Merkel und der Osten

12. Dezember 2016, 08:54 Uhr

Angela Merkel hat ein besonderes Verhältnis zu Osteuropa: Sie spricht fließend Russisch, hat in Prag gelebt und ihr Großvater war Pole. Trotzdem ist sie in den meisten Ländern östlich von Deutschland "unten durch".

Es ist noch nicht lange her, da war Angela Merkel in Tschechien sehr beliebt. Doch als die Kanzlerin im August 2016 zu Gesprächen mit dem tschechischen Ministerpräsidenten nach Prag fuhr, war davon nichts mehr zu spüren. Vor dem Regierungssitz empfing eine Gruppe aufgebrachter Demonstranten sie mit Pfiffen und Rufen: "Merkel muss weg!" Ein Mann hielt ein Transparent hoch, auf dem sie mit einem Kopftuch und der Bundestag mit Minaretten versehen war. "Stop Merkel, Stop Islam" forderte ein anderer Demonstrant. Es erinnerte alles sehr an die Pegida-Aufmärsche in Dresden. 

Unbeliebt in Osteuropa

Eine Umfrage vom Juni 2016 bestätigt das Bild: 18 Prozent der befragten Tschechen hatten eine positive Einstellung zur Kanzlerin, 80 Prozent eine negative. Aber nicht nur dort ist Merkel mittlerweile eher unbeliebt. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Russland, Polen oder Ungarn, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Für die Kanzlerin muss das bitter sein, denn mit vielen dieser Länder verbindet sie positive Erinnerungen. Vom Westen trennte die Brandenburgerin lange der Eiserne Vorhang. Ihre Sehnsucht, die Welt zu sehen, stillte sie also in Polen, Tschechien und der Sowjetunion. Sie kennt den Osten Europas und versteht ihn wahrscheinlich besser als viele ihrer Kollegen aus Westdeutschland. Trotzdem - oder gerade deswegen - orientierte sie sich in ihrer Politik immer stark an den USA. 

In Prag, wo die Demonstranten ihr jetzt einen so kalten Empfang bereiteten, verbrachte sie zwischen 1980 und 1983 dreimal drei Monate an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. Dort forschte sie über Quantenchemie, machte neue Bekanntschaften und erweiterte ihren Horizont. Bis heute kennt sie die eine und andere tschechische Vokabel. 

Doch das reicht wohl nicht mehr, um sich die Tschechen dauerhaft gewogen zu machen. Der Grund für deren Wut ist Angela Merkels Flüchtlingspolitik und ihr Versuch, die Asylbewerber per Quotenregelung in Europa zu verteilen. Man will diese Regelung in Tschechien genauso wenig wie in Ungarn und der Slowakei. 

Antisowjetische Lieder am Lagerfeuer

Aus dem gleichen Grund sind die Gefühle für die Kanzlerin auch in Polen abgekühlt. Dabei war Merkel in dem Nachbarland lange die beliebteste ausländische Politikerin. Und als 2013 bekannt wurde, dass Angela Merkels Großvater, Ludwig Kazmierczak, ein Pole war und aus Posen stammte, war man restlos begeistert. Und sie erwiderte scheinbar diese Liebe, denn das Land spielte in ihrer Politik stets eine große Rolle. Vielleicht hat dazu auch eine persönliche Zuneigung beigetragen: Im Jahr 1989 hatte sie Polen bereist. Dort soll sie am Lagerfeuer rebellische, antisowjetische Lieder geschmettert haben und Land und Leuten näher gekommen sein. 

Wohl entscheidender für ihre politischen Entscheidungen aber dürfte gewesen sein, dass sie Polen als wichtigen strategischen Partner innerhalb der EU betrachtet. Mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk verstand sie sich hervorragend. Man hatte ähnliche wirtschaftspolitische Vorstellungen. Auch deshalb wollte Merkel die Bedeutung Polens aufwerten und setzte sich dafür ein, dass Tusk Präsident des Europäischen Rates wurde.

Heute ist von der großen Liebe der Polen zu der deutschen Kanzlerin nicht mehr viel übrig geblieben. Trotzdem hält man sie in Polen auf Seiten der Rechten und der Liberalen für das kleinere Übel. Denn AfD, SPD und Linkspartei, so nfürchtet man, könnten sich zum Nachteil Polens mit Putin verständigen. Angela Merkel steht für einen eher russlandkritischen Kurs. 

Politische Differenzen mit Putin

Was also in Polen zu einer Art Restbeliebtheit beiträgt, wird in Russland ganz anders bewertet. Dort ist sie bei der Bevölkerung 'unten durch' — eben wegen ihrer Haltung im Ukraine-Krieg und weil sie sich für Sanktionen gegen Russland einsetzt. Eine aktuelle Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstitutes Levada zeigt, dass nur 15 Prozent der Russen eine positive Meinung über Angela Merkel haben, 68 Prozent aber eine negative. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellt sich am Sonntag (21.01.07) nach Ankunft in Sotschi / Russland zusammen mit dem Russischen Präsidenten Wladimir Putin der Presse. Auch Putins Hund Koni war bei dem Kurzstatement zugegen. Es ist bekannt dass Merkel Angst vor grossen Hunden hat.
Angela Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin 2007 in Sotschi. Putin hatte seinen Labrador Koni zu den Gesprächen mitgebracht, obwohl er wusste, dass Merkel Angst vor Hunden hat. Bildrechte: IMAGO / CommonLens

Dabei hat die Kanzlerin ein besonders Verhältnis zu Wladimir Putin. Laut "Bild" duzen sich die beiden sogar. Während der Krim-Krise redeten sie zeitweise fast wöchentlich miteinander. Keinen anderen europäischen Staatschef nehme Putin so ernst wie sie, heißt es. Und Merkel spricht Russisch. Ihre ehemalige Lehrerin, Erika Benn, berichtet im Magazin "Cicero", dass sie als Schülerin "richtig gut" gewesen sei und "nie Grammatik-Fehler" gemacht hätte. Bis heute wird Merkel eine Liebe zur russischen Sprache und Kultur nachgesagt.  Warum es trotzdem zwischen ihr und Putin nicht so recht funken will, liegt an politischen Differenzen. Schon auf einer Rede im November 2014 in Sydney machte sie sehr deutlich, was sie von Putins Politik hält: Russland setze bei der "völkerrechtswidrigen Annexion der Krim" auf das "angebliche Recht des Stärkeren" und missachte "die Stärke des Rechts". Das stelle "die europäische Friedensordnung insgesamt in Frage". 

Die Ukrainer glauben, ihr Schicksal kümmere Merkel nicht

Das müsste in der Ukraine gut ankommen - zumindest unter denen, die in dem Konflikt nicht auf der Seite Russlands stehen. Und tatsächlich, ein Teil der Menschen des Landes schätzt ihre Bemühungen um einen Frieden. Aber viele sind auch enttäuscht. Sie hätten sich ein entschiedeneres Vorgehen von der Kanzlerin gegen Russland erhofft, zum Beispiel in Form von Waffenlieferungen. Aber, so glauben sie, Merkel seien gute Wirtschaftskontakte zu Russland wichtiger, als das Schicksal der Ukraine. 

Die ukrainische Brauerei "Prawda" hat diesen Vorwurf kreativ verarbeitet: Eines ihre Biere schmückt ein Porträt Angela Merkels, versehen mit dem Schriftzug: "Frau Ribbentrop". Im Ribbentrop-Molotow-Pakt, auch bekannt als Hitler-Stalin-Pakt, hatten die Sowjetunion und Nazi-Deutschland 1939 Osteuropa aufgeteilt und sich dazu verpflichtet, auf einen Angriff auf den Vertragspartner zu verzichten. Diese Beleidigung dürfte Merkel besonders schmerzen: In Donezk hatte sie einst einen Russisch-Sprachkurs belegt.