Interview mit einem Sportjournalisten Polnischer Fußball - "zum Erfolg verdammt"

05. Januar 2016, 09:32 Uhr

Volleyball-Weltmeister, erfolgreiche Rennradler und jetzt der Fußballsieg über Deutschland – polnische Sportler schwimmen gerade auf einer Erfolgswelle. Sportjournalist Kamil Wolnicki, der für "Przeglad Sportowy" (Sportumschau) - eine der führenden polnischen Sportzeitungen - arbeitet, sucht nach Gründen dafür.

Wie ist die Stimmung bei den polnischen Fußballfans im Moment?  

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Polen feiert 2014 den 2:0-Sieg gegen Deutschland in der EM-Qualifikation mehr als wir den Weltmeistertitel. Ein Sportjournalist versucht, die Glücksträhne zu erklären.

Fr 17.10.2014 10:00Uhr 03:10 min

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Kamil Wolnicki: Vor dem Spiel mit Deutschland gab es keinen Druck, die Menschen haben keinen Erfolg erwartet, denn polnische Fußballspieler haben die Fans in den letzten Jahren nicht unbedingt mit Siegen verwöhnt. Dagegen waren die Erwartungen vor dem Spiel gegen Schottland sehr hoch, die meisten haben einen Sieg erhofft. Immerhin: Nach zwei Spielen haben wir vier Punkte. Ich denke, wenn man den Polen vor diesen beiden Spielen so ein 'Angebot' gemacht hätte, dann hätte jeder blind zugeschlagen.

Wie ist die momentane Erfolgssträhne im polnischen Sport allgemein zu erklären?

Es ist eigentlich schwer zu sagen, woher das kommt. Es war einfach ein tolles Jahr für den polnischen Sport: Wir hatten erfolgreiche Winterspiele in Sotschi, wir sind Volleyball-Weltmeister, unsere Rennradler waren erfolgreich, jetzt dieser Fußballsieg über Deutschland, das sind Sachen, die früher nicht vorgekommen sind. Wie es dazu kam? Ich will nicht sagen, das war alles nur Zufall. Aber man kann nun auch nicht behaupten, es stecke ein großes System dahinter. Meistens schaffen es die Sportler nach ganz oben, die Talent haben und sich sehr ins Zeug legen – und nicht durch ein System gefördert werden. Man muss aber eins bedenken: Großer Sport, also Profi-Sport, ist entweder in den ganz reichen oder in den ganz armen Ländern erfolgreich. In den reichen Ländern, weil sie es sich leisten können. Und in den armen Ländern, weil dort der Sport eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, der Armut zu entfliehen. Polen war in den letzten zwei Jahrzehnten irgendwo in der Mitte, weder besonders reich noch besonders arm. Die Leute hatten keine Zeit für Sport, jetzt ändert sich das allmählich, vielleicht ist das auch ein Grund für den Erfolg.

Welches Sportsystem wünschen Sie sich? Massive Sportförderung von klein auf wie in der DDR vielleicht?

Ehrlich gesagt würde ich mir nicht wünschen, dass der Profi-Sport in Polen wird wie damals in der DDR. Gott behüte. Von solchen Methoden sollten wir die Finger lassen. Aber auf der anderen Seite muss man feststellen, dass in Polen kein breit aufgestelltes Sportfördersystem existiert. Sportverbände haben ihre Schulungsprogramme, die funktionieren auch einigermaßen. Es gibt sogar einzelne Verbände, die gute Ideen für regelrechte Sportlerfabriken haben, aber eigentlich fehlt das Geld dafür.

Zurück zum Fußball. Was charakterisiert die polnische Nationalelf?

Es ist ziemlich schwer, die polnische Mannschaft zu charakterisieren, sie entwickelt sich immer noch. Bis vor kurzem konnte man nicht wirklich behaupten, dass polnische Fußballer mit Hingabe und Leidenschaft für ihr Land spielen würden. Beim Spiel gegen Deutschland war es aber einmal ganz anders. Ich würde mir wünschen, dass die Elf ein Team wird, das kämpft. Polen wird wahrscheinlich jahrelang nicht Weltmeister werden, es würde ja schon reichen, wenn die Zuschauer am Ende sagen können: Die Mannschaft hat leidenschaftlich gekämpft und alles gegeben. Wenn wir bedenken, in welch renommierten europäischen Vereinen unsere Nationalspieler ihr Geld verdienen, dann hatten wir noch nie eine so starke Mannschaft.

Und wie geht's weiter?

Ich glaube, dass der Fußball in Polen, der nebenbei bemerkt die Sportart Nummer Eins ist im Land, sozusagen zum Erfolg verdammt ist. Wir haben inzwischen eine sportliche Infrastruktur – große Stadien und kleine Bolzplätze für die Nachwuchstalente. Früher oder später werden diese Plätze von Horden von Kids bevölkert und ihnen werden gut geschulte Trainer folgen. Es ist eine Frage von einigen Jahren – dann kommt der Erfolg schon. Wenn es um den gesamten Sport in Polen geht, dann bin ich selber ein bisschen gespannt wie sich das weiter entwickeln wird, weil es gut aufgestellte Disziplinen gibt wie Volleyball. Da können wir ruhig schlafen, weil das Trainingssystem ganz ordentlich ist. Oder auch Skispringen – denn nach den großen Erfolgen von Adam Małysz ist auch ein System vorhanden und auch das nötige Geld, und da gibt es auch schon würdige Nachfolger, wie die zwei Goldmedaillen von Kamil Stoch in Sotschi beweisen. Aber in manch anderen Disziplinen regieren immer noch Provisorien und Nachlässigkeit, so dass es schwierig ist, allgemein über den Sport zu sprechen – wir müssen die Disziplinen einzeln betrachten.