Natalia Przybysz
Bildrechte: Natalia Przybysz/Facebook

"Ja, ich habe abgetrieben!" - Ein Geständnis schockiert Polen

24. Oktober 2016, 16:25 Uhr

Eine polnische Sängerin, Natalia Przybysz, hat ein Tabu gebrochen: Mitten in der aktuellen Debatte um ein schärferes Abtreibungsrecht gibt sie zu: "Ja, ich habe abgetrieben. Es war für mich eine Erleichterung und gab mir mein altes Leben zurück."

"Es wäre unser drittes Kind gewesen und ich wollte nicht nochmal Windeln wickeln und schon wieder eine größere Wohnung suchen", so die Künstlerin in mehreren Interviews. Sie gab zu, in der Slowakei abgetrieben zu haben. Das habe umgerechnet etwa 200 Euro gekostet. Przybysz wurde vor einigen Jahren im Duett mit ihrer Schwester bekannt – mit ihrem polnischen Pop erreicht sie vor allem jüngere Leute. Ihre jetzigen Äußerungen sorgen bei vielen Polen für Empörung – zumal die Sängerin sich auch in einem Song zur Abtreibung bekennt. Eine neue CD erscheint in Kürze.

Przybysz erklärte, sie gehe nun an die Öffentlichkeit, weil "…wir in einer Welt leben, in der alle so tun, als ob es dazu nie kommen würde. Jede Frau bleibt in so einer Situation allein. Das ist ein schlechtes Gefühl, deswegen möchte ich darüber reden!"

Bei den aktuellen Protesten gegen die Pläne für ein schärferes Abtreibungsrecht kommt das jedenfalls gut an. Auch am Wochenende und heute gab es wieder Proteste gegen Kirche und Politik. Etwa bei einer Kundgebung an einem Warschauer Metro-Eingang hieß es, man wolle nicht „in den Untergrund gedrückt werden“. Das Andauern der Proteste ist bemerkenswert – nachdem Anfang Oktober ein umstrittener Gesetzentwurf zum Thema zurückgezogen wurde. Trotzdem erklärten die Gesetzes-Gegner, weiter machen zu wollen.

Gerade der heutige Tag hat dabei eine hohe symbolische Bedeutung: Am 24 Oktober 1975 legten in Island Frauen im Kampf für Gleichberechtigung das öffentliche Leben lahm. Flugzeuge starteten nicht, Theaterstücke wurden abgesagt, der Unterricht an Schulen fand nicht statt - dafür protestierten Tausende auf den Straßen. Ähnliche Ausmaße hat der Protest in Polen (noch) nicht erreicht – allerdings gab es, wie gesagt, schon einen ersten Etappensieg: Nach Massenprotesten hat das polnische Parlament eine Verschärfung des Abtreibungsrechts gekippt. Zunächst hatte die konservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) den Entwurf einer Bürgerinitiative unterstützt, ließ ihn dann aber im Sejm scheitern. Der Entwurf sah bei einem Schwangerschaftsabbruch für die betroffene Frau und den ausführenden Arzt eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Straffrei sollte es nur im Fall der Gefahr für das Leben der Schwangeren bleiben. Es gilt als erster Rückzieher der PiS Regierung, die seit der Regierungsübernahme vor gut einem Jahr mit zahlreichen umstrittenene Inititativen für Diskussionen sorgt.

Dass polnische Frauen ins Ausland fahren, um abzutreiben, war jahrelang ein offenes Geheimnis. Auch, dass es im Land selber illegale Abtreibungen gab. Durch den Gesetzentwurf und die folgenden Proteste ist das Thema nun aber wieder im öffentlichen Bewusstsein. Nach neusten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts CBOS hat jede vierte Frau in Polen schon einmal illegal abgetrieben.

Wie Natalia Przybyszs "Geständnis" in dieser Situation weiter aufgenommen wird, dürfte viel über die Zukunft der Debatte sagen. Bei Facebook kündigte die Sängerin – offenbar angesichts massiver Hass-Posts – an, alle aggressiven und negativen Kommentare löschen zu lassen. Es gibt aber auch viel Zuspruch: Viele junge Frauen bedanken sich bei der Sängerin, dass sie ihnen Mut gebe – und dass sie sich von ihr verstanden fühlten.