EU-Subventionen für Polen: Der Geldfluss versiegt
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Brüssel wird wohl bald weniger Geld nach Polen überweisen als bisher. Seit 2004 helfen dem Land die EU-Fonds dabei, sich den europäischen Standards anzunähern und kurbeln die Wirtschaft an. Deshalb kann Polen schon jetzt immer mehr Investitionen selbst finanzieren. In einigen Jahren wird das Land deshalb vom Nettoempfänger zum Nettozahler in der Union werden.
Eine Mustergemeinde bei Breslau
Wie sehr sich Polen dank der EU-Gelder verändert hat, kann man in Kobierzyce bei Breslau sehen. Die Gemeinde hat zwar eine ausgesprochen gute Lage: In unmittelbarer Nähe kreuzen sich die Wege von Ost nach West und von Nord nach Süd. Doch das allein hätte für einen Wirtschaftsboom, wie er dort stattfindet, nicht gereicht. Dafür hatte es vor allem der Modernisierung der alten Straßen bedurft. Aus der Vorkriegsautobahn wurde die moderne A4, auf der man von Görlitz bis an die polnisch-ukrainische Grenze durchfahren kann. Die 670 Km lange Strecke ist Teil des Autobahnnetzes, das von der EU mitfinanziert wurde. Seit Polens EU-Beitritt sind so mithilfe von Geldern aus Brüssel 3.300 Km Autobahnen entstanden.
EU-Subventionen locken auch ausländische Investoren
Der modernisierte Autobahnknoten bei Kobierzyce war der entscheidende Grund, warum sich dort viele Firmen niedergelassen und zum Wachstum der Gemeinde enorm beigetragen haben. Und so erkennt man heute die früher ländliche Gegend kaum wieder. Wo einst Äcker lagen, ist Polens größtes Gewerbegeibt entstanden. Der stellvertretende Bürgermeister von Kobierzyce, Piotr Kopec, versucht weitere Investoren anzulocken. Von den EU-Fördermitteln, die nach Polen fließen, haben nicht nur polnische Firmen einen Nutzen, meint er. Auch ausländische Unternehmen, die hier investieren und Arbeitsplätze schaffen, würden davon profitieren.
Im Gewerbegebiet von Kobierzyce findet man denn auch bekannte internationale Ketten und Modemarken. Der amerikanische Internetriese Amazon betreibt dort sein Logistikzentrum für Osteuropa und der koreanische Fernseherhersteller LG produziert in Kobierzyce demnächst Batterien für Hybrid- und Elektrofahrzeuge. Die asiatischen Firmen, die nach Polen kämen oder durch Polen nach Westen gingen, seien ein Element der neuen Seidenstraße, vom der auch wir in Kobierzyce ein Teil sein werden, sagt Piotr Kopec mit einem Augenwinkern. Doch mit jeder neuen Investition steigt der Appetit.
Ehrgeizige Projekte
Kopec, der in der Gemeinde für Investitionen zuständig ist, versucht die EU-Gelder effektiv zu nutzen. Im Herbst wird in Kobierzyce eine neue Kläranlage in Betrieb gesetzt, die ökologischen EU-Standards erfüllen wird. Sie kostet 4 Mio. Euro, die Hälfte der Summe zahlt die EU. Weitere EU-Projekte sollen den Smog bekämpfen - in Polen ein ernstes Problem. "Wir wollen die Einwohner beim Austausch ihrer alten Heizöfen unterstützen. Die schmutzige Luft kennt ja keine Grenzen", so Kopec. Doch er muss sich beeilen, will er seine ehrgeizigen Projekte umsetzen. Denn bald wird Polen weniger Geld aus den EU-Töpfen bekommen. Das ist die Kehrseite des Fortschritts: Je größer der mit EU-Finanzspritzen geschaffene Wohlstand, desto weniger Geld fließt aus Brüssel.
Eine Dorfschule mit 3-D-Druckern und Robotern
In der laufenden EU-Haushaltsperiode (2014-2020) bekommt Polen 140. Mrd Euro von der Europäischen Union. Davon werden nicht nur Klärwerke, Straßen und Eisenbahnwege finanziert, sondern auch sogenannte "weiche" Projekte, die es auch in Kobierzyce gibt. Die hiesige Schule beispielsweise. Sie verfügt mittlerweile über Computerklassen, die mit 3D-Druckern ausgestattet sind. Die Schüler lernen dort, Roboter der Zukunft zu programmieren. Das gefällt vielen offenbar so gut, dass die meisten von ihnen das später auch beruflich machen wollen. Programmierer gilt im Moment in Polen als Top-Beruf, auch weil man immer wieder davon hört, dass polnische IT-Leute in Europa gefragt sind. In der von der EU geförderten Schule gibt es aber auch Therapieräume für Kinder mit emotionalen Störungen - eine Musterschule, die weit über das hinausgeht, was man sich unter einer polnischen Dorfschule vorstellt.
Der Geldfluss aus Brüssel versiegt allmählich
Das extrem tüchtige Kobierzyce ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Polen seit dem EU-Beitritt entwickelt hat. Die EU-Fördermittel sind einer der Faktoren, die die Konjunktur ankurbeln. 2017 lag das Wirtschaftswachstum in Polen bei 4,6 Prozent (2016: 2,9 Prozent) - einer der höchsten Werte in der EU. In einigen Jahren soll Polen 75 Prozent des durchschnittlichen Lebensniveaus in der EU erreicht haben, sagen Experten voraus. Das bedeutet, dass Polen in der kommenden Haushaltsperiode der EU (2021-2027) weniger Zuschüsse bekommen wird. Noch ist Polen der größte Nettoempfänger der EU, nach 2027 wird das Land dann wohl zum Nettozahler.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: 27.04.2018 | 17:45 Uhr