Judentum Schwindende Welt - wie ein Fotograf Spuren jüdischen Lebens in Osteuropa dokumentiert

10. Dezember 2018, 15:49 Uhr

Eine Synagoge als Sporthalle, Grabsteine als Straßenbelag: Der Fotograf Christian Herrmann dokumentiert Spuren jüdischen Lebens in Osteuropa. Bilder, die eindringlich die Folgen von Diktaturen des 20. Jahrhunderts zeigen.

Sie reisen seit knapp 20 Jahren durch Osteuropa und fotografieren dort Spuren jüdischen Lebens. Eines Lebens, das im Holocaust untergangen ist. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Eine meiner allerersten Reisen ging nach Krakau. Die Stadt fand ich sofort großartig. Dort stolpert man sehr prominent über das alte jüdische Viertel Kazimierz und man merkt schnell, dass Judentum in Osteuropa ein ganz anderes Gesicht und eine ganz andere Präsenz gehabt hat, als es in Mitteleuropa der Fall war. So habe ich angefangen auch bei späteren Reisen meine Aufmerksamkeit auf jüdische Orte zu richten - und habe diese Orte auch bewusst gesucht. Einen biografischen Bezug zu Osteuropa habe ich aber nicht. Außer den, den die meisten Deutschen haben, nämlich dass die Großväter oder Väter als Soldaten dort waren.

Ein Mann mit Brille spannt einen Film in eine Kamera
Der Kölner Fotograf und Blogger Christian Herrmann bei der Arbeit Bildrechte: Joachim Steinigeweg

Christian Herrmann ist seit Jahren in Osteuropa auf der Suche nach Spuren jüdischen Lebens. Seine Fotos zeigen zerstörte oder zweckentfremdete Synagogen, überwucherte Friedhöfe, Grabsteine im Straßenpflaster oder Mesusa-Reste an den Türpfosten alter Häuser. Seine Fotos sind im Buch „In schwindendem Licht“ im Lukas-Verlag erschienen.In seinem Blog "Vanished World" dokumentiert er Treffen mit Einheimischen, Zeitzeugengespräche und Besuche.

Sie haben tausende Kilometer durch Osteuropa zurückgelegt und reisen für Ihr Projekt bis zu drei Mal im Jahr nach Galizien, Bessarabien oder in die Bukowina. Es wird trotzdem immer nur ein kleiner Teil bleiben, den sie dokumentieren können. Lässt sich das Ausmaß der Zerstörung und Auslöschung eines Großteils der jüdischen Bevölkerung von damals überhaupt mit den Mitteln der Fotografie darstellen?

Ehrlich gesagt, nein. Aber so kann man zeigen, dass da mehr ist. Das Wissen über das, was in Osteuropa passiert ist, ist sehr gering. Unsere Erinnerung endet oft in Auschwitz. Das Thema Massenerschießungen dagegen ist erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein gedrungen. Ich bin genervt, wenn ein Artikel über den Holocaust erscheint und immer dasselbe Foto zu sehen ist. Immer die Einfahrt zum Lager Auschwitz-Birkenau mit den Gleisen. Wir sollten Erinnerungen in der Fläche ermöglichen und nicht nur auf einzelne Orte beschränken. Und wir sollten den Holocaust als etwas wahrnehmen, das nicht nur durch Lager geprägt ist. Natürlich hat es ganz viel damit zu tun, wovon Überlebende erzählen können. Bei den Massenerschießungen in der Ukraine, in Belarus und im Baltikum gab es eben keine Überlebenden. 

Wie finden Sie diese unbekannten Orte?

Manches ist dokumentiert, über Manches ist geschrieben worden. Vieles erfährt man aber erst, wenn man vor Ort ist. Dann ist man auf Hilfe von Einheimischen angewiesen. Gerade in den Dörfern gibt es oft ein großes Mitteilungsbedürfnis. Wenn die Einheimischen sehen, dass sich Fremde für den jüdischen Friedhof interessieren, dann wollen vor allem die alten Leute ihre eigenen Erinnerungen erzählen oder das, was ihnen ihre Eltern oder Nachbarn erzählt haben. Vor Ort ist die Erinnerung noch präsent. Es spricht vieles dafür, dass man diesen Menschen lange nicht zugehört hat, sich lange niemand für diese Geschichten interessiert hat. Zu kommunistischen Zeiten konnte man gar nicht drüber reden und dann, 1991, als die Sowjetunion auseinanderbrach, war der Holocaust in der Wahrnehmung bereits verblasst.

Manche Fotos sind sehr beklemmend. Zum Beispiel das einer ehemaligen Synagoge, in der jetzt ein Fitnessklub ist.

Das Fitnesscenter ist ein heftiges Beispiel - gerade mit diesem geschmacklosen Plakat, das da dran hängt. Das tut einem richtig weh. Es gibt aber auch andere Beispiele - etwa eine Autowerkstatt oder ein Geschäft in einer ehemaligen Synagoge. Letztlich ist es aber besser, wenn die Gebäude genutzt werden. Denn wenn sie leer wären, dann würden sie ganz schnell verschwinden. Erst bricht das Dach ein und dann ganz schnell der Rest. Solange aber jemand drin ist, der das Gebäude nutzt, bleibt es erhalten, bis man vielleicht eine würdigere Verwendung dafür findet. Die andere Frage ist ja: Wie soll man diese Orte dort nutzen, wo es keine jüdischen Gemeinden mehr gibt? In Deutschland hat man es dadurch gelöst, dass man sie als Ausstellungsräume oder für Kulturveranstaltungen nutzt. Aber ich kann mir kaum vorstellen, was mit hunderten Synagogen in der Ukraine werden soll. Wie viele Konzertsäle braucht denn ein Land?

Eine Sporthalle mit bröckelndem Putz von innen. An der Wand ist ein Sportplakat mit kyrillischer Schrift. Auf dem Boden liegt eine Sportmatte.
Die Synagoge ist heute ein Sportclub Bildrechte: Christian Herrmann

Ihr Buch heißt "In schwindendem Licht". Ist es nur eine Frage der Zeit, bis die jüdischen Spuren irgendwann alle verschwunden sind?

Das, was überleben und übrigbleiben wird, hängt ganz stark davon ab, ob es gelingt, das jüdische Erbe in die allgemeinen nationalen Narrative einzubinden. Damit die jüdische Geschichte nicht als Fremdkörper betrachtet wird, sondern als Teil ihrer eigenen Geschichte. Junge Leute fangen nun an, sich zu interessieren und gehen da meist sehr unbefangen dran. Es gibt viele Beispiele lokaler Initiativen, die sich um den Erhalt von Friedhöfen kümmern oder alte Grabsteine bergen, die irgendwo verbaut worden sind. Denn jüdisches Erbe zu retten, ist auch eine Form von zivilgesellschaftlichem Engagement, auf die man hinweisen sollte. Gerade dann, wenn von  antisemitischen Stereotypen in Osteuropa die Rede ist.

ADG

Über dieses Thema berichtet MDR Zeitresie auch im TV : MDR | 06.11.2018 | 21:15 Uhr