Ein weißes Haus mit einer Glasfront. Vor dem Haus steht ein Baum.
Das Jüdische Museum in Warschau - eröffnet 2014. Bildrechte: W. Kryński / POLIN Museum of the History of Polish Jews

Polen "Holocaust-Gesetz" sorgt für antisemitische Hasswelle

01. März 2018, 12:28 Uhr

In Polen tritt heute das umstrittene "Holocaust-Gesetz" in Kraft. Wer dem Land eine Mitschuld an den Nazi-Verbrechen gibt, soll künftig bestraft werden. Die Diskussion um das Gesetz sorgt für eine neue Hasswelle gegen Juden. Es gab sie schon einmal bei den Studentenprotesten - im März 1968 in Warschau. An die Ereignisse vor 50 Jahren wird derzeit erinnert.

In diesen Tagen will die Physik-Fakultät der Universität Warschau an die Studentenproteste von 1968 erinnern. Die Stimmung von damals erinnert an die Stimmung von heute. Doch was war vor 50 Jahren passiert?

Tausende junge Menschen, darunter auch viele jüdische Intellektuelle, waren im März 1968 für Reformen auf die Straße gegangen. Eine Revolte, die die kommunistische Regierung damals umgehend in eine andere Richtung lenken wollte. So warf die Staatsmacht den Protestierenden vor, sie würden Stimmung für Israel machen. Ein Jahr zuvor hatte Polen - wie der gesamte Ostblock - die Beziehungen zum Land abgebrochen - als Reaktion auf den Sechs-Tage-Krieg, den Israel gewonnen hatte. Die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PZPR) sah darin einen Sieg der Imperialisten über die befreundeten Araber.

Zweite Auswanderungswelle der Juden

Die Warschauer Studentenproteste lösten eine antisemitische Hasswelle in Polen aus, die die Behörden mit anheizten. Juden wurden von Schulen und Universitäten verwiesen und aus der Partei geworfen. Der Chef der kommunistischen PZPR, Wladyslaw Gomulka, erklärte damals, dass jeder Pole nur ein Vaterland haben solle. Wer Israel als seine Heimat ansehe, der könne einen Ausreisepass beantragen, kündigte er an. Aus Angst vor weiteren Säuberungsaktionen verließen damals 13.000 Juden das Land. Es war die zweite große Auswanderungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Holocaust der Nazis an den Juden im besetzten Polen.

Jüdisches Museum beschäftigt sich mit 1968-er Revolte

Blick in Ausstellungsraum Jüdisches Museum in Warschau
Blick in einen Ausstellungsraum des Jüdischen Museums in Warschau Bildrechte: POLIN Museum of the History of Polish Jews

Mit der Auswanderungswelle beschäftigt sich dieser Tage auch das Jüdische Museum "POLIN" (jiddisches Wort für Polen), das 2014 in der polnischen Hauptstadt Warschau eröffnet wurde. Es will in diesem Monat jenseits der Dauerausstellung mit Debatten, Foto-Aktionen, Schulprojekten an die 1968er-Revolte erinnern. Das Museum will damit nach eigenen Angaben zeigen, wie schnell eine Stimmung in Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit umschlagen kann. Eine Stimmung, die jetzt im Zuge des neuen sogenannten Holocaust-Gesetzes wieder hochkocht.

Worum geht es im neuen Gesetz?

Polens Regierung will sich mit dem Gesetz gegen die falsche Bezeichnung "polnische Todeslager" wehren. In der Vergangenheit wurde der Begriff wiederholt in westlichen Medien für die Konzentrationslager der deutschen Nationalsozialisten im besetzten Polen genutzt. Das am 1. März in Kraft getretene Gesetz sieht Geld- oder Haftstrafen für Außerungen vor, die Polen die Verantwortung oder die Mitschuld an den Verbrechen der Nazis geben.

Juden befürchten Einschüchterungsversuche

Doch genau weil es im Gesetz auch um die Verantwortung und Mitschuld der Polen geht, gibt es starke Kritik an der Regelung - von Israel und vielen jüdischen Gemeinden. Sie befürchten, das Gesetz könnte missbraucht werden, um die Verantwortung der Polen an Verbrechen gegen Juden zu leugnen. Der in den USA lebende polnische Historiker Jan Tomasz Gross hatte Anfang 2000 mit seinen Forschungen die polnische Mitschuld am Holocaust in den Fokus gerückt. So hatte es im besetzten Polen aber auch in den Nachkriegsjahren mehrfach polnische Pogrome an Juden gegeben.

Neue antisemitische Hasswelle

Der antisemitische Hass ist in Polen offenbar bis heute nicht verschwunden, wie er sich in vielen Internet-Kommentaren zum sogenannten Holocaust-Gesetz der nationalkonservativen PiS zeigt. In den Kommentarspalten von Tageszeitungen-Websites wird die Regelung euphorisch begrüßt. Ein Nutzer schreibt: "Ganz gleich, was der Pole macht, wird er als Antisemit, xenophob und rassistisch beschimpft. Damit muss Schluss sein. Bravo PiS!" In zahlreichen Kommentaren werden Juden beschuldigt, "selbst am Antisemitismus schuld zu sein". Auch wolle Israel mit seiner Kritik am Gesetz, doch nur "von seinen Verbrechen gegen die Palästinenser ablenken."

Dass die Stimmung enorm aufgeheizt ist, bekommt auch Polens Oberrabiner Michael Schudrich zu spüren. Vor Tagen sagte er in der Sendung "Europamagazin" Im Ersten, in den vergangenen beiden Wochen habe er mehr antisemitische Äußerungen gehört, als in den vergangenen 25 Jahren. Es sei jetzt die Zeit, so Schudrich, wo man gegen Antisemitismus und Gewalt kämpfen müsse.

Juden in Polen Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges lebten rund 3,5 Millionen Juden in Polen. Rund 90 Prozent wurden während der deutschen Besatzung von den deutschen Nazis ermordet. Bis zu 240.000 Juden, die den Genozid überlebt hatten wanderten nach dem Krieg aus Polen aus. Laut Volkszählung von 2011 leben heute rund 7.000 Juden in Polen.

(am/baz)

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Radio | 01.03.2017 | 09:15 Uhr