, wie wenn Du einem Fünftklässler die Führung eines Passagierflugzeuges überlässt."

Am vergangenen Mittwoch hat auch die sozialistische Opposition einige hundert, meist betagtere Demonstranten organisiert, die vor dem Sitz des Ministerrats "Ostavka, Ostavka!" (Rücktritt, Rücktritt) und "Mafia, Mafia!" skandierten. Und so witterte Ministerpräsident Bojko Borissow dann eine Verschwörung derselben "Widerlinge", die ihn schon im Februar 2013 mit Demonstrationen gegen hohe Stromrechnungen zum Rücktritt gezwungen hatten. Einen solchen werde es diesmal aber nicht geben, ließ Borissow verlauten.

Regierung unter Druck

Doch der vor zwei Wochen unterzeichnete Vorvertrag über den Verkauf der CEZ Bulgaria an die kleine Photovoltaik-Firma Inercom stellt die Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow vor ihre bisher größte Bewährungsprobe. Und das nicht nur, weil sofort nach Bekanntwerden des CEZ-Inercom-Deals das Gerücht die Runde machte, der Ministerpräsident stecke höchstpersönlich hinter dem Geschäft. Wie stark das öffentliche Echo Borissow verunsichert hat, zeigen seine Reaktionen.

Der CEZ-Inercom-Deal sei ein ganz normales Geschäft zwischen zwei Handelspartnern, bei dem er sich nicht einzumischen habe, erklärte Borissow zunächst. Aufgeschreckt durch die öffentliche Empörung, ordnete der Ministerpräsident dann aber eine sofortige und gründliche Prüfung durch die staatlichen Behörden an. Danach zog Borissow eine zumindest teilweise Re-Nationalisierung des westbulgarischen Stromnetzes in Erwägung, um die "Interessen der Bürger zu wahren".

Aufregung reicht bis nach Prag

Der Deal zwischen Inercom und dem Tochterunternehmen des tschechisch-staatlichen Energiekonzerns CEZ führt auch zu Verstimmungen zwischen den Regierungen in Sofia und Prag. "Ich bin schockiert, was in Bulgarien vor sich geht", kommentierte Tschechiens Regierungschef Andrej Babiš zunächst. Später dementierte er auch die Behauptung seines bulgarischen Amtskollegen Borissow, dieser hätte die Verkaufsunterlagen zu dem Geschäft von Babiš selbst bekommen.

Für den vorerst letzten Höhepunkt sorgte die tschechische Tageszeitung "Lidové noviny", die ausgerechnet zur Agrofert-Holding gehört, dem früheren Unternehmen des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš. Die Zeitung berichtete, hinter dem CEZ-Inercom-Deal stecke eigentlich der russisch-georgische Geschäftsmann Paata Gamgoneishwili. Dessen Offshore-Firmen waren Teil der Enthüllungen um die so genannten Panama Papers. "Nur wir und die Bank sind im Geschäft", dementierte Verbakova. Bis Ende dieser Woche weilt sie nun in Prag, um den Deal festzuzurren.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 06.01.2018 | 13:22 Uhr