Viorica Dancila
Viorica Dancila ist seit Ende Januar 2018 Regierungschefin. Bildrechte: Adrian Piclisan/Rumänische Regierung

Rumänische Regierungschefin "Wir sind gegen eine Pflichtquote in der EU"

31. Dezember 2018, 05:00 Uhr

Ab 1. Januar 2019 übernimmt Rumänien erstmals die EU-Ratspräsidentschaft. Grund für die MDR-Redaktion "Heute im Osten", mit Premierministerin Viorica Dancila darüber zu sprechen, welche Prioritäten ihre Regierung beim sechsmonatigen EU-Ratsvorsitz setzen will.

Welche Themen will Ihre Regierung in der EU-Ratspräsidentschaft unbedingt angehen?

Wir haben die Prioritäten in vier für uns wesentliche Bereiche unterteilt. Wir wollen ein Europa der wirtschaftlichen, politischen, sozialen Konvergenz vorantreiben. Wir sind für eine stärkere Rolle der EU auf globaler Ebene, für ein Europa der Sicherheit. Ebenso gehört die Förderung europäischer Werte für uns dazu. Zusätzlich wollen wir uns für die Erweiterungspolitik auf dem Westbalkan einsetzen, ebenso die östliche Partnerschaft und die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben.

Rumänien steht vor einer EU-Ratspräsidentschaft mit vielen Herausforderungen, wie dem Brexit, der Migration und der EU-Wahl. Was halten Sie für das schwierigste Vorhaben ?

Wir müssen all diese Herausforderungen mit großer Aufmerksamkeit und Verantwortung behandeln. Auf einige Fragen wie den Brexit und die Zukunft der EU danach muss die Union zum ersten Mal eine Antwort finden. Beim Thema Migration ist die Europäische Union bislang gespalten. All diese Vorhaben sind kompliziert und wichtig zugleich. Doch wir sind sehr gut darauf vorbereitet, diese Herausforderungen zu meistern.

Österreich, das die EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende innehat, legte großen Wert auf das Thema Migration. Die EU dreht sich bei einer gemeinsamen Migrationspolitik derzeit im Kreis. Was will die rumänische Regierung in dieser Hinsicht konkret erreichen?

Kein Vorschlag funktioniert in der EU ohne einen Konsens der Mitglieder. Deshalb brauchen wir Lösungen, die die Mehrheit der Länder akzeptieren. Einer dieser Ansätze ist, nach Lösungen in den Herkunftsländern der Migranten zu suchen.  

Sie wollen, dass die Herkunftsländer mehr Entwicklungshilfe erhalten?

Ganz bestimmt wünschen wir uns das. Aber es zählt natürlich nicht nur das, was wir uns wünschen. Wir müssen in dieser EU-Ratspräsidentschaft als ehrlicher Vermittler agieren und einen Konsens ermöglichen. Wir sollten in der EU zugleich alle verstehen, dass wir nicht endlos tausende Varianten durchspielen können, ohne ein Ergebnis zu finden. Die EU-Bürger erwarten eine Lösung und ich hoffe, dass wir die in der Zeit der rumänischen EU-Ratspräsidentschaft finden werden.

In Osteuropa sorgte die Verteilungsquote für Flüchtlinge für viel Wirbel. Ungarn, Tschechien, Polen lehnten sie vehement ab, Rumänien hat sie hingegen umgesetzt. Sollte man die Verteilung der Flüchtlinge in Europa nach Quoten fortsetzen?

Wir sind gegen eine Pflichtquote in der EU. Vielmehr muss der jeweilige Mitgliedsstaat der Quote zustimmen. Zugleich sollten wir aber bedenken, dass hinter den Zahlen Menschen stehen und wir den notwendigen Rahmen schaffen, sie im jeweiligen Land zu integrieren. Rumänien hat und wird wahrscheinlich noch Flüchtlinge aufnehmen - doch wir müssen je nach Kapazitäten sehen, wie viele. Die anderen Länder zur Aufnahme zwingen, das können wir nicht.

Rumänien ist seit 2007 in der EU, doch ist das Land bis heute nicht im Schengen-Raum. Wie bewerten Sie, dass der Beitritt bis heute nicht vollzogen ist?

Rumänischer Grenzübergang zur Republik Moldau
Rumänien sichert einen Teil der EU-Außengrenze. Das Bild wurde 2011 auf der Seite der Republik Moldau aufgenommen. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, ich halte das für ungerecht meinem Land gegenüber. Wir warten seit so vielen Jahren darauf. Die Europäische Kommission hat gesagt, dass Rumänien die Voraussetzungen erfüllt, um dem Schengen-Raum beizutreten. Wir verteidigen in Koordination mit der Grenzschutzagentur Frontex längst die EU-Außengrenzen mit. In dieser Frage muss eine baldige politische Entscheidung fallen. Mir liegt der innere Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten am Herzen. Der Schengen-Beitritt würde dieses Gefühl befördern und bestärken.

Für den Beitritt zum Schengen-Raum bedarf es eines einstimmigen Votums der Innen- und Justizminister der EU. Einige der Minister westlicher Staaten haben in der Vergangenheit argumentiert, die Korruption in Ihrem Land sei noch nicht bekämpft. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Warum sollte diese Länder also ihre Meinung ändern?

Weil wir die Auflagen für den Schengen-Beitritt erfüllen. Was hat der Schengen-Beitritt mit der Behauptung zu tun, dass es in Rumänien Korruption gibt? Ich sage nicht, dass es keine Korruption bei uns gibt. Aber ich kann auch nicht sagen, dass Rumänien das korrupteste Land ist. Das wäre gelogen. Die Statistik beweist, dass das nicht der Realität entspricht. Aber leidet haftet uns dieses Image an.

Fest steht doch aber, dass Rumänien laut Index* eines der korruptesten Länder der EU ist. Die EU-Kommission evaluiert die Wahrung des Rechtsstaates und den Kampf gegen Korruption in Ihrem Land mittels eines Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM). Ihre Regierung wünscht sich dessen Abschaffung. Was stört Sie daran?

In der Tat wünschen uns die Abschaffung des Verfahrens sehr. Rumänien hat jedes Mal versucht, auf die von der Kommission gestellten Forderungen einzugehen. Doch die wurden ständig verändert, es kamen immer wieder neue und mehr dazu. Das hat dazu geführt, dass diese Evaluierung nicht mehr dieselbe anfängliche Glaubwürdigkeit besitzt. Auch EU-Kommissionschef Juncker sagte unlängst, er hoffe, dass bis Ende seines Mandats die Evaluierung abgeschafft werden kann. Wir werden dafür alle Anstrengungen unternehmen. Wir werden jeden Aspekt einzeln diskutieren und sagen, was wir erfüllen können und was nicht.

Wenn ich mit Ihren Landsleuten auf der Straße rede, dann spüre ich tiefe Frustration. Wer in die Politik gehe, so höre ich oft, wolle vor allem in die eigene Tasche wirtschaften. Was entgegnen Sie Ihren Landsleuten darauf?

Dass sie einen Blick auf die Premierministerin werfen sollen.

In rumänischen Medienberichten sind luxuriöse Villen oder Besitztümer von Politikern zu sehen, darunter auch die von Ihrem Parteichef Liviu Dragnea.

Ich kann nicht von ihm behaupten, dass er reich ist, weil er in die Politik gegangen ist - im Gegenteil. Ich glaube, dass er in die Politik gegangen ist, hat ihm mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Ich sage das aufgrund einer sehr realistischen Einschätzung.

Im Gegensatz dazu fehlen in Rumänien Autobahnen, Krankenhäusern und modernisierten Schulen.

In Rumänien ist das Lebensniveau zuletzt sehr stark gestiegen. Wir haben uns als Regierung in erster Linie auf die Anhebung des Lohnniveaus konzentriert. Ein Arzt verdient in Rumänien jetzt 4.000 Euro. Wir haben die Löhne der Menschen erhöht, die Renten, die Leistungen für behinderte Menschen. Man kann also nicht sagen, dass diese Regierung nicht auch ein Gewinn für die Bürger war.

Also ist es falsch, was die rumänischen Bürger von die Bereicherung in der Politik denken?

Ich glaube, es gibt Desinformation. Vielleicht ist es auch unsere Schuld, weil wir nicht besser aufgezeigt haben, was wir in Rumänien alles verbessert haben. Wir werden jetzt den Schwerpunkt auf Investitionen setzen. Rumänien wird Straßen und Krankenhäuser bekommen. Wir haben mit dem Aufbau begonnen. Nach 30 Jahren ist es sehr schwer, mit allen diesen Dingen zu starten. Und wir tun das ohne damit reich zu werden, wie die Leut auf der Straße sagen, wie Sie behaupten. Ich bin Premierministerin und ich lebe ausschließlich von meinem Gehalt. Ich betreibe keinerlei Geschäfte. Ich lebe nicht in Luxus. Und wie mich gibt es viele andere.

Millionen Rumänen haben in der Vergangenheit das Land verlassen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive sehen. Viele wandern auch aus, weil ihnen die Vetternwirtschaft und die innenpolitischen Querelen zuwider sind. Beunruhigt Sie die massenhafte Abwanderung Ihrer Landsleute?

Ich würde das gerne stoppen. Ich wünschte, dass Rumänen in Rumänien bleiben. Wir können die Leute nicht zum Hierbleiben zwingen, wir müssen das anders angehen. Abgesehen davon, dass wir Löhne, Renten und den Lebensstandard angehoben haben, haben wir neue Arbeitsplätze geschaffen.

Und dennoch wandern Ihre Landsleute weiter aus.

Werbeschild für Busfahrten von Rumänien nach Italien
Werbeschild für Busfahrten nach Italien- nicht um in den Urlaub zu fahren, sondern zur Arbeit. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Wir brauchen die Arbeitskräfte hier, dafür haben wir den Mindestlohn angehoben. Dafür haben wir staatliche Beihilfen bereitgestellt, um Investitionen in Rumänien zu fördern.

Nachdem wir soviel wie möglich leisten, bin ich zuversichtlich, dass viele der Auswanderer zurückkehren oder gar nicht erst auswandern wollen.

Rumänische Regierung Rumänien wird seit 2017 von der sozialliberalen Koalition aus PSD und ALDE regiert. Auf Druck von PSD-Chef Liviu Dragnea wurden zwei parteieigene Ministerpräsidenten bereits ausgetauscht. Regierungskritiker werfen der 55-jährigen Regierungschefin Viorica Dancila vor, dass auch sie nur eine Marionette von PSD-Chef Dragnea sei, der den Posten des Regierungschefs nicht übernehmen durfte, weil er wegen Wahlbetrug vorbestraft ist. Dancila ist seit Ende Januar 2018 Ministerpräsidentin des Landes. Zuvor war sie neun Jahre lang EU-Parlamentsabgeordnete.

* Anmerkung der Redaktion: Wir beziehen uns hier auf den Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International, herausgegeben im Februar 2018.

Die Fragen stellte Annett Müller-Heinze. Wir haben auch ein Interview beim rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis angefragt. Es kam eine Absage.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Radio | 31.12.2018 | 17:00 Uhr