Durch Hungerstreik: Polnische Ärzte erkämpfen sich Milliarden

11. Oktober 2017, 16:59 Uhr

Seit über einer Woche waren 20 polnische Ärzte im Hungerstreik. Damit forderten sie zusätzliches Geld für das marode Gesundheitswesen. Premierministerin Szydło verspricht nun Milliardenhilfen.

Sechs Milliarden Złoty, umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro sollen 2018 zusätzlich in das polnische Gesundheitswesen fließen, erklärte Polens Premierministerin Beata Szydło am Mittwochnachmittag in Warschau. Ein Großteil des Geldes soll in die Entlohnung von jungen Ärzten fließen, deren Einstiegsgehälter Szydło zufolge um bis zu 40 Prozent steigen sollen.

Die Ankündigung ist das Ergebnis eines Treffens der Premierministerin mit Vertretern von protestierenden Ärzten in Warschau. Dort waren 20 junge Ärzte Anfang Oktober im zentralen Kinderkrankenhaus in den Hungerstreik getreten. Zehn Tage lange harrten sie in der Empfangshalle der Klinik aus, unterstützt von dutzenden weiteren Ärzten, die mehrfach für eine bessere Finanzierung des Gesundheitswesens demonstrierten.

Tod durch Überarbeitung

Anlass des Hungerstreiks war der Tod einer Warschauer Ärztin. Die 39-jährige war Mitte September nach ihrem Dienst kollabiert und verstorben. Später wurde ein Herzinfakt als Ursache festgestellt. Sie war bereits die vierte polnische Medizinerin, die in diesem Jahr während oder kurz nach einer Schicht gestorben ist.

"Die Ärzte arbeiten zu viel und bezahlen das mitunter mit ihrem Leben", schrieb der polnische Kardiologe, Medizinprofessor und Blogger Stefan Karczmarewicz bereits Anfang September in einem Blogbeitrag unter dem Titel: "Todesfälle von Ärzten im Dienst". Diese seien ein alarmierendes Zeichen für die massive Überarbeitung vieler polnischer Ärzte. Ein Hauptgrund sei die schlechte Bezahlung, insbesondere von jungen Ärzten.

Schlechte Bezahlung, extreme Schichtdienste

2200 Złoty erhalten diese während des "Praktikums", den ersten Praxisjahren nach dem Studium, pro Monat. Umgerechnet sind das etwa 515 Euro. In Warschau, wo bereits eine durchschnittliche Einzimmerwohnung über 300 Euro Miete kostet, bleibt den jungen Ärzten damit kaum etwas zum Leben. Deshalb würden viele gleich in mehreren Krankenhäusern arbeiten, berichten polnische Medien.

Doppelt- und Dreifachschichten seien die Folge, manchmal 30 Stunden am Stück. Zusätzlich müssten sie in Bereitschaftschichten rund um die Uhr abrufbar sein. Laut einer Untersuchung der Staatlichen Arbeitsinspektion kann eine solche Schicht bis zu 120 Stunden lang sein - fünf volle Tage.

Schicht-Abhängigkeit und Patienten-Frust

Viele dieser Ärzte würden dennoch gerade am Anfang ihrer Karriere ohne festen Arbeitsvertrag arbeiten und nach Schichten bezahlt werden, schreibt Karczmarewicz. Freie Tage oder gar Urlaub würden daher einen Verdienstausfall bedeuten. Zudem müssten sich die Ärzte selbst um ihre Vertretung kümmern. In der Hoffnung auf eine Festanstellung würden viele daher auf freie Tage verzichten.

Hinzu komme der enorme Stress, dem Ärzte im chronisch unterfinanzierten polnischen Gesundheitswesen ausgesetzt seien. Patienten warten dort teilweise Monate auf eine Behandlung und würden ihren Frust "nicht am Gesundheitsminister und der Premierministerin auslassen, sondern an den Ärzten und Krankenpflegern", so Karczmarewicz in seinem Blogeintrag.

Gehaltssteigerung bis 2021

Laut Premierministerin Beata Szydło sollen die Gehälter der Ärzte nun etappenweise angehoben werden. Die erste Gehaltserhöhung gebe es rückwirkend zum Juli 2017. Bis 2021 sollen die Einstiegsgehälter dann auf mindestens 5.251 Złoty Brutto steigen, umgerechnet etwa 1.300 Euro. Außerdem würden zwei Milliarden Euro zusätzlich bereits dieses Jahr in das Gesundheitswesen fließen, so Szydło weiter.

Das Geld sei auch ür die Anschaffung neuer Geräte vorgesehen. Damit stiegen die Gesundheitsausgaben auf knapp sechs Prozent des polnischen Bruttoinlandsprodukts. Die Ärztevertreter hatten einen Anteil von 6,8 Prozent gefordert. Zum Vergleich: In Deutschland betrug der Anteil im Jahr 2015 etwa 11,3 Prozent.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Fernsehen | 02.06.2017 | 19:30 Uhr