Plötzlich internationales Top-Thema: Bulgariens Medienmisere

12. Oktober 2018, 16:57 Uhr

Der Mord an der bulgarischen Journalistin Viktora Marinova hat die kritische Situation der Medien in Bulgarien bewusst gemacht. Obwohl die Tat wohl nichts mit Marinovas Beruf zu tun hatte: Grund zur Besorgnis gibt es mehr als genug.

Nach der Meldung über Marinovas Tod nahmen viele internationale Medien einen Angriff auf die Pressefreiheit in dem Balkanland an. Auch Frans Timmermans, Vize-Präsident der Europäischen Kommission, äußerte sich "geschockt über den grausamen Mord". Erneut sei "eine mutige Journalistin im Kampf für die Wahrheit und gegen Korruption gefallen", die Verantwortlichen sollten "von den bulgarischen Behörden sofort zur Rechenschaft gezogen werden", twitterte er. Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov reagierte genervt auf die "schlechte Presse" für sein Land. Nachdem am Dienstagabend in Stade bei Hamburg der einundzwanzigjährige Severin Krassimirov als mutmaßlicher Mörder Marinovas festgenommen war und sich die grausame Tat als spontane Attacke eines alkoholisierten Triebtäters erwies, bestellte Borissov kurzerhand drei Dutzend Botschafter in den Ministerrat ein und teilte ihnen sein Missfallen mit, dass sein Land von der Weltgemeinschaft angeschwärzt worden sei. "Drei Tage lange habe ich ungeheuerliche Dinge über Bulgarien gelesen und nichts davon ist wahr", sagte er.

Medienfreiheit: Genug Grund zur Sorge

Der Mord an Marinova wurde aber deswegen international etwas überhastet als Angriff auf die Meinungsfreiheit interpretiert, weil es mehr als genug Gründe dafür gibt, warum Bulgarien in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen (RoG) von Rang 35 im Jahr 2006 auf aktuell Rang 111 abgestürzt ist und das Schlusslicht nicht nur aller EU-Mitglieder, sondern auch aller Balkanländer bildet. Zuletzt wurden Mitte September zwei investigative Journalisten im Zuge ihrer Recherche zu korrupter Verwendung von EU-Geldern von Polizisten kurzerhand verhaftet. Am 30. September 2018 hat Viktoria Marinova ihren Fall in ihrer einzigen Moderation des Polit-Magazins Detektor thematisiert.

Historisch lässt sich der Beginn der fatalen Entwicklung der bulgarischen Medien auf das Jahr von Bulgariens EU-Beitritt datieren. Im Juli 2007 kaufte die frühere Direktorin der Staatlichen Totogesellschaft Irena Krasteva auf einen Schlag die Tageszeitungen Telegraph und Monitor sowie das Wochenblatt Politika. Woher konnte eine frühere Staatsbeamtin ohne jeglichen Bezug zur Medienwirtschaft das Kapital haben, um plötzlich einen Medienkonzern zu gründen? Ob Krasteva lediglich als Strohfrau handelte? Die damals die bulgarische Öffentlichkeit irritierenden Fragen sind längst geklärt, das Phänomen der Verschleierung von Eigentum an Medien wohl bekannt. Ein Banker der im Jahr 2014 zusammengebrochenen Korporativna Targovska Banka (KTB) hat Krasteva die Gründung ihrer Nova Bulgarska Mediina Grupa (NBMG) kreditfinanziert. Und Ahmed Dogan, Vorsitzender der Partei der bulgarischen Türken Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), gilt als graue Eminenz des Deals. Und als treibende Kraft der Mediengruppe folgte auf Krasteva ihr Sohn Deljan Peevski, mittlerweile seit drei Legislaturperioden DPS-Abgeordneter der Bulgarischen Volksversammlung - ohne dass er allerdings allzu vielen Plenarsitzungen beigewohnt hätte.

 "Ideologische Feinde": Von Umweltschützern bis Bürgerrechtlern

Sofort nach ihrer Übernahme übernahmen Irena Krasteva bzw. Deljan Peevski Medien eine einheitliche Redaktionspolitik, die heute die meisten bulgarischen Tageszeitungen und Wochenblätter prägt. Sie sind nicht zimperlich im Kampf gegen klar erkennbare ideologische Feinde. Da gibt es die Umweltschützer, die mit ausländischem Geld den Ski-Tourismus in den bulgarischen Gebirgen torpedieren. Oder die globalistischen Gender-Ideologen, die wollen, dass die kleinen Bulgaren schon im Kindergarten ihr Geschlecht frei wählen. Schließlich stehen die von George Soros geschmierten Bürgerrechtler in ihrem Fadenkreuz, beflecken sie doch durch ihr Engagement gegen Korruption und für die Rechte von Minderheiten Bulgariens internationales Image. Besonders haben es Peevskis Medien auf die wenigen verbliebenen seriösen Herausgeber in Bulgarien abgesehen, die nach allen Regeln der Kunst diskreditiert werden.

Bulgarische Zeitschriften
Deljan Peevskis Mediengruppe publiziert in kurzen Abständen Pamphlete, die den politischen Gegner nach allen Regeln der Kunst diskreditieren Bildrechte: Frank Stier

Sieht der Regierungschef gut genug aus?

Im Jahr 2009 hat der Journalist Stoiko Tonev gegenüber dem Online-Medium blitz.bg anschaulich die Erlebnisse eines von Deljan Peevski übernommenen Redakteurs geschildert. Wenn Peevski Zeitung mache, so Tonev, entferne er abends Texte und füge neue ein, wechsle das Bild von Regierungschef Boiko Borissov aus, "wenn es nicht gut aussieht". "Peevski stoppte gleich meinen ersten Text, ohne Erklärung. Ich hatte nichts Besonderes über Boiko geschrieben, nur 'Ist Boiko Borissov Populist?' Im Redaktionsgebäude herrschten Arbeitsverhältnisse wie in "einer Hühnerfarm in Amerika". "Die Sonne siehst du nur, wenn du auf die Toilette gehst, denn die hat ein Fenster zur Welt. Was diesen Ort aber fast als Unterwelt erscheinen lässt, ist der herrschende Geist. Es ist fürchterlich bedrückend, Leute hoch und runter rennen zu sehen, getrieben von Angst". Viele Faktoren seien "für die Zerrüttung der bulgarischen Medien, verantwortlich, Politiker, Geheimdienstagenten, Chefredakteure und die gewöhnlichen Journalisten, die für Geld bereit sind, alles über jeden zu schreiben". 

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Die öffentliche Debatte ist in Bulgarien vergiftet, Anhänger abweichender Meinungen werden gern als Verbreiter von fake news diffamiert. Bildrechte: Frank Stier

Solche Aussagen wären heute auf blitz.bg undenkbar, inhaltlich ist auch dieses Medium längst auf Peevski-Linie, ohne ihm offiziell zu gehören. Zwei Peevski nahestehende, vermeintlich unabhängige Medien pik.bg und die Tageszeitung Trud haben in Reaktion auf die internationale Beachtung des Mordes an Viktoria Marinova eindrückliche Beispiele des für bulgarische Medien typischen Kampagnenjournalismus gegeben. "Entschuldigt Euch bei Bulgarien, ihr bewachten Beamten in Brüssel", titelte pik.bg und führte aus, "die Bespucker von Bulgarien, die hohe Posten einnehmen in Brüssel, bei den Vereinten Nationen, in den Botschaften und den Stiftungen am Tropf von Soros haben sich noch nicht für ihre Verleumdungen entschuldigt, mit denen sie unser Land überschüttet haben in den Tagen nach dem brutalen Mord an Viktoria". Borissov lasse es nicht zu, dass man sich mit fake news in die inneren Angelegenheiten Bulgariens einmische, lobte pik.bg Bulgariens Regierungschef. Die Tageszeitung Trud präsentierte auf ihrer Titelseite eine Galerie der Schande. "Das sind die Verleumder Bulgariens” überschrieb sie Portraits u. a. von Frans Timmermans, dem EVP-Vorsitzenden Manfred Weber, UN-Generalsekretär Antonio Guterres und RoG-Generalsekretär Christophe Deloire.

Am 10. Oktober 2018 hat Deljan Peevski überraschend angekündigt, sich aus dem operativen Mediengeschäft zurückzuziehen und seine Medien der neugegründeten Stiftung Telegraph zu übereignen. Künftig werde er sie höchstens finanziell unterstützen. Es wird interessant sein, zu sehen, was das wirklich heißt.


Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 12.10.2018 | 17:45 Uhr