Interview mit Tamás Wiedemann "Wir reden von Korruption"

13. Oktober 2016, 10:52 Uhr

Ungarn ist nicht für alle Migranten dicht. Wer Staatsanleihen für 300.000 Euro über eine private Firma kauft und noch eine saftige Gebühr bezahlt, erhält eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für den EU-Staat und darf sich damit im gesamten Schengen-Raum bewegen. Der ungarische Wirtschaftsjournalist Tamás Wiedemann über den lukrativen Handel mit Aufenthaltsgenehmigungen - und wer daran verdient.

Wie laufen diese Deals ab?

Porträt junger dunkelhaariger Mann mit Brille
Tamás Wiedemann bemüht sogar die Gerichte, um an Informationen über die Geschäfte mit Diskont-Papieren gegen Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten. Bildrechte: Tamas Wiedemann

Das ungarische Parlament hat Ende 2012 ein Gesetz beschlossen, das ermöglicht, dass man eine ungarische Aufenthaltsgenehmigung bekommt, wenn man als Ausländer Staatsanleihen im Wert von 300.000 Euro kauft. Dafür dürfen sie sich lebenslang ohne zusätzliches Visum in Ungarn aufhalten und auch in den Schengen-Raum reisen.

Man kauft diese Staatsanleihen aber nicht direkt vom Staat, sondern von privaten Firmen …

Genau. Die Ausländer kaufen gar keine Staatsanleihen. Private Abwickler, das sind zurzeit fünf Firmen, kaufen die Staatsanleihen und geben den Kunden nur eine Bestätigung aus, dass sie die 300.000 Euro entgegengenommen haben. Die Staatsanleihen selbst bleiben bei diesen Firmen. Das sind Offshore-Firmen, zum Beispiel mit Sitz auf den Cayman-Inseln oder auf Zypern. Und diese Firmen kaufen die Staatsanleihen vom Staat für lediglich 271.000 Euro, nehmen aber von dem Ausländer 300.000 Euro. Das heißt, sie verdienen sofort 29.000 Euro. 

Wie funktioniert das?

Das sind Diskont-Papiere, das heißt, es gibt keine Zinsen, sondern man muss weniger zahlen. Nach fünf Jahren Laufzeit sind die Papiere dann 300.000 Euro wert. Der ungarische Staat zahlt also zwei Prozent Zinsen. Zwei Prozent sind ziemlich viel, weil ungarische Staatsanleihen zurzeit auf dem Markt für 0,5 Prozent gehandelt werden. Der ungarische Steuerzahler zahlt also viermal so viel, als er es in einer normalen Marktsituation tun würde. 

Aber heißt das nicht, dass der ungarische Staat am Ende draufzahlt?

Genau das passiert.   

Und dann gibt es noch eine Vermittlungsgebühr ….

Ja. Zwischen 50.000 und 60.000 Euro. Also insgesamt rund 89.000 Euro.

Warum lässt der ungarische Staat zu, dass fünf Privatfirmen auf seine Kosten profitieren? 

Wir reden von Korruption. Der Staat weiß ganz genau, was vor sich geht. Und deswegen denken wir, dass es sich bei den lizensierten Verkäufern um regierungsnahe Personen oder Firmen handelt.    

Was wissen Sie über diese Firmen und die Leute, die sie vertreten?

Wir wissen nicht ganz genau, wer sie sind. Sie gelten als regierungsnah, aber wahrscheinlich sind das Strohmänner. Wir wissen also fast nichts von diesen Firmen. Sie mussten den Namen der Eigentümer angeben, aber man kann nicht kontrollieren, ob sie wirklich die Eigentümer sind.

Wie viele von diesen Deals sind bisher abgeschlossen worden?

Ich kenne die neuesten Zahlen nicht. Bis Ende August wurden 3.917 Staatsanleihen verkauft. Inklusive aller Familienmitglieder der Käufer dürfen insgesamt 16.000 Aufenthaltsgenehmigungen ausgegeben worden sein. 

Werden diese Menschen in irgendeiner Form überprüft?

In einem Artikel habe ich über einen Russen berichtet, der die Aufenthaltspapiere bekommen hat. Er hatte schon im Gefängnis gesessen. Die Ausländer müssen ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis vorweisen, aber für diesen Russen musste das nicht aus Russland sein. Er hat sich einfach auf den Karibikinseln St. Kitts und Nevis gemeldet und sich von dort ein polizeiliches Führungszeugnis ausstellen lassen. Das geht, weil das ungarische Gesetz sagt, wo sie sich gerade aufhalten, von dort müssen sie das Führungszeugnis mitbringen. So kann man auch Kriminellen die Papiere verkaufen. Und die Frage ist, wie viele Terroristen haben gekauft?

Der Innenminister hat behauptet, dass es eine sehr strenge Kontrolle durch die Geheimdienste gibt. Details hat er aber nicht genannt. Die Geheimdienste haben 20 Tage, um diese Überprüfung zu machen. Wahrscheinlich gibt es keine. Dazu wird im Schengen-Informationssystem nachgeschaut, ob sie in die EU reisen dürfen.

Inzwischen haben diese Anbieter Hunderte Millionen ohne wirkliche Gegenleistung verdient …

… zwischen 300 und 400 Millionen Euro … 

… das schreit ja förmlich nach Korruption. Gibt es denn eine offizielle polizeiliche Untersuchung in der Sache?

Das habe ich einmal versucht. Die Polizei hat abgelehnt. Sie hat gesagt, die Zinsen seien legal. Ich habe noch andere Sachen angezeigt, und sie haben gesagt, sie würden keine Untersuchung einleiten, weil ich am Ende meines Briefes angeblich meine Adresse und meine Telefonnummer nicht angegeben habe. Das stimmt aber nicht. In Ungarn wird alles politisch kontrolliert. Die Polizei wird einen Weg finden, sich mit dieser Geschichte nicht zu beschäftigen.

Haben Sie mit den Firmen oder der Regierung gesprochen?

Mit dem Direktor von EURO-ASIA Investment, Rafael Raj. (Deren Vertrag ist inzwischen gekündigt worden - d. Red.) Sonst niemanden. Wenn ich die Firmen anschreibe oder anrufe, dann beantworten sie meine Fragen nicht, auch die Regierung nicht.

Die Regierung gibt nur positive Kommentare ab. Premier Viktor Orbán hat vor einigen Tagen im Parlament gesagt, dieses Programm sei gut für Ungarn, weil kein Geld Ungarn verlässt, das Land jedoch profitiert. Die negativen Sachen kommentieren sie nicht. Und wenn ich im Parlament unterwegs bin um nachzufragen, dann flüchten die Politiker vor mir.

Um an Informationen zu kommen, musste ich das Gericht bemühen. Derzeit laufen zwei Verfahren. Ich will die Papiere sehen, die aufklären, warum man den fünf Firmen eine Lizenz für das Geschäft gegeben hat. Diese Papiere sind angeblich öffentlich, ich konnte sie jedoch nicht einsehen. Außerdem will ich Informationen darüber, wie viele Staatsanleihen die einzelnen Firmen verkauft haben. Das wird bislang auch verschwiegen.   

Und was sagt die Opposition zu der Sache?

Die Opposition ist zwar dagegen, unternimmt aber so gut wie nichts. Dieses ganze "Einwanderungsprogramm" ist ziemlich kompliziert und lässt sich auf einer Pressekonferenz ganz schlecht erklären. Das ist kein sexy Thema für Politiker. Und außerdem gibt es jeden Tag eine neue Korruptionsgeschichte in Ungarn …