Nationale Protestversammlung der bulgarischen Fahrschulen.
Fahrschullehrer protestieren gegen Korruption-Verdacht Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Führerscheinbetrug in Bulgarien

07. Juli 2017, 12:19 Uhr

In Bulgarien vergeben korrupte Beamte Prüfer Führerscheine – ohne Prüfung, dafür gegen Geld. Das Problem ist bekannt. Dennoch läuft der Betrug weiter und Whistleblower werden denunziert.

Guten Tag, wir vergeben Führerscheine ohne Notwendigkeit theoretischer und praktischer Prüfung. Die Fahrerlaubnisse werden von der von Ihnen ausgewählten Fahrschule ausgegeben, mit Registrierung bei der Verkehrspolizei und der Automobil-Administration, Lieferung mit Zertifikat vom Roten Kreuz, Preis 800 bis 1800 Bulgarische Lewa je nach Fahrzeugkategorie, Ausstellungsdauer 3-4 Tage.

Bezplatno.net Werbetext in dem bulgarischen Online-Medium für kostenlose Anzeigen

Einen Führerschein ohne Prüfung, für umgerechnet 400 bis 900 Euro: Nicht nur dieses Angebot aus einem bulgarischen Anzeigenportal gibt Hinweise auf den Führerscheinbetrug in Bulgarien. Dass der Handel mit Fahrerlaubnissen ein ernsthaftes Problem darstellt, hat zuletzt eine Verhaftungsaktion der bulgarischen Polizei am 8. Juni 2017 gezeigt. Dabei wurden 14 Personen festgenommen, darunter 12 Führerscheinprüfer der staatlichen Automobil-Administration (AA) und zwei Fahrlehrer.

Kampf eines Whistleblowers

Der Inspekteur der AA in Sofia Iwo Borislawow Krastew führt seit Jahren einen Kampf gegen Windmühlen. Unter denen, die in Europa wirklich etwas zu sagen haben, ist es vielleicht nur der Papst, der von Krastew noch nicht ein Signal erhalten hat, in dem der florierende Handel mit gefälschten Führerscheinen en dé­tail beschrieben wird. "Ich kenne viele Namen von Leuten, die gar nicht lesen und schreiben können oder nicht des Bulgarischen mächtig sind und dennoch von bulgarischen Führerscheinprüfern eine Fahrerlaubnis ausgestellt bekommen haben. Gegen Geld. Viele von ihnen gefährden die Verkehrssicherheit nicht nur auf Bulgariens Straßen, sondern im übrigen auch in Europa", warnt er. Mehrfach hat Whistleblower Krastew auf Briefpapier des bulgarischen Transportministeriums die EU-Kommission und auch die Bundesregierung über Korruption in seiner eigenen Behörde alarmiert. Aus Brüssel erhielt er Dank für sein Engagement und die Mitteilung, man werde den Vorgang zu den Akten legen, aus Berlin kam keine Rückmeldung.

Inspekteur Krastew haben seine Vorgesetzten nicht weniger als vier Mal von seinem Posten entlassen, vier Mal wurde er vom Gericht wieder in Amt und Würden gebracht. "Mich lassen sie jetzt in Ruhe, doch ein Kollege von mir, der wie ich gegen die korrupten Praktiken in unserer Behörde ankämpft, hat von Transportminister Iwailo Moskowski nach der letzten Aktion seine Entlassung erhalten mit der zynischen Begründung, er habe nichts gegen den Führerscheinhandel unternommen", erzählt Krastew.

Protestaktion

Nikola Kolev alias Bossia.
Nikolai Kolew, alias "der Barfüßige" Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In dem ewigen Dissidenten Nikola Kolew - genannt "Bossia" (der Barfüßige) - hat Krastew einen prominenten Mitstreiter gefunden, der auch vor unkonventionellen Methoden nicht zurückschreckt. Nachdem sich die bulgarische Staatsanwaltschaft und sonstige nationale Behörden jahrelang taub stellten bzw. in regelmäßigen Abständen mit Alibi-Aktionen Aktivismus vorschützten, ohne den Handel mit Fahrerlaubnissen tatsächlich zu unterbinden, schritt Bossia im September 2015 zur Aktion des zivilen Ungehorsams und bewarf das Bulgarische Parlamentsgebäude mit Tomaten. Damit handelte er sich eine Reihe von Prozessen ein, die er bisher aber alle gewann, weil die Gerichte die Rechtmäßigkeit seines Protestes anerkannten.

Korruption läuft weiter

Es war am zweiten Tag des Staatsbesuchs von Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin am 8. Juni 2017, als die Polizeibeamten in Sofia mal wieder zuschlugen, zum achten Mal seit dem Januar 2013. Das zeitliche Zusammentreffen der Verhaftungsaktion mit Borissows Besuch bei Merkel hält Bossia für keinen Zufall. "Es gibt da einen Zusammenhang", ist er überzeugt, "als im März 2016 der Chef der Automobil-Administration Zwetelin Zwetanow verhaftet wurde - man fand bei ihm mehrere 100.000 Euros -, weilte gerade Europol-Chef Rob Wainwright in Sofia. Bulgarien will auf diese Weise seinen europäischen Partnern zeigen, dass es etwas gegen die Korruption unternimmt. Tatsächlich aber ändert sich nichts, das Schema läuft mit neuen Leuten weiter wie geschmiert."

Mit gefälschtem Führerschein auf deutschen Straßen

Die bulgarische Tageszeitung Bulgaria Dnes (Bulgarien Heute) titelte am 9. Juni 2017 gar, "Merkel ordnet Aktion in der Automobil-Administration an". Im Artikel wird ausgeführt, dass der Druck der Europäischen Union und Deutschlands zu einer weiteren Aktion der Anti-Mafia-Behörden in der AA geführt habe. Der Grund dafür sei, dass hunderte der bulgarischen Sprache nicht mächtigen Flüchtlinge in West-Europa mit bulgarischen Führerscheinen Auto gefahren sind und viele Verkehrsunfälle verursachten. Als prominentes Beispiel für jemanden, der seinen Führerschein unrechtmäßig in Bulgarien erworben und in Deutschland einen Verkehrsunfall verursacht hat, nennt Bulgaria Dnes den Ex-Fußballprofi von Hannover 96 Allan Saint Maximin. Jean-Claude Juncker und Angela Merkel hätten die Bulgaren nun aufgefordert, dem blühenden Handel mit gefälschten Führerscheinen ein Ende zu bereiten, worauf es zu den Verhaftungen in der AA gekommen sei, so Bulgaria Dnes. Ein Sprecher der Bundesregierung teilte auf Anfrage mit, er könne „die Aussagen des Artikels nicht bestätigen". Zur Frage, auf welches Echo die mehrfachen Signale zum Führerscheinhandel in Bulgarien bei Bundeskanzlerin Merkel gestoßen sind, machte er keine Angaben.

Verkehrstote in Bulgarien

Verkehr in Sofia.
Verkehr in der bulgarischen Hauptstadt Sofia Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mit 99 Verkehrstoten pro einer Million Einwohner hat Bulgarien für das Jahr 2016 die traurige Spitzenposition innerhalb der Europäischen Union (EU) inne, in Deutschland ist diese Quote mit 39 pro einer Million Einwohner mehr als zwei Mal so niedrig. Außer dem zum Teil schlechten Straßenverkehrsnetz und international üblichen Unfallursachen wie Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Raserei halten Krastew und Bossia den illegalen Führerscheinhandel für mitverantwortlich für die hohe Todesrate in ihrem Land. Sie äußern zudem ihre Befürchtung, radikale Islamisten könnten in Bulgarien Führerscheine kaufen, um in Westeuropa terroristische Attentate nach dem Muster von Nizza, Berlin und London durchzuführen.

Demos der Fahrschulbetreiber

In einer Stellungnahme zur letzten Verhaftungswelle hat Transportminister Iwailo Moskowski versucht, die Schuld an den korrupten Praktiken weg von seiner Automobil-Administration hin zu den privaten Fahrschulbetreibern zu schieben. Er erntete damit wütenden Protest. Unter dem Motto "Nicht bei uns ist die Korruption!", demonstrierten am Dienstagmorgen Fahrlehrer aus dem ganzen Land auf dem Parkplatz eines großen Einkaufzentrums vor den Toren der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR | 27.03.2017 | 17:45 Uhr