Jahres-Pressekonferenz in Moskau Putins Wahl-Show

14. Dezember 2017, 21:57 Uhr

Die Hysterie vor Putins jährlicher Pressekonferenz war groß und wurde mit Spannung erwartet. Doch der russische Präsident sei im Vergleich zu den Vorjahren erstaunlich zurückhaltend geblieben, so Ostblogger Maxim Kireev, der das Schauspiel für uns beobachtet hat. Man musste also zwischen den Zeilen lesen.

Fast drei Stunden hat Wladimir Putin die Zuschauer auf die Folter gespannt. Dann war es so weit. Xenia Sobtschak, die junge Putin-Herausforderin, bekommt bei seiner Pressekonferenz das Wort. Fast alle Anwesenden hatten im Vorfeld darüber gerätselt, ob Putins Sprecher ihr das Mikrofon übergeben wird.

Die Nawalny-Frage

Warum der Kreml Gegenkandidaten wie den Oppositionellen Nawalny nicht zur Wahl zulässt, will die Politikerin wissen. Die offizielle Erklärung bisher: Der Anti-Korruptionsaktivist Alexej Nawalny darf nicht antreten, weil er vorbestraft ist. Verurteilt in einem Verfahren, das er als manipuliert kritisiert. "Möchten Sie etwa, dass bei uns solche Leute wie Saakaschwilli herumturnen?", kontert der Präsident. Die Opposition, so Putin, habe nichts Konstruktives zu bieten.

War das etwa doch ein Eingeständnis durch die Hintertür, dass es weniger die Vorstrafen sind, die seine Kandidatur aus Sicht des Kremls ausschließen, als vielmehr Nawalnys Aufrufe zu Protesten und die persönlichen Angriffe gegen Putin, bei denen er den Präsidenten als "Dieb" bezeichnet"? Russische Beobachter werden diese Worte Putins wohl noch über Tage und Wochen diskutieren und versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen. Denn echte Nachrichten, die auch ohne Spekulationen und einen gewissen sechsten Sinn erkennbar wären, beförderte das beinahe vier Stunden währende Gespräch nicht zutage.

Russische Politikfolklore

Das Treffen im Internationalen Handelszentrum am Ufer der Moskwa, zu dem sich dieses Jahr mehr als 1.600 Journalisten akkreditierten, ist mittlerweile aber ein fester Bestandteil der russischen Politikfolklore. Russische Presseleute lassen sich im Vorfeld Plakate einfallen mit Aufschriften wie: "Eine Frage aus einer Region, in der ein Kopf verpflanzt wurde", damit Putins Pressesprecher ihnen das Wort erteilt. Andere werfen sich direkt ein Weihnachtsmann-Kostüm über. Russlands kritische Journalisten und ihre ausländischen Kollegen grübeln unterdessen im Vorfeld, mit welcher Frage sie den Präsidenten in die Bredouille bringen können. Doch dieses Mal war es vergleichsweise ruhig. So mancher Beobachter fing da an, darüber zu rätseln, warum der Hintergrund, vor dem Putin diesmal sitzt, nicht in den Farben der russischen Trikolore gehalten ist, sondern im energisch frischen Orange.

Keine Opposition - Putin findet's "schade"

Gleich zu Beginn hatte Putin die Tradition gebrochen, wonach er eingangs einen mit Zahlen und Fakten gespickten Vortrag serviert. "Ich werde heute auf meine Vorrede verzichten und Ihre Fragen dazu nutzen, um meine Positionen darzulegen".

Und so fragte bereits der zweite Journalist vom kremlnahen Nachrichtenportal "Life" den Kandidaten Putin, warum es denn in Russland keine ernstzunehmende Opposition gäbe. Putin nennt das "schade", aber auch verständlich. Schließlich sei man heute viel weiter als vor fünfzehn Jahren. Die Wirtschaft, die Löhne, die Renten: alles 60, 70 oder 80 Prozent höher. Im Übrigen habe die Opposition kaum Ideen, um das Leben der Menschen besser zu machen.

Journalisten als reine Stichwortgeber

Mit den Jahren hat Putin seinen großen Auftritt, der von mehreren Staatssendern in voller Länge übertragen wird, perfektioniert. Die Journalisten, selbst wenn man der offiziellen Version glaubt, dass die Fragen nicht im Vorfeld abgeklärt sind, wirken wie reine Stichwortgeber. Egal, ob ihre Fragen eher wie eine Lobeshymne klingen oder durchaus kritisch formuliert sind, wie die der Journalistin Tatjana Felgengauer vom Radiosender "Echo Moskau", die kürzlich einen Messerangriff durch einen offenbar geistig verwirrten Täter überlebte. "Wie kann man in Russland von einer Hoheit des Rechts sprechen", fragte die Radiomoderatorin und führte etwa die Verhaftung des bekannten kremlkritischen Regisseurs Kirill Serbrennikow an, der seit Monaten Hausarrest hat.

Putin nutzt solche Gelegenheiten, um sich in Szene zu setzen. Mal wiegelt er ab. Mal gibt er sich selbstkritisch. Mal zeigt er, wer der Herr im Hause ist. So war es vor sechs Jahren, als Putin sich mitten im Protestwinter 2011 den Journalisten stellte und die Zehntausenden Demonstranten in Moskau, die gegen die Dumawahl protestierten, die sie für fingiert hielten, mit dem Affenvolk aus dem Dschungelbuch verglich. Oder bei der Jahrespressekonferenz 2014 als ihn eine Journalistin fragte, ob er tatsächlich überzeugt sei, in Russland sei eine fünfte Kolonne am Werk, die das Land destabilisieren wolle.

Entspannungskurs vor der Wahl?

Von dieser Angriffslust war in diesem Jahr, trotz der vereinzelten Spitzen gegen die Opposition, gegen die USA und den Westen aus meiner Sicht insgesamt wenig zu spüren. Statt aggressiv klang Putin an vielen Stellen eher ironisch. Zwar teilte er bei den Themen wie Russlands Olympiasperre oder dem Vorwurf, Russland habe die Wahlen in den USA beeinflusst aus – aber gemäßigter als man gemessen an den Vorjahren hätte erwarten können. Auch die eigenen Beamten und Minister, die sonst vor solchen Auftritten zittern und Kritik fürchten, blieben verschont. Und darin lag auch die eigentliche Überraschung von Putins Auftritt. Vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass Putin mit Hinblick auf die Wahlen die ohnehin angespannte Situation in der Innen- und Außenpolitik etwas entspannen will.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 14.12.2017 | 11:15 Uhr