Tschechien Rücktritt nach Massendemos wegen kommunistischer Vergangenheit

07. März 2018, 18:19 Uhr

Die kommunistische Vergangenheit holt auf spektakuläre Art und Weise zwei tschechische Politiker wieder ein. Einer ist seit längerem eine feste Größe im politischen System unseres Nachbarlandes: Ministerpräsident Andrej Babiš. Der andere wurde erst durch die Massenproteste landesweit bekannt, die ihn am Dienstag aus dem Amt fegten, in das er erst wenige Tage zuvor gewählt worden war: der kommunistische Abgeordnete Zdeněk Ondráček.

Der richtige Mann am richtigen Ort: das dachten sich wohl die Kommunisten im tschechischen Parlament, als ihr Abgeordneter Ondráček am Freitag zum "Vorsitzenden des Parlamentsausschusses für die Kontrolle über die Sicherheitskräfte" gewählt wurde – schließlich war Ondráček von 1988 bis 2011 Polizist und zuletzt in der Korruptionsbekämpfung tätig.

Doch für viele Bürger war das offenbar die denkbar ungünstigste Besetzung dieses Postens. Seine Wahl sorgte bei vielen Menschen für Empörung, weil Ondráček 1989 als Bereitschaftspolizist an der brutalen Niederschlagung einer Demonstration gegen das kommunistische Regime in Prag beteiligt war. Einer, der damals als Angehöriger der Sicherheitsorgane gewaltsam gegen die demokratische Bewegung vorging und sich dafür nie entschuldigt hatte, sollte nun im demokratisch gewählten Parlament die Kontrolle über die Sicherheitsorgane ausüben – das war vielen Tschechen zu viel.

Zehntausende haben protestiert

Massendemos in zwölf großen Städten waren die Folge. Rund 30.000 Menschen gingen nach Angaben der Veranstalter am Montag gegen die Personalie Ondráček auf die Straße. Die Demonstranten hielten symbolträchtig Polizeischlagstöcke aus Papier in den Händen und klimperten mit Schlüsselbunden - in Anspielung auf Gefängniswächter.

Ondráček nimmt seinen Hut und tritt nach

Am Dienstag trat Ondráček dann von seinem Posten als Ausschussvorsitzender zurück und kam damit einer drohenden Abwahl zuvor. In einer emotionalen Rede vor dem Parlament trat er gleichzeitig gegen seine Opponenten nach – und löste einen Eklat aus. In seiner Erklärung bezeichnete Ondráček die bürgerlichen Parteien im Parlament als "demokratische Mistgrube". Außerdem betonte er, er trete nicht deshalb zurück, weil "ein paar Schreihälse" auf die Straße gegangen seien, sondern weil er Angst um die Sicherheit seiner Familie habe. Er habe nämlich Drohungen erhalten.

Viele Abgeordnete reagierten empört. Jan Skopeček von der "Demokratischen Bürgerpartei" ODS verurteilte Ondráčeks Ausspruch von einer "demokratischen Mistgrube": "Das ist irrsinnig und unverschämt, aber wir sollten froh sein, dass wir in einem Land leben, das die Freiheit gewährt, auch so etwas zu sagen." Deshalb dürfe man in Zukunft keineswegs die kommunistische Partei verbieten wollen - so wüssten wenigstens alle, mit wem sie es zu tun hätten.

Der Vorsitzende der konservativen Partei "TOP09", Jiří Pospíšil, ging noch einen Schritt weiter und spielte direkt auf Ondráčeks Vergangenheit im kommunistischen Repressionsapparat an: "Mit dieser Äußerung hat er bestätigt, dass er überhaupt nicht versteht, was Demokratie bedeutet. Das wundert mich nicht. Er ist es gewohnt, Andersdenkende zu beleidigen oder gleich mit dem Gummiknüppel auf sie loszugehen."

Selbst manche Kollegen von der kommunistischen Partei räumten gegenüber Journalisten ein, sie würden solche Worte im Plenum nicht in den Mund nehmen, könnten aber seine emotionale Reaktion verstehen.

Proteste richten sich auch gegen Regierungschef Babiš

Die Proteste richteten sich jedoch auch gegen Regierungschef Andrej Babiš. Gegen ihn stehen Vorwürfe ihm Raum, vor 1989 Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes gewesen zu sein. Babiš allerdings bestreitet, dass er bewusst gespitzelt hat. Seine Anwälte reichten am Mittwoch beim Obersten Gericht in Bratislava Berufung in dem entsprechenden Gerichtsverfahren ein. Babiš will seit längerem vor Gericht nachweisen, dass er zu Unrecht als Agent der tschechoslowakischen Staatssicherheit gelistet ist.

Babiš als Stasi-Vertrauensmann?

Nach Unterlagen der slowakischen Stasiunterlagenbehörde wurde Babiš 1980 Vertrauensmann der tschechoslowakischen Staatssicherheit und zwei Jahre später Agent mit dem Decknamen "Bureš". Der Offizier, der ihn damals laut Unterlagen geworben haben soll, erklärte aber nach der Wende vor Gericht, dass diese Information falsch und Babiš niemals als Agent geworben worden sei. Babiš selbst räumte lediglich ein, dass er als Mitarbeiter der tschechoslowakischen Außenhandelsfirma Petrimex in Berührung mit Staatssicherheitsoffizieren kam, die sich aber lediglich für die Handelsaktivitäten seines Unternehmens interessiert hätten. Ein anderer ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, Ján Sarkocy, belastet Babiš jedoch und versichert, dass dieser von Anfang an wissentlich gespitzelt habe.

Affäre mit Folgen für die Regierung?

Die Causa Ondráček stellt möglicherweise die Bildung einer neuen Regierung unter Babiš in Frage. Denn Babiš ist derzeit nur kommissarisch im Amt. Er wurde zwar vom Präsidenten zum Regierungschef ernannt, konnte aber danach nicht das Vertrauensvotum des Parlaments bekommen. Nun versucht er in einem zweiten Anlauf, politische Partner zu finden, die seine Minderheitsregierung dulden und bei wichtigen Vorhaben mit Stimmen unterstützen könnten, da seine ANO keine absolute Mehrheit im Parlament hat. Als mögliche Unterstützer hofft Babiš unter anderem auf die Kommunisten. Diese zeigen sich aber nach der Affäre um ihren Abgeordneten Ondráček verschnupft. Der Vorsitzende der kommunistischen Partei, Vojtěch Filip, deutete an, es sei nicht mehr so sicher, dass sich Babiš auf die Stimmen der kommunistischen Abgeordneten künftig verlassen kann.

baz/me/ČT/ČR/dpa

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: MDR | 10.01.2018 | 17:45 Uhr