Parlamentswahl in Rumänien Newcomer-Partei setzt auf Hoffnung

12. Dezember 2016, 15:37 Uhr

In einer Bukarester Sozialkantine duftet es nach gebratenen Zwiebeln und Schweinefleisch, im Kochtopf schwimmen Nudeln. Rund zehn junge Leute bereiten gerade für bedürftige Rentner eine warme Mahlzeit - wie jeden Samstag.

Junge Frauen in grünen Kitteln und Kopfschutz arbeiten in einer Küche
Junge Rumänen entdecken das Ehrenamt - wie hier in einer Bukarester Suppenküche. Bildrechte: MDR/Annett Müller

Die Idee, junge Hobby-Köche für ein ehrenamtliches Projekt zu gewinnen, stammt von der Soziologin Cosmin Popa: "Das Projekt ist kein Rettungsprogramm. Wir zeigen aber, dass man mit Eigeninitiative schöne Dinge machen kann." Der Samstagstreff wird per Facebook organisiert, bis Jahresende ist bereits alles ausgebucht, so viele freiwillige Helfer gibt es. Wer keine Zeit zum Kochen hat, kann Geld spenden, um für gewöhnlich  80 Portionen zu zaubern.

Enttäuschung statt Hoffnung

Vor der Sozialkantine wartet derweil eine Gruppe von Rentnern auf die Essensausgabe. Seinen Namen will hier niemand nennen, zu beschämend ist es für die Männer und Frauen nach einem langen Arbeitsleben, nicht einmal das Geld für eine tägliche warme Mahlzeit zu haben. Mit 150 bis 200 Euro Rente müssen sie über den Monat kommen, gespart wird zuallererst am Essen.

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert hören die in der Schlange stehenden Rentner von den wechselnden Regierungen, dass es demnächst mit dem Lebensniveau spürbar aufwärts gehen solle. Die Hoffnung darauf haben sie längst aufgegeben. Welcher Partei sie noch vertrauen? "Keiner", antworten die meisten, "sie haben uns alle enttäuscht". Zur Parlamentswahl am heutigen Sonntag erwarten Soziologen deshalb ein neues Rekordtief bei der Wahlbeteiligung. Schon vor vier Jahren waren nur gut 42 Prozent der Wähler zur Abstimmung gegangen, 2008 waren es mit 39 Prozent noch weniger.

Parlament hat schlechten Ruf

Im politikverdrossenen Rumänien halten in Umfragen nur rund zehn Prozent der Bevölkerung ihr Parlament für vertrauenswürdig, während die Mehrheit von faulen, geldgierigen und korrupten Volksvertreter spricht.

Der ehemalige Präsidentenpalast Ceausescus in Bukarest
Eine überlange Limousine vor dem Parlamentsgebäude in Bukarest - Rumäniens Abgeordnete lassen es sich wohl gehen Bildrechte: MDR/Annett Müller

Ihrem schlechten Ruf geben die Parlamentarier immer wieder neue Nahrung. Vor gut einem Jahr verkürzten sie ihr Arbeitsprogramm im Plenum, wenig später votierten sie für eine eigene Gehaltserhöhung von zehn Prozent, zudem gestehen sie sich seit Neuestem für jedes absolvierte Mandat eine monatliche Sonderrente von rund 350 Euro zu. Auch beim Thema Anti-Korruptionskampf sorgten die Volksvertreter regelmäßig für Negativschlagzeilen. "Sie haben sich teils aufgeführt wie eine Diebesbande", sagt der Bukarester Journalist Romulus Georgescu, der seit seit zwei Jahrzehnten Berichterstatter aus dem Parlament ist. Im Dezember 2013 gaben sich die Abgeordneten in geheimen Sitzungen eine Art Superimmunität, um vor Korruptionsermittlungen geschützt zu sein. Das Verfassungsgericht kassierte die Regelung schließlich wieder ein. "Die Parlamentarier glaubten damals, mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit stünden sie nun über Recht und Gesetz", sagt Georgescu.

Politisch instabile Verhältnisse

Wegweiser Parlamentswahl Rumänien
Wie viele Rumänen werden am 11. Dezember den Weg ins Wahllokal auf sich nehmen? Soziologen erwarten jedenfalls ein neues Rekordteif bei der Wahlbeteiligung. Bildrechte: MDR/Annett Müller

Geprägt war die jetzt zu Ende gehende Legislaturperiode nicht nur von einem nonchalanten Regieren, sie zeigte erneut, wie politisch instabil das Land ist: Drei Regierungen in vier Amtsjahren. Im Februar 2014 platzte die große Koalition aus sozialdemokratischer PSD und nationalliberaler PNL, im November 2015 trat die PSD-Regierung von Victor Ponta nach einem verheerenden Brand in einem Musikclub und tagelangen Massenprotesten zurück. Um die Lage zu befrieden, wurde eine Technokratenregierung unter dem parteilosen Premier Dacian Ciolos eingesetzt. Nun könnte wieder eine Regierung unter Führung der PSD folgen, zumindest werden die Sozialdemokraten in den Wahlumfragen als Favorit gehandelt - vor ihrem politischen Kontrahenten, der PNL.

Viel Armut, wenig Steuern

Auf die neue Regierung warten anspruchsvolle Aufgaben. Das Land hat wegen seiner weit verbreiteten Schwarzarbeit niedrige Pro-Kopf-Steuereinnahmen: 2015 betrug die Summe laut Eurostat 1.607 Euro pro Einwohner, nur ein Fünftel von dem, was für gewöhnlich im EU-Durchschnitt in die öffentliche Haushalte zurückfließt. Die Mittel fehlen für Investitionen ins marode Gesundheitssystem und die rudimentäre Infrastruktur.

OP-Saal
Wie im Kreiskrankenhaus Calarasi herrscht überall großer Modernisierungsbedarf Bildrechte: MDR/Annett Müller

Zudem hat Rumänien eine der höchsten Armutsquoten in der EU, gibt aber im Vergleich die wenigsten Mittel für Sozialzuschüsse aus. Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben an oder unter der Armutsgrenze, die bei rund 115 Euro pro Monat liegt. Zukunftsprojekte, die mehr soziale Gerechtigkeit versprechen, hat sich keine der Parteien als Hauptziel auf die Fahnen geschrieben. "Im Land herrscht eine riesige soziale Frustration", sagt der Politikexperte Cristian Pirvulescu. "Dieser Frust kann jederzeit von populistischen Politikern manipuliert werden."

Ein Premier nach europäischen Kaliber

Der rumänische Premier Dacian Ciolos auf einem Wahlplakat
Rumäniens Premier Dacian Ciolos ist parteilos, kandidiert aber für die nationalliberale PNL Bildrechte: MDR/Annett Müller

Statt Themendebatten in den Politiktalkshows wurden im vierwöchigen Wahlkampf populistische Schlammschlachten geführt. Denn wenngleich die sozialdemokratische PSD in den Umfragen führt, könnte ihr am Sonntag der parteilose Premier Dacian Ciolos noch einen Strich durch die Rechnung machen. Der 47-jährige Regierungschef und Spitzenkandidat der nationalliberalen PNL ist einer der beliebtesten Politiker im Land. Den Bukarester Politikstrategen Radu Magdin verwundert das Positiv-Image des früheren rumänischen EU-Agrarkommissars nicht: "Ciolos ist anders als viele unserer geschwätzigen und selbstgefälligen Politiker. Er ist Politiker von europäischem Format."

Einfache Erklärmuster gesucht

Dacia - Verkaufsschlager im Westen
Außer mit Dacia, seit 1999 eine Marke von Renault, kann Rumänien wirtschaftlich in der Welt nicht mithalten Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die sozialdemokratische PSD sieht im aktuellen Regierungschef und früherem EU-Agrarkommissar etwas ganz anderes. In ihrem Wahlkampf diskreditierte sie Ciolos als Vertreter  Brüsseler Interessengruppen, die die einheimische Wirtschaft ruiniert hätten, um multinationale Firmen zu etablieren. In Rumänien sind weite Teile der Gesellschaft für Verschwörungstheorien und Phantasiegeschichten einer heimlichen Weltordnung sehr empfänglich. Viele wollen einfache Erklärmuster, warum ihr Land in fast jeder Hinsicht das EU-Schusslicht ist. Die PSD will damit hingegen von ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik ablenken, von der mangelhaften Berufsausbildung, den unzureichenden Investitionen in die Infrastruktur des Landes. Einer der größten Wirtschaftsmotoren im Land sind derzeit die über drei Millionen Rumänen, die wegen der Missstände ausgewandert sind. Im vergangenen Jahr schickten sie allein insgesamt 2,8 Milliarden Euro an ihre Familien nach Hause.

Sorgt Newcomer-Partei für eine Überraschung?

Alles wie immer in Rumänien? Allein die PSD geht mit 13 Kandidaten auf Spitzenpositionen ins Rennen, gegen die Ermittlungen oder Strafverfahren wegen Korruption laufen. In vielen Ländern wäre eine solches Wahlteam undenkbar, in Rumänien schon.

Cosette Chichirau
Cosette Chichirau kandidiert für die Neugründung "Union Rettet Rumänien" (USR) Bildrechte: MDR/Annett Müller

Erfrischend anders aber ist diesmal eine erst vor sechs Monaten gegründete Newcomer-Partei, die ihren Auftrag in den Namen packt: "Union Rettet Rumänien" (USR). Cosette Chichirau geht für die Partei an den Start. Im Juli kehrte sie in ihre rumänische Heimat zurück, 15 Jahre lang war sie zuvor als Finanzexpertin in den USA tätig. Als sie Ende 2015 die Anti-Regierungsproteste im Fernsehen sah, dachte sie, "jetzt ist der Moment gekommen, um in Rumänien mit anzupacken". Hunderte andere Rumänen, die wie Chichirau studiert haben und mitten im Berufsleben stehen, dachten ähnlich.

Ermutigt von einem Überraschungserfolg bei den Kommunalwahlen in Bukarest, entschieden sie sich, auch bei der Parlamentswahl zu kandidieren. Sollte die USR ins Parlament einziehen, wäre sie die erste Partei in der Volksvertretung, die sich nicht von einer anderen abgespaltet hat, sondern völlig neu durchstartet. Ob sie als Organisation konservativ sind oder linksgerichtet, wissen die Polit-Amateure selbst noch nicht so recht. Der 39-jährigen Chichirau geht es erst einmal um einen Personalwechsel in ihrer Volksvertretung: "Wie kann man unser korruptes politisches System reformieren, wenn nicht neue, unverbrauchte Leute ins Parlament kommen? Wir können doch nicht ohne Hoffnung bleiben."

Parlamentswahl in Rumänien am 11. Dezember 2016
466 Mandate für Abgeordnetenkammer und Senat
Kandidaten: rund 6.500
Wahlberechtigte: rund 18 Millionen
Wahlrecht: Verhältniswahl mit Sperrklausel von fünf Prozent
bisherige Regierung: Technokratenregierung unter Premier Dacian Ciolos

Programmtipp

Loop von Heute im Osten
Bildrechte: MDR

Wahlkampf in Rumänien

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Der Kampf gegen Korruption dominiert den Wahlkampf in Rumänien. Eine neue Partei hat sich dieses Anliegen direkt auf die Fahnen geschrieben. Unsere Ostblogger berichten vom Wahlkampf der "Union Rettet Rumänien".

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