ESC 2016 Und der Verlierer ist ...

15. Mai 2016, 07:37 Uhr

Das gab es in der 60-jährigen Geschichte der ESC noch nie: Erstmals ist ein europäisches Land vom Finale ausgeschlossen worden. Dass Rumänien nicht antreten durfte, lag jedenfalls nicht am eingereichten Song.

Nebelschwaden steigen auf der Bühne auf, mittendrin steht Rocksänger Ovidiu Anton und röhrt seinen Gothic-Rockwalzer "Moment of Silence". Der 33-jährige Rumäne mit Spitzbärtchen und Wave-Gothik-Kostüm hatte sich mit diesem Auftritt beim Vorentscheid des öffentlich-rechtlichen rumänischen Fernsehens TVR sein Ticket für den Eurovision Song Contest erkämpft. Nur Anton durfte nicht nach Stockholm fahren. Er ist der große Verlierer, bevor das Finale des weltweit wichtigsten Musikwettbewerbs an diesem Sonnabend stattfand.

Rumänien schreibt ESC-Negativgeschichte

Die Europäische Rundfunkunion (EBU) hatte Rumänien im April wegen ausstehender Millionenschulden von der Teilnahme am ESC kurzerhand ausgeschlossen. So etwas gab es in der 60-jährigen Geschichte des Musikwettbewerbs noch nie. Osteuropäische Rundfunkanstalten sind in den vergangenen Jahren häufiger finanziell ins Straucheln geraten: Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien, Montenegro, Bulgarien, die Ukraine, Ungarn, Polen und die Slowakei setzten seit 2010 mindestens einmal aufgrund knapper Kassen beim Eurovision Song Contest aus. Weil jedoch Rumänien nicht von sich aus die Notbremse zog, kam die Entscheidung von der EBU-Zentrale in Genf. Sie disqualifizierte das osteuropäische Land.

Eisernes Schweigen aus Bukarest

EBU-Generaldirektorin Ingrid Deltenre teilte der Presse mit, es sei "bedauerlich, dass wir zu dieser Aktion gezwungen worden sind". Der rumänische Sender schuldet dem Rundfunknetzwerk umgerechnet 14,5 Millionen Euro - angehäuft seit 2007. Allein in diesem Jahr habe man die rumänische Regierung viermal aufgefordert, die Außenstände in Raten zurückzuzahlen. Doch aus Bukarest kam lediglich eisernes Schweigen, so als hätte es die Mahnungen nie gegeben. "Die anhaltende Überschuldung des rumänischen Fernsehens TVR, untergräbt die finanzielle Stabilität der EBU", ließ Generaldirektorin Deltenre mitteilen. Die Europäische Rundfunkunion setzte damit auch ein deutliches Zeichen: Man ignoriert die EBU nicht einfach, wie es Bukarest getan hat.

TVR in den Händen der Politik

Ob der rumänienweite Sender in naher Zukunft seine Schulden in Genf begleichen kann, ist äußerst fraglich. Die öffentlich-rechtliche Anstalt hat nicht nur Schulden bei der EBU, sondern auch bei vielen anderen Institutionen. Auf fast 200 Millionen Euro beläuft sich der Schuldenberg des Senders. Mit den Einnahmen aus Rundfunkgebühren ist der jedenfalls nicht zu begleichen: Sie gehören in Rumänien zu den europaweit niedrigsten. Knapp elf Euro zahlt ein Fernsehzuschauer pro Jahr, die Gebühr wird mit der Stromrechnung eingezogen. Auch die Politik kümmert die finanzielle Schieflage des Senders wenig: Für Parlament, Regierung und Präsidentschaft, die den leitenden TVR-Verwaltungsrat besetzen und über das Budget des Senders entscheiden, zählte in der Vergangenheit die politische Einflussnahme aufs Programm und nicht die Buchhaltung.

ESC wird nicht in Rumänien ausgestrahlt

Auch für den Rauswurf aus dem ESC-Finale fiel der rumänischen Politik kein Ausweg ein. Der parteilose Premier Dacian Ciolos kommentierte auf Facebook nahezu abschätzig, man sei sich nicht sicher, dass eventuell bereitgestelltes Geld tatsächlich zur Bezahlung der EBU-Schulden verwendet werde. Doch solange der Sender seine Schulden bei der Europäischen Rundfunkunion nicht zurückzahlt, bleibt das Land bei der Übertragung weltweit wichtiger Fernsehereignisse außen vor: bei Olympischen Spielen, bei Übertragungen von der Fußball-EM in Frankreich und eben auch beim Eurovison Song Contest. Das hat am Samstagabend nicht nur der rumänische Sänger Ovidiu Anton, sondern die gesamte Nation zu spüren bekommen. Das ESC-Finale aus Stockholm durfte vom rumänischen Fernsehen nicht übertragen werden.

Song erinnert an Brandkatastrophe in Bukarest

Viermal schon hatte Rockstar Ovidiu Anton bei rumänischen Vorausscheiden vergeblich versucht, das Ticket zum ESC zu lösen. Jetzt war es endlich soweit: Mit seinem jüngsten Song "Moment of Silence" begeisterte er die rumänischen Zuschauer. "Moment der Stille", so der Titel auf Deutsch, sei nun "auf bittere Weise für Anton real" geworden, kommentierten deutsche Medien in diesen Tagen.

Mit dem Lied will der Songwriter jedoch vielmehr an die Brandtragödie in einem Bukarester Nachtclub vom vorigen Oktober erinnern. Damals starben 64 Menschen. Die Ermittler fanden schließlich heraus, dass nicht nur die Clubbesitzer, sondern auch die staatlichen Behörden maßlos geschlampt hatten. Rumänien sorgte damals für Negativschlagzeilen, so wie jetzt einmal mehr beim jüngsten Eurovision Song Contest.

Tiefe Enttäuschung beim Sänger

Rumäniens ärmeres Nachbarland – die Republik Moldau – bot Ovidiu Anton vor Tagen an, ihn auf den letzten Metern noch mit für Stockholm zu nominieren. Schließlich sprechen beide Länder dieselbe Sprache. Der Sänger lehnte ab. Zu tief saß seine Enttäuschung über die EBU-Entscheidung: "Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle in freundliche Worte fassen soll, also lasse ich es lieber ganz", schrieb Anton auf Facebook.

Sollte Bukarest die aufgelaufenen Schulden bei der Europäischen Rundfunkunion übrigens bis 2017 nicht bezahlt haben, wird das Land auch beim nächsten ESC-Finale nicht dabei sein. Der "Moment der Stille" könnte für Rumänien also länger dauern, als heute noch gedacht.