Dmitrij Kononenko, Digitalexperte der AHK in Moskau.
"Um gute Software zu schreiben, braucht man keine großen Fabriken, sondern nur ein paar gute Computer und sehr gute Programmierer. Und die hat Russland." - Dmitrij Kononenko, Digitalexperte der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer in Moskau. Bildrechte: Alexander Hertel/MDR

Digitalwirtschaft in Russland "Russlands größtes Kapital sind seine Fachkräfte"

21. Oktober 2017, 15:44 Uhr

Auf der IFA in Berlin ist Russland gut vertreten. Das Land investiert massiv in die Digitalwirtschaft und will in die Weltspitze vorstoßen. Die Vorzeichen seien zumindest gut, meint Dmitrij Kononenko, Digitalexperte der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer in Moskau.

Die Ziele der Regierung sind ambitioniert. Bis 2035 soll Russland zu den führenden IT-Nationen aufschließen. Aber wie sieht es gerade aus? 

Dmitrij Kononenko: Aktuell holt Russland auf jeden Fall sehr stark auf. Ich glaube aber nicht, dass das Land die Möglichkeiten hat, in absehbarer Zeit Weltspitze zu werden. Die USA haben doch schon einen sehr großen Vorsprung in diesem Bereich. Auch in ostasiatischen Ländern wie Japan, Südkorea, Taiwan oder China wird die Wirtschaft sehr stark digitalisiert.

Die Regierungen investieren dort Geldsummen, die in Russland gar nicht zur Verfügung stehen. Aber grundsätzlich hat Russland großes Potential, zumindest zur Weltspitze aufzuschließen. Sein größtes Kapital sind dabei immer noch seine Fachkräfte, die Programmierer und Ingenieure. Die waren zu Sowjetzeiten hervorragend und sind es immer noch.  

Dabei zeigt sich eine Diskrepanz in Russland: In der Softwareentwicklung ist das Land global erfolgreich, russische Hardware sucht man auf den Weltmärkten jedoch vergeblich. Woran liegt das? 

Es gab zu Zeiten der Sowjetunion einen Witz zu diesem Thema. Es hieß immer: Russland hat die größten Bomber, die größten Panzer, die größten Züge und eben auch die größten Mikrochips. Die Mikroelektronik war nie stark ausgeprägt und wenn man 20 bis 30 Jahre Rückstand auf die Weltspitze hat, ist das schwer aufzuholen. Da wird Russland auch in den kommenden Jahrzehnten nicht tonangebend sein.

Das liegt auch daran, dass zur Hardwareentwicklung viele Ressourcen und Kapital notwendig sind. Und die hat Russland in den meisten Regionen einfach nicht. Aber um gute Software zu schreiben, braucht man eben keine großen Fabriken, sondern nur ein paar gute Computer und sehr gute Programmierer. Und die hat Russland. 

Im Dezember 2016 hat Präsident Putin die so genannten „Nationale Strategie Digitale Wirtschaft“ vorgestellt, ein 8-Punkte-Konzept für die kommenden zwei Jahrzehnte. Wie erfolgsversprechend ist das? 

Das ist ein Konzept von nationalem Ausmaß. Es ist geplant, die gesamte Gesellschaft zu digitalisieren. Die einzelnen Punkte umfassen alle Wirtschaftsbereiche. Es soll viel Geld investiert werden und neue Gesetze zu einer wirtschaftsfreundlichen Regulierung des IT-Sektors geben.

Auch auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum Anfang Juni hat Putin ausschließlich über Digitalisierung gesprochen. Das Thema ist also auf allerhöchster staatlicher Ebene angekommen. Wenn das zumindest zum Großteil so umgesetzt wird, ist das äußerst erfolgsversprechend. 

Investiert wird auch in die Infrastruktur und da gibt es einige Leuchtturmprojekte. Eines davon ist die IT-Stadt Innopolis, die mittelfristig eines der globalen IT-Zentren werden soll. Wie realistisch sind solche Konzepte? 

Ein globales IT-Zentrum ist sicherlich zu hoch gegriffen. Soweit ich weiß, hat sich seit der Gründung der Stadt 2015 kein einziges ausländisches Unternehmen dort angesiedelt. Innopolis steht auch im Selbstverständnis ganz klar an dritter Stelle in Russland: nach Moskau und Sankt Petersburg. Da wird Innopolis auch nicht rankommen. Es ist also eher ein nationales Zentrum. 

Ganz anders sieht das in Skolkowo aus, dem IT-Cluster vor den Toren Moskaus. Das ist ein riesiges Innovationszentrum mit angeschlossener Sonderwirtschaftszone. Dort betreiben mittlerweile auch große westliche Konzerne Forschungs- und Entwicklungszentren: etwa Boeing, Siemens oder SAP. Und der russische Staat finanziert Skolkowo sehr stark. Daher hat dieser Standort eher das Potential, zu einem globalen Innovationszentrum heran zu wachsen. 

Osteuropa

Innopolis
Das aktuelle Vorzeigeprojekt der Uni kommt aus dem Robotik-Labor. Dort entwickeln die angehenden Softwareingenieure gerade "Gagarin", einen digitalen Sprachassistenten, der dem Apple-Programm "Siri" ähnelt, jedoch in einem menschenähnlichen Roboterkörper steckt. Bildrechte: MDR/Alexander Hertel

Russlands IT-Szene kommt im Ausland immer wieder durch bewiesene und unbewiesene Hackerangriffe in die Schlagzeilen. Ihr wird auch eine Nähe zu Geheimdiensten nachgesagt. Wie schwer macht es das für die heimische Industrie?

Wir hören in der Tat immer wieder von russischen Softwareherstellern, dass sie mit diesem Stigma zu kämpfen haben: eben, dass man mit dem russischen Staat unter einer Decke stecke, dass man russischen Hackern zuarbeite oder dass man ausländische Staaten ausspionieren möchte. Das ist natürlich ein Nachteil gegenüber Konkurrenten aus anderen Ländern. 

Russlands Wirtschaft hat noch andere, größere Baustellen. Etwa die Abhängigkeit von Öl- und Gas-Exporten und eine vielerorts marode Infrastruktur. Bremsen die heimischen Probleme Russlands Ambitionen am Ende mehr aus, als die Mitbewerber? 

Der neue Plan der Regierung umfasst fast alle Wirtschaftsbereiche. Da geht es um Smart Cities, das Gesundheitswesen und digitale Infrastruktur. Da wird es einen riesigen Bedarf an Arbeitskräften geben. Und die Zahlen aus anderen Ländern zeigen, dass in diesen Bereichen unter dem Strich mehr neue Arbeitsplätze entstehen, als in „alten Wirtschaftsbereichen" durch Automatisierung und Robotisierung wegfallen. Daher glaube ich, dass die Digitalisierung eher dazu beiträgt, die alten Probleme zu lösen. 

Dimitrij Kononenko hoch
Bildrechte: AHK Moskau

Dmitrij Kononenko wurde 1984 in Kiew geboren, ist aber in Berlin aufgewachsen. Er studierte Politik- und Verwaltungswissenschaften in Potsdam, St. Petersburg und Moskau. Seit 2016 ist Kononenko Bereichsleiter Digitalisierung und Zukunftstechnologien bei der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer in Moskau.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Radio | 23.06.2017 | 06:21 Uhr