Großbritanniens Polen und der Brexit "Eine Liebe ohne Gegenseitigkeit"

Interview mit Ilona Korzeniowska vom "Polish Express"

21. April 2017, 08:59 Uhr

Geschätzt eine Million Polen lebt in Großbritannien. Was der Brexit für sie bedeutet und wie sie sich darauf vorbereiten - darüber haben wir mit der Chefredakteurin des "Polish Express" gesprochen, einer polnischen Zeitung in Großbritannien.

Wie ist die Stimmung unter den Polen in Großbritannien angesichts des bevorstehenden Brexits?

Die Polen, gegen die sich die Brexit-Kampagne auch gerichtet hat, sind enttäuscht, dass man sie in eine Schublade mit den anderen Immigranten steckt. Insbesondere solchen, die keiner Arbeit nachgehen. Sie empfinden das als Geringschätzung. Historisch gesehen müssten wir den Engländern deutlich näher stehen, viele Polen haben im Zweiten Weltkrieg für England gekämpft, polnische Piloten zum Beispiel. Außerdem: Wir leben hier, haben Familien gegründet, arbeiten schwer und zahlen Steuern. Viele Polen haben Firmen gegründet. Wir geben diesem Land mehr, als wir zurückbekommen. Wir haben Großbritannien lieb gewonnen, aber nun stellt sich heraus, dass es eine Liebe ohne Gegeseitigkeit ist.

Momentan ist noch nicht klar, wie der Rechtsstatus der Einwanderer aus der EU nach dem Brexit aussehen wird...

Seitdem der Brexit beschlossene Sache ist, treffen die Menschen entsprechende Vorkehrungen. Die meisten beantragen den Status eines britischen Residenten, also eine Daueraufenthaltsgenehmigung, die auch nach dem Brexit Gültigkeit behält und mit der man hier weiterhin normal leben kann. Manche lassen sich auch einbürgern. Die meisten Polen sind guter Dinge, weil die bisherige Erfahrung zeigt, dass diese Anträge positiv beschieden werden. Abgelehnt werden nur diejenigen, die die formalen Kriterien nicht erfüllen.

Das scheint nun aber die britischen Behörden vor Probleme zu stellen?

Es gibt zwar keine Schätzungen, wie viele Einwanderer nach dem Brexit überhaupt das Land verlassen müssten - aber das britische Home Office schlägt schon Alarm, weil es mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterherkommt. Niemand hat gesagt, dass hier lebende Polen das Land werden verlassen müssen. Aber angesichts der derzeitigen Unklarheit wollen die Menschen lieber auf Nummer sicher gehen und vorsorgen. Die einzigen aber, die meiner Meinung nach einen Grund zur Sorge haben, sind Personen, die vorbestraft sind, denn sie werden zuallererst unter die Lupe genommen und dann ausgewiesen.

Wie sieht es mit Plänen etwa zur Rückkehr nach Polen oder für einen Umzug in andere EU-Länder aus - erreichen Sie solche Ideen aus Ihrer Leserschaft?

Ein gewisser Anteil, der allerdings ganz klein ist, denkt über eine Rückkehr nach, vor allem aber diejenigen, die genug Geld gespart haben und sich schon vor dem Brexit mit dem Gedanken trugen. Einige entscheiden sich auch für andere Länder wie Holland oder Deutschland, aber auch Australien, Neuseeland oder Kanada. Die Polen hier streben ja danach, ihren Lebensstandard zu verbessern, und so gesehen kann der Brexit ein Impus sein, noch einmal etwas im Leben zu ändern.

Die vielen Osteuropäer sind ein Wirtschaftsfaktor in Großbritannien geworden. Man denke nur an die vielen polnischen Geschäfte. Ist dieser Wirtschaftszweig jetzt gefährdet?

Ich denke, dass Polen, die fit sind und im Geschäftsleben gut klar kommen, bleiben werden. Man muss dazu auch sagen, dass die Prozeduren zur Firmengründung hier sehr einfach sind und die Behörden einem bei Problemen helfen und nicht Steine in den Weg legen. Die Briten fürchten am meisten, dass nach dem Brexit das Kapital wieder von den Inseln abgezogen wird. Und da wir Polen sehr geschäftstüchtig und sehr fleißig sind, werden Firmen, die sich schon einen guten Stand erarbeitet haben, eher dableiben, weil sie recht gute Gewinne abwerfen und damit auch ordentlich Steuern zahlen und Arbeitsplätze bieten.

Vor einiger Zeit haben wir mit Ihnen über die zunehmende Fremdenfeindlichkeit und Aggression nach dem Brexit-Votum gesprochen. Wie ist die Lage jetzt?

Solchen Vorfälle kommen vereinzelt noch vor, aber eher in Form von Hassrede im Internet oder bösen Sprüchen am Arbeitsplatz. Die Lage hat sich deutlich verbessert seit der Zeit unmittelbar nach der Abstimmung. Damals haben viele Polen Sätze gehört wie "Wann packst du endlich deine Koffer?" Aber schon damals haben viele Briten uns geschrieben und sich für das inakzeptable Verhalten ihrer Landsleute entschuldigt. Außerdem wissen die Briten selber nicht, was sie nach dem Brexit erwartet. Selbst Premierministerin May wird vielleicht überrascht sein, wie das Land in zwei oder vier Jahren aussieht.

(Das Interview wurde zuerst veröffentlicht am 29.03.2017.)

"Polish Express" Die Wochenzeitung ist seit 14 Jahren auf dem britischen Markt. Mit einer wöchentlichen Auflage von 75.000 wird das Blatt größtenteils in polnischen Geschäften in London vertrieben. "Polish Express" bezeichnet sich als Sprachrohr der Polen auf der Insel. "Wir helfen Polen in Großbritannien in schwierigen Lebenslagen, kämpfen gegen Diskriminierung und setzen uns für Ihre Angelegenheiten ein", sagt die Chefredakteurin Ilona Korzeniowska.

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell im: Radio | 21.04.2017 | 00:48 Uhr