Bulgariens EU-Ratspräsidentschaft: "Ein integraler Bestandteil Europas"

11. Januar 2018, 12:01 Uhr

Bulgarien übernimmt für die kommenden sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Auf der Agenda stehen neben der Flüchtlingsfrage vor allem die EU-Perspektiven des Balkan, meint Südosteuropa-Expertin Johanna Deimel.

HEUTE IM OSTEN: Was bedeutet die Ratspräsidentschaft für Bulgarien?  Was erwartet man dort und auch in Brüssel von den kommenden sechs Monaten?

Johanna Deimel: Man erwartet, dass sich Bulgarien – und das ist auch Teil des bulgarischen Programms für die Ratspräsidentschaft – um die Nachbarn kümmert, also gezielt um den Westlichen Balkan. Bulgarien wird im Mai einen großen Balkangipfel in Sofia abhalten. Es geht darum, die EU-Perspektive der Region nachhaltig zu bekräftigen, die ja seit dem letzten großen EU-Gipfel zum Westlichen Balkan 2003 besteht. Die andere Erwartung betrifft die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der EU. Da stehen regionale Kooperationen im Vordergrund.

Ein kleines Land wie Bulgarien kann allerdings innerhalb einer sechsmonatigen Ratspräsidentschaft keine ganz großen Initiativen starten. Das wäre anders, wenn Frankreich oder Deutschland die Ratspräsidentschaft innehätten. Und doch sind  die Vorhaben und Programme für dieses halbe Jahr auch in Absprache mit den nachfolgenden EU-Ratspräsidentschaften in der sogenannten "Troika" abgestimmt und  formuliert worden. Das war im Vorfeld mit Estland und ist jetzt mit Österreich der Fall, das im zweiten Halbjahr 2018 die Präsidentschaft übernehmen wird.

Bulgarien hat nun auch einige Probleme bzw. Besonderheiten: So regiert der Premierminister Bojko Borissow mit einer äußerst fragilen Regierungskoalition und gilt europapolitisch eher als unerfahren. Könnte das zum Problem werden?

So unerfahren ist Borissow nun nicht mehr. Er ist ja schon lange genug im Amt und seine Partei ist auch in die Europäische Volkspartei (EVP) eingebunden . Die Regierungskoalition ist aber in der Tat problematisch, weil sich Borissow auf europakritische und zum Teil extrem rechte und russlandfreundliche Partner verlassen muss, die in der Wahlallianz der Vereinigten Patrioten (OP) zusammen Teil der Regierungskoalition sind. Innenpolitisch gibt es da kernige Aussagen. Wenn es aber um gemeinsame Beschlussfassungen innerhalb der EU geht, steht Bulgarien mit allen anderen EU-Mitgliedsstaaten in einer Reihe. So hat das Land zuletzt wieder der Verlängerung der EU-Sanktionen gegenüber Russland zugestimmt.

Die Flüchtlingsfrage wird auch 2018 aktuell bleiben, insbesondere deren Verteilung. Und dabei geht eine Art "Riss" durch die EU. Mit Polen, Ungarn und Tschechien lehnen drei Staaten eine Verteilung vehement ab. Bulgarien hat selbst einen Grenzzaun zur Türkei, würde eine Verteilungsquote aber wohl mittragen. Kann es dadurch auch vermitteln?

Es ist klar, dass die Dublin-Regelung revidiert und neu gefasst werden muss. In der Tat zeigte sich Bulgarien bisher solidarisch und gewährt Flüchtlingen  einen Aufenthaltsstatus. Nur wollen die meisten nicht in Bulgarien bleiben sondern weiter nach Deutschland oder etwa in die skandinavischen Länder. Bulgarien hat mit der Türkei einen Grenzzaun errichtet und ist für die Sicherung der EU-Außengrenzen mit verantwortlich.

Die Verteilung der Flüchtlinge wird eine der zentralen Fragen sein in diesem halben Jahr. Und ja, da kann Bulgarien aus der eigenen Erfahrung eine Rolle spielen. Nun stehen auch die neuen Budgetverhandlungen innerhalb der EU an. Wir hören gerade  von Ungarn und Polen, sie wären bereit mehr Geld in das EU-Gesamtbudget einzahlen, wenn sie im Gegenzug keine oder wenige Flüchtlinge aufnehmen müssen. Damit spielen sie sehr geschickt auf der populistischen politischen Klaviatur.

Sie sprachen bereits von den EU-Beitrittskandidaten Serbien, Mazedonien und Albanien, deren Perspektive eine größere Rolle spielen sollen. Auf politischer Ebene gibt es daran durchaus ein Interesse, die öffentliche Meinung innerhalb der EU ist da anders. Ist das Thema daher in diesem halben Jahr überhaupt erfolgversprechend?

Es geht auch darum, proaktiv für Europa zu werben. Serbien, Mazedonien und Albanien sind wie der gesamte Balkan ein integraler Bestandteil Europas. Und mit diesem Westbalkan-Gipfel im Mai wird ein wichtiges Zeichen gesetzt. Es muss einfach gerade in unser mitteleuropäisches und deutsches Bewusstsein eindringen, wie wichtig dieser Raum für uns ist. Deshalb hat Deutschland auch den sogenannten "Berlin-Prozess" in Gang gesetzt.

Wenn es  in der Region Westlicher Balkan ernsthaftere Probleme gibt, dann hat das unmittelbare Auswirkungen auf uns. Lassen Sie mich als ein Beispiel Mazedonien nennen, wo insbesondere letztes Jahr eine große innenpolitische Krise gab, die den gesamten Balkan und damit auch den Rest Europas hätte destabilisieren können. Mit der neuen  Regierung in Skopje  sieht es aus, als würde Mazedonien tatsächlich wieder auf einen euroatlantischen Integrationskurs einschwenken. Es scheint sich im sogenannten Namensstreit mit Griechenland einiges zu bewegen, und auch mit Bulgarien sind durch den Nachbarschaftsvertrag die Weichen neu gestellt. Dazu hat Bulgarien einen wichtigen Beitrag geleistet.

Portrait Johanna Deimel
Dr. rer. pol. Johanna Deimel Bildrechte: Südosteuropa-Gesellschaft München

Johanna Deimel ist stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft (SOG). Ihre Dissertation befasste sich mit der Situation der Frauen in Bulgarien, seither ist sie als Bulgarienexpertin Autorin zahlreicher Analysen, etwa für das Jahrbuch der europäischen Integration.

Über dieses Thema berichtete MDR auch im: Radio | 06.01.2018 | 13:22 Uhr