Interview "Moskau sieht das Schwarze Meer als Sprungbrett"

17. Februar 2017, 09:26 Uhr

Im Rahmen der US-Operation Atlantic Resolve ist Anfang 2017 eine komplette US-Kampfbrigade nach Polen verlegt worden, NATO-Bataillone sollen folgen. Rumänien fordert Ähnliches für die Südflanke. Im vorigen Jahr drängte das Land sogar auf einen ständigen NATO-Flottenverband im Schwarzen Meer. Der Marine-Experte Klaus Mommsen hält den für überflüssig. Viel wichtiger sei es, die EU-Sanktionen gegen Russland aufrechtzuerhalten.

Rumänien forderte 2016 einen ständigen NATO-Flottenverband auf dem Schwarzen Meer. Wäre ein ständiger NATO-Flottenverband auf dem Binnenmeer strategisch richtig?

Die NATO bezieht das Schwarze Meer schon jetzt strategisch ein. Im Mittelmeer ist ein ständiger NATO-Flottenverband stationiert, der SNMG-2, der auch das Schwarze Meer mit abdeckt. Anfang Februar gab es erst ein zehntägiges NATO-Marinemanöver im Schwarzen Meer. Mehrmals im Jahr üben NATO-Verbände im Randmeer mit den dortigen Partner-Marinen und praktisch monatlich schicken NATO-Marinen, die nicht im Schwarzmeer beheimatet sind, Schiffe dorthin. Die Militärpräsenz ist also gegeben, soweit sie der 80 Jahre alte Montreux-Vertrag zulässt. Einen ständigen NATO-Flottenverband auf dem Binnenmeer einzurichten, ist völlig überflüssig. Das würde nur den politischen Konflikt mit Russland weiter hochschaukeln.

Trotzdem scheint sich die Bukarester Politikführung aber nicht sicher genug zu fühlen, wenn sie einen ständigen Flottenverband fordert.

Bukarest befürchtet weitere Expansionsambitionen von Kremlchef Wladimir Putin. An der rumänischen Grenze liegt die Republik Moldau, auf deren Territorium im abtrünnigen Transnistrien russische Truppen stationiert sind. Hier kann es jederzeit zu einem ähnlich Konflikt kommen wie in der Ostukraine. Rumänien will deshalb von der NATO mehr Sicherheitsgarantien. Doch weder Rumänien noch andere Marinen werden einen zusätzlichen Verband für das Schwarze Meer finanzieren wollen. Die meisten NATO-Marinen sind operativ auch so ausgelastet, dass ein neuer Verband sie zwingen würde, andere Aufgaben aufzugeben, wie beispielsweise die Mittelmeer-Flüchtlings-Operation "Sophia".

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg will beim Treffen der Verteidigungsminister der NATO-Staaten in Brüssel jetzt aber ein Maßnahmenpaket verabschieden lassen, dass die Militärpräsenz in der Schwarzmeerregion stärken soll. Was wird Neues in dem Paket sein?

Es wird bei dem Treffen vermutlich nicht um maritime Fragen gehen, sondern um andere Optionen rund ums Schwarze Meer. Die NATO kann in ihren Mitgliedsländern ihre Streitkräfte rotieren so lassen – so wie jetzt im Baltikum und in Polen - und auf diese Weise ihre Präsenz in der Region rund um das Randmeer stärken. Aber mit einer verstärkten Präsenz auf dem Schwarzen Meer selbst ist nicht zu rechnen.

Im September 2015 kündigte der Kommandeur der Schwarzmeer-Flotte, Alexander Witko, an, dass die Flotte bis 2020 insgesamt 80 neue Kriegsschiffe erhalten soll. Sie schrieben damals aber in der Zeitschrift "MarineForum", dass der russische Kriegsschiffsbau schwer angeschlagen sei. Wie sieht die Situation jetzt aus?

Es hat sich im Vergleich zu 2015 nichts geändert. Die Russen kündigen große Kriegsschiffbau-Programme an, nur um die eigene Bevölkerung zu beruhigen, damit sie weiterhin Staatschef Putin den Rücken stärkt. Russland liegt aber nur beim Bau der U-Boote im Zeitplan. Bei den anderen Programmen gibt es jahrelange Verzögerungen. Gründe gibt es viele. Einer ist, dass dem russischen Schiffsbau seit dem Ostukraine-Konflikt wichtige westliche Technologie fehlt, angefangen von Turbinen bis hin zu Klimaanlagen.

Wo ist Russland beim Kriegsschiffsbau besonders schwer angeschlagen?

Jede Sowjetrepublik hatte früher etwas Spezielles hergestellt oder geliefert. Technische Spezialisten stammten vor allem aus dem heutigen Baltikum. Damit hatte die neue russische Marine erst einmal riesige Personaldefizite. Die Gasturbinen für Kriegsschiffe kamen bis zum Beginn der Ukraine-Krise alle aus der Ukraine. Nun muss Russland aufwendig eigene Alternativen entwickeln, und das dauert extrem lange. Erste Prototypen sollten in diesem Jahr fertig sein, aber die Importausfälle werden wohl erst bis 2019 kompensiert werden können. Ähnlich geht es den Russen auch mit den Dieselmotoren oder Klimaanlagen, die zu den Sanktionen aus Deutschland oder anderen westeuropäischen Ländern geliefert wurden.

Die 2014 von der EU verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben Moskau im Kriegsschiffbau um Jahre zurückgeworfen?

Ja. Es gibt ja immer wieder Diskussionen, ob man die wegen des Ostukraine-Konfliktes verhängten Sanktionen aufgeben sollte oder nicht. Ich sage: 'Nein!' Die Sanktionen haben ihre Wirkung. Sie tun den Russen wirklich weh, was Kremlchef Putin öffentlich natürlich nie zugeben würde. Jetzt die Sanktionen aufzugeben, wäre der größte Fehler, den man machen könnte. Man würde Putin in die Hände spielen, der darauf setzt, dass es erst einen Aufschrei gibt, dann eine kleine Durststrecke von zwei, drei Jahren und danach ist alles wieder beim Alten. Russland hat bislang im Ukraine-Konflikt nichts dafür getan, um das Abkommen von Minsk, an das die Sanktionen gekoppelt sind, umzusetzen. Deshalb müssen die Sanktionen fortgesetzt werden.

Welche militärische Stärke aber hat Russland am Schwarzen Meer?

Wenn es zu einem Konflikt kommen würde, würde der sich nicht nur auf Flottenverbände beschränken. Dann wäre auch die Luftwaffe beteiligt. Russland hat auf der Krim modernste Flugsysteme stationiert: Flugzeuge, Jagdbomber oder Küstenabwehrbatterien mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Ziehen Sie mal um die Krim einen Radius in diesem Ausmaß, dann wissen Sie, wie die Russen das Schwarze Meer abdecken, dafür bräuchten sie mit keinem Schiff präsent zu sein. Russland ist zweifellos die zentrale militärische Macht im Schwarzen Meer. Doch sollte die NATO deutlich machen, dass sie ihre Mitglieder dort sehr wohl zu schützen weiß, falls der Kreml meint, seine Macht am Binnenmeer weiter ausweiten zu müssen.

Klaus Mommsen Der Bonner Marine-Experte Klaus Mommsen war Ende der 1970er-Jahre zunächst Marinepilot der Bundeswehr, später arbeitete er im Militärischen Nachrichtenwesen der Bundeswehr und analysierte militärische und politische Entwicklungen anderer Staaten. 2002 beendete er seine dienstliche Laufbahn. Seit über zwei Jahrzehnten schreibt der heute 69-jährige Mommsen für das Magazin "MarineForum".

Warum rüstet Russland am Schwarzen Meer so stark auf?

Die neuen U-Boote und Fregatten wie die "Admiral Gorschkow" machen im Schwarzen Meer wenig Sinn. Russland braucht keine Hochseeschiffe in einem Randmeer, wo es auch mit kleinen Korvetten unterwegs sein kann. Mit den Neubauten zielt Russland aufs Mittelmeer und darüber hinaus in den Mittleren Osten bis in den Indischen Ozean. In dieser Region befinden sich gerade viele Länder im Umbruch. Dort kann Russland noch politischen Einfluss gewinnen und setzt alles daran, ihn auch zu bekommen. Das Schwarze Meer dient Moskau dabei als Sprungbrett und Nadelöhr, um schnell ins Mittelmeer zu gelangen.

US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf erklärt, die NATO sei obsolet. Auf was sollten sich die NATO-Länder in der EU gefasst machen?

Der US-Präsident ist in seinen Aussagen sehr widersprüchlich. Er twittert morgens, am Nachmittag treten seine Minister mit einer ganz anderen Meinung auf. Zurzeit ist Trump dabei, die gesamte Weltpolitik zu destabilisieren. Das passt dem Kremlchef sehr wohl, weil es Putin eigene Möglichkeiten eröffnet. Sollte Trump seine Wahlkampfankündigungen eines verminderten Nato-Engagements tatsächlich umsetzen, dürfte der russische Präsident dies sofort als Chance begreifen, und in Lücken, die sich damit auftun, sofort hineinstoßen.

(Erste Veröffentlichung am 15.02.2017)

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Radio | 15.02.2017 | ab 09:00 Uhr