Piotr Kladoczny von der Helsinki-Stiftung.
Dr. Piotr Kladoczny, Helsinki-Stiftung für Menschenrechte (HFHR) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Interview Sexualstraftäter-Register: "An der Realität ändert das nichts."

08. Januar 2018, 17:17 Uhr

Seit dem 1. Januar werden Sexualstraftäter in Polen in einem öffentlichen Online-Register erfasst. "Opferrecht geht vor Täterrecht", sagt der polnische Justizminister dazu. Das Register ist "destruktiv" und helfe nicht, so Piotr Kladoczny von der Helsinki-Stiftung in Warschau.

Dr. Piotr Kladoczny von der Warschauer Helsinki-Stiftung für Menschenrechte (HFHR) kritisiert das neue Online-Register scharf. Er glaubt, dass es zur Stigmatisierung von Tätern und Opfern führt. Außerdem setze es die Erfolgschancen für ehemalige Straftäter aufs Spiel, erklärte das Vorstandsmitglied des polnischen Vereins im Gespräch mit HEUTE IM OSTEN.

HEUTE IM OSTEN: Nach langer Vorlaufzeit ist das Register von ehemaligen Sexualstraftätern nun online für die Öffentlichkeit zugänglich. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Piotr Kladoczny: Dieses öffentliche Register bringt keine Vorteile, sondern nur Nachteile. Entgegen dem, was das Justizministerium sagt, erhöht es die Sicherheit nicht. Vielleicht erhöht es vorübergehend das subjektive Sicherheitsgefühl, aber auch das nur kurzzeitig.

Denn wenn jemand herausfinden will, ob es Sexualstraftäter in seiner Umgebung gibt, gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Ja, es gibt jemanden. Dann ist die Frage, ob man sich durch diese Information nun sicherer fühlt. Oder es gibt niemanden in der Nähe. Dann fühlt man sich vielleicht sicherer, aber trotzdem kann jederzeit ein Täter in die Gegend kommen. An der realen Sicherheitslage ändert sich in beiden Fällen gar nichts.

Unter den knapp 800 registrierten Sexualstraftätern sind viele, die ihre Strafen längst abgesessen haben. Ist der Eingriff in deren Privatsphäre nötig?

Zumindest heißt der Eintrag nicht automatisch, dass sie noch gefährlich sind. Sie haben ihre Strafe ja abgesessen, bemühen sich vielleicht um Arbeit, versuchen sich ein Leben aufzubauen. Ein Teil begibt sich auch in Behandlung. Öffentlich zu machen, wer diese Leute sind, hilft nicht bei deren Resozialisierung.

Das hat auch die Vereinigung polnischer Sexualtherapeuten kritisiert, bevor dieses Gesetz verabschiedet wurde. Vielmehr erschwert es enorm, diese Menschen zu therapieren. Vielleicht bedeutet es sogar das Ende der Therapie. Denn welche Motivation hat dann dieser Mensch noch, dessen Ziel ja gerade die Wiedereingliederung in die Gesellschaft war?

Warum ist das so ein großes Problem?

Durch dieses öffentliche Register wird es unwichtig, ob die Therapie eines Sexualstraftäters erfolgreich verläuft oder nicht. Denn die Nachbarn wissen von seiner Tat und verdächtigen ihn, weiterhin pädophil und gefährlich zu sein. Einmal pädophil, immer pädophil: So ist das gesellschaftliche Verständnis. Und das ist ein großes Problem für den Täter und der fragt sich: Warum soll ich mich dann überhaupt ändern, wozu das Ganze?

Hinzu kommt das Problem für die Familien. Denn so jemand muss nicht zwingend alleine sein. Der hat Eltern, Geschwister, vielleicht eine Familie mit Kindern oder hatte zumindest mal eine. Und nun sagen die Leute: "Schau, ein Pädophiler in unserer Gegend". Und dann ist ein Junge oder Mädchen in der Klasse mit dem gleichen Namen. Nun können Sie sich sicher vorstellen, dass das Leben dieses Kindes nicht leichter wird. Dabei ist es nicht die eigene Schuld, mit einem Pädophilen verwandt zu sein.

Warum ist dieses Öffentlichmachen vielen Menschen dann offensichtlich so wichtig? Ist das eine Art Pranger?

Natürlich, ein Pranger des 21. Jahrhunderts. Er hat aber den gleichen Sinn wie früher und soll Leute bloßstellen. Darüber hinaus scheint sich ein Teil der Menschen zu freuen, wenn diese Leute - "die schlechten Leute", die ja wirklich schlechtes getan haben - ewig in der Verdammung schmoren. Dass ist eine ziemlich scheußliche Argumentation. Aber ich gebe zu, sie ist einigermaßen nachvollziehbar.

Die Gesellschaft fordert klare Maßnahmen, um diese Art der Verbrechen zu verhindern. Zusammengefasst: Was braucht es also, um das zu schaffen?

Therapien! Und im Moment der Veröffentlichung werden diese Therapien durch das Register erschwert, das ist klar. Außerdem gibt es eine Fülle an Gesetzen, die verschiedenste Taten sanktionieren, weit vor sexuellen Übergriffen. Es gibt auch bereits die Möglichkeit, in Einzelfällen, Informationen über gefährliche Täter publik zu machen. Wir sollten daher darauf vertrauen, dass all die Maßnahmen greifen. Denn die Zahl der Übergriffe geht seit Jahren zurück. Und deshalb gibt es derzeit keinen Grund, neue kontroverse und meiner Meinung nach destruktive Mittel zu erfinden.

Helsinki-Stiftung für Menschenrechte (HFHR) Die Helsinki-Stiftung wurde 1989 in Polen gegründet und setzt sich für die Menschenrechte als unverzichtbarer Bestandteil eines funktionierenden Staates ein. Die Stiftung mit Sitz in Polen will Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Menschwürde stärken - in Polen und der Welt. Seit 2007 berät sie den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Erfahren Sie mehr unter: www.hfhr.pl.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL im: TV | 05.01.2018 | 17:45 Uhr